Werke und Glaube

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Judas schaut absolut miserabel drein. Mit der einen Hand wischt er sich die Schweißperlen von der Stirn, während die andere auf der Kasse herum tippt. Heute streikt die Klimaanlage und die Hitze drückt unerlässlich vom freien Himmel herab.

"Mein Freund, was ist jetzt noch einmal der Unterschied zwischen einem Vegetarier und einem Veganer?" drängt die Stimme seines Kollegen an sein Ohr. Jesus Christus von Nazareth.

Auch wenn es Judas schwer danach gelüstet, einen gellen Schrei abzulassen, bekommt er es geradeso hin, dies zu vermeiden. Er atmet einmal tief ein. "Vegetarier verzichten auf Fleischprodukte. Veganer verzichten auf alles, was von Tieren stammt." Er atmet wieder aus.

"Ach ja." Jesus nickt langsam, als wolle er es sich nun endgültig einprägen, doch Judas wusste aus Erfahrung, dass er dies nicht tun würde. "Und was davon bist du?"

"Ich bin kurz davor, die Nerven zu verlieren." lässt ihn Judas wissen, während er mit flinken Handgriffen Geldscheine sowie Münzen entgegennimmt und neue herausgibt. "Kannst du kurz die Kasse übernehmen?"
Jesus beobachtet eine kurze Weile den Rhythmus aus Kasse öffnen, herausnehmen, hineinlegen und Kasse wieder schließen, allerdings ist die Weile nicht kurz genug, um Judas nicht aufzufallen. "Bitte?"

"Eigentlich bin ich ja kein Fan dieser Geldsachen..." fängt Jesus schon gleich an, was von Judas sofort unterbrochen wurde. "Jaja, ich weiß...mach doch trotzdem bitte Mal, die Leute treiben mich zur Weißglut."
Und die stetig wachsende Schlange ist kaum zu übersehen. Sobald ein Kunde davon geht und man schon darauf hofft, dass es endlich weniger werden würde, kommen von irgendwoher neue dazu.
"Also gut."

Schon seit langem gönnt sich Jesus Christus eine Auszeit von den Gegebenheiten des Himmels™ und um wieder mehr unter die Menschen zu kommen, hatte er beschlossen, sich gemeinsam mit Judas auf den Weg zu machen und verschiedenste Jobs anzunehmen. Von Zahnarzthelfern bis zum Büroassistenten war so gut wie alles dabei gewesen. Nach all den Erfahrungen muss er zugeben, dass er es Judas hoch anrechnet, ihm noch immer zur Seite zu stehen, immerhin hat er von ihnen beiden am wenigsten Gefallen daran gefunden. Es ist nicht so, dass sich Judas etwa keine Mühe gäbe oder gar unfreundlich sei, er ließ sich nur deutlich weniger gefallen als sein Gefährte. Erst vor einem Monat waren sie aus einer Wirtschaft entlassen worden, da Judas einem Stammkunden nach einer rassistischen Bemerkung einen ganzen Krug Bier ins Gesicht geleert hatte.

Jesus scheint solche Erfahrungen deutlich leichter zu verarbeiten, doch nach nur wenigen Wochen Arbeit in einem halal-Fast-Food Wagen kommt auch er so langsam an seine Grenzen. Es überrascht ihn immer wieder auf recht negative Art, wie unverschämt die Leute sein können. Selbst erwachsene Menschen hatten sich ihm gegenüber so derart kindisch verhalten, dass es ihn regelrecht schockierte, und das nur wegen einem Döner, der fünf Minuten zu lange gedauert hatte.
Womöglich, denkt er sich, kann man der Welt Gnade und Ehrfurcht neu lehren, wenn sich jeder von ihnen mindestens einmal im Berufsfeld des Einzelhandels oder der Essensausgabe bewegen müsste.

"Ich hasse Menschen." keucht Judas, als er sich abends auf sein Bett fallen lässt, welches aus ein paar Kissen und einer dünnen Matratze zusammensetzt und sich in einem gebrauchten Wohnwagen befindet, den sie beide gemietet haben. Jesus setzt sich in die Hängematte. "Das ist auch nicht richtig."

"Ist es nicht?" Judas nimmt die Hände vom Gesicht und schaut zu ihm hin. "Du siehst es doch selbst, wie die sich manchmal benehmen. Weißt du noch, damals in der Frittenbude, wo so ne Alte die Polizei auf uns gehetzt hat, weil sie meinte, wir würden auf den Klos Drogen verticken?"

Jesus seufzt. "Ich erinnere mich durchaus. Dass ich mir die Haare schneiden soll, hat sie mir gesagt. Als ob zu unserer Zeit nicht jeder Mann so herumgelaufen wäre."

Keine Ruhe in Frieden [Roman]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt