It's The End of The World as We Know it

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1975

Hanna lief mit schnellen Schritten hin und her. "Alfred? Alfred! Wo bist du denn?"
Sie kam in das kühle Schlafzimmer ihrer Eltern und ging vor dem Bett auf die Knie, um darunter schauen zu können.
"Ah, da bist du." Sie lächelte breit. Ihre kreisrunde Brille hatte was von einem freundlichen Käuzchen und ließ ihre nussbraunen Augen noch größer und wacher wirken als sie ohnehin schon waren. "Was suchst du da unten?"

"Ich versteck mich."

"Vor wem versteckst dich denn?"

"Vorm Martin."

Hanna rückte ein Stück weg. "Na komm raus, kleines Spatzerl." sagte sie sanftmütig und irgendwann kam Alfred unterm Bett hervorgekrochen und schlang die kurzen dicken Ärmchen um den Hals seiner Cousine, die ihn sogleich vom Boden aufhob. Der Fünfjährige schloss die Augen und schmiegte sich an sie. Die Hanna war schon eine erwachsene Frau, sogar älter als der Detlef, neunzehn Jahre war sie alt.
Hin und wieder kamen Alfred und seine Brüder im Sommer zu Besuch, weil Hannas Vater der Patenonkel vom Martin war und schon lange wusste Alfred, dass Martin die Sommerferien lieber alleine hier verbringen würde. Hier bekamen ihn die Eltern nicht zu Gesicht und würden auch nichts dagegen ausrichten können, dass er mit zerrissenen Jeans herumlief und heilige Kostbarkeiten wie Cola und Fanta trinken durfte. Der jüngere Bruder war ihm da ein Dorn im Auge, doch Alfred musste immer mitkommen. Der Hanna war das wichtig.

Sie trug ihn hinaus in den Garten, wo seine restlichen Brüder auf der Bank vorm Haus beisammensaßen.
"Machen ma Mittagspause?" grüßte Hanna, wobei sie allesamt aufschreckten.
"Gleich geht's weiter." meinte Josef schnell und wedelte mit den Händen, um die Rauchwolke über ihren Köpfen wegzubekommen, doch da war nicht viel zu machen. Woran allerdings noch einiges zu machen wäre, war der alte Schuppen auf dem Hof, den die älteren Brüder schon seit dem frühen Morgen ausräumen, denn dafür hatte sie der Onkel hergerufen. Die Kisten mit Werkzeug, alten Gartengeräten und anderem Ramsch füllten die wackeligen Regale noch immer fast bis zur Hälfte.

Hanna ging nochmal ins Haus und kam wieder mit einem Küchenlappen, mit welchem sie ihre Cousins von der Bank scheuchte. "Na los, runter da! Ihr seid hier am lanzln* und seid wahrscheinlich heute Nacht noch ned fertig. Mach den Glimmstängel** aus, Thomas! Du auch, Sepp, glaub ned, dass ich's ned gesehen hätt! Die Buben denken, sie können g'schwind auf an Rach gehen*** und ich würd's ned merken."

Alfred hockte auf der Treppe und konnte über all das lachen, vor allem über die Brüder, die vor dem Küchenlappen davonrannten und eilig wieder auf den Schuppen zu stolperten.
"Und den Dreck vom Aschenbecher will ich später ja ned in den Blumentöpfen sehen! Schreib's dir hinter die Ohren, Detlef!" rief Hanna hinterher und als Martin von der Bank aufsprang und an ihr vorbei rennen wollte, bekam ihn Hanna am Hemdkragen zu fassen. "Halt, halt. Du bleibst hier."

"Lass mich los!" quäkte Martin und versuchte sich mit reichlich Gezappel zu befreien.

"Die anderen kommen auch gut ohne dich zurecht." fand Hanna. "Du bist eh zu klein zum Kisten tragen."

"Bin i ned!" Martin wurde krebsrot im Gesicht und zappelte noch wilder, doch Hanna hatte den Achtjährigen gut im Griff. Sie stellte ihn vor der Treppe ab. "Du entschuldigst dich jetzt bei deinem Bruder."

Alfred würde niemals leugnen, dass er diese Aussicht nicht etwa für äußerst amüsant hielt. Im festen Griff der Cousine stellte Martin keinerlei Gefahr da, tatsächlich machte er einen ziemlich lächerlichen Eindruck. "Warum sollt ich des machen?"

"Weil du irgendwann mal einen anständigen Burschen darstellen sollst." argumentierte Hanna und ließ kein bisschen locker. "Ich höre?"
Ganz offensichtlich würde sich Martin lieber die eigene Zunge abbeißen. Seine Augen richteten sich hasserfüllt auf den kleinen Bruder, der dort auf der Treppe hockte und mit einem frechen Grinsen seine Entschuldigungen abwartete.
"Tschuldigung." murmelte Martin unzufrieden und riss sich gleich in der ersten Sekunde los, in der Hanna auch nur ein kleines bisschen locker ließ.

Keine Ruhe in Frieden [Roman]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt