Christopher Street

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Timon und Selma kennen sich seit dem Studium, auch wenn sie mit ihrem Abschluss vollkommen andere Dinge angestellt haben. Timon gönnte sich ein freies Jahr in Neuseeland, wo er auch seine spätere Freundin Marilyn kennenlernte. Sie zog mit ihm zurück nach Österreich, wo er anfing, für einen Verlag zu arbeiten, der sich auf Kinder- und Jugendliteratur spezialisierte und wirkte sogar bei einigen Aufnahmen für Hörspiele mit.
Marilyn gründete in Wien eine Theatergruppe für Jugendliche, die in ihrem Leben gerne etwas mehr Boden unter den Füßen hätten.
Nun, vielleicht unterscheiden sich ihre Berufe doch nicht allzu sehr voneinander. Genau wie Selma sind die beiden ebenfalls mit höchster Motivation an der Förderung der nächsten Generationen beteiligt.

Gleich als sie die muntere Hausparty betreten, kommt ihnen Timon schon freudestrahlend entgegen und zieht als allererstes Selma in eine feste Umarmung. "Servus Frau Lehrerin! Wie schön, dass'd kommen konntest, ma cherié." Er patscht ihr freundschaftlich auf den Rücken und Selma erwidert die Geste sofort. Als er gerade Qamar in den Arm nimmt, spürt Alfred den leichten Schubs eines Ellenbogens in seiner Seite.

"Guck mal, die haben nen Schokobrunnen!" flüstert ihm Silvia aufgeregt zu. Sie trägt ein kurzärmeliges Oberteil über einem Langärmligen und dazu eine Krawatte, angeblich soll das modern sein. Alfred hat sich natürlich gleich dagegen entschieden, seinen Senf dazuzugeben.

"Ich hab dir den Alfred mitgebracht." Selmas Stimme reißt ihn völlig aus dem Konzept. "Wir gingen zur Schule miteinander."
Timon folgt ihrer ausladenden Armbewegung und strahlt Alfred gleich mit seinem warmen Südländer-Lächeln an. Alfred selbst kommt sich vor, als habe man ihn in den einheitlichen Fixierpunkt mehrerer Flackscheinwerfer gestellt. Das Gefühl verstärkt sich erst recht, als Timon auf ihn zu kommt.
"Freut mich." sagt er. "Bist du so der Umarmungen-Typ oder eher ned?" Er streckt Alfred seine Hand entgegen. "Wir können's auch beim Händeschütteln lassen."

In derartigen Situationen erfährt Alfreds Gehirn häufiger einen Kurzschluss. Es verträgt es überhaupt nicht, zu viele Optionen gleichzeitig angeboten zu bekommen, besonders von Personen, die eigentlich super nett sind und auf die man ungern einen schlechten ersten Eindruck machen will. Darüber nachzudenken stiehlt jedes Mal genug Zeit und da Alfred keine Sekunde länger wie ein Volldepp herumstehen will, gibt er Timon schließlich die Hand. Dieser lächelt wieder, diesmal an Alfred vorbei. "Und wer ist deine Begleitung?"

"Meine Nichte." antwortet Alfred und wundert sich doch darüber, wie oft er dieses Wort in den letzten Stunden so leicht über die Lippen gebracht hatte, in Bezug auf ein Kind, zu welchem er kaum eine emotionale Bindung hat.
Silvia schiebt sich gleich an Alfred vorbei und stellt sich Timon vor.

"Ich hab mich nach Sylvia Rivera benannt, weil ich sie richtig toll finde. Ich hab aber das Y gegen ein I getauscht, weil das mein Lieblingsbuchstabe ist und ein bisschen sollte der Name noch was von mir drin haben." quasselt Silvia ununterbrochen, allerdings erst viel später.
Alfred wird erst dann wieder bewusst, wo er überhaupt ist. Sowas passiert ihm manchmal. Sie sind nun fast seit einer halben Stunde hier. Silvia quatscht Timon eine ganze Zeit lang voll, aber immerhin scheint ihn das kein Stück zu stören. Timon schraubt ein Karamellbonbon nach dem anderen auf, während er sich von Silvia zutexten lässt, die ihn mit Eifer über den Anime Sailor Moon aufklärt.

Alfred steht völlig im Abseits und hört dem ganzen zu. Dabei lässt er den Blick durch den Raum schweifen. Am anderen Ende entdeckt er Selma, die sich mit einer anderen Gruppe unterhält. Qamar hat sich bei ihr untergehakt und lauscht ihrer Stimme. Alfred spürt einen Funken der Erleichterung in seiner Brust.

"...... okay bei dir?" drängt ganz unerwartet eine Stimme an sein Ohr. Alfred schreckt unwillkürlich auf. Silvia schaut ihn aus großen braunen Augen an. "Du bist echt abartig schreckhaft."

Keine Ruhe in Frieden [Roman]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt