Die Sucht, die eifert

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"Okay, Jungs. Kommen wir zur Sache." Helia hat einen ausfahrbaren Zeigestock zur Hand genommen und positioniert sich vor einer staubigen Schultafel, welche sie zuvor erst aus einer der Abstellkammern befreit hat und auf der mit weißer Kreide in großen Blockbuchstaben folgender Satz zu lesen ist:
WIE RUINIERT MAN MENSCHLICHE BEZIEHUNGEN (BRAINSTORMING)

Als Disclaimer gilt, dass es sich hierbei lediglich um einen Arbeitstitel handelt. In Konkurrenz zu ihrem Eifer wirft Helias Einfallsreichtum vergleichsweise schnell das Handtuch.

"Mir ist es jetzt wichtig, dass ihr das kleine bisschen Grips beisammen nehmt, das eure Spatzenhirne mit Mühe fabrizieren können und zwar to the point!" Sie lässt den Stock zweimal aussagekräftig auf der flachen Hand aufschlagen. "Ich brauch eure Beiträge. Woran scheitern die meisten Beziehungen?"

Unsicheres Schweigen steigt aus der ärmlichen Runde auf. Isopoda, Gabriel, das Maultier und der Krokomat starren ratlos Löcher in die Luft. Sie haben sich in einer Art krummen Halbstuhlkreis um die Tafel angesammelt. Eine Grille zirpt friedlich vor sich hin. Helia zertritt sie energisch mit einem Huf, bevor sie sich räuspert. "Mir ist bewusst, dass euer Kaliber keinerlei Erfahrung hat mit erfolgreichen zwischenmenschlichen Verhältnissen. Aber das können wir zu unserem Vorteil nutzen." Sie klopft mit dem Stock gegen die Tafel. "Denkt mal nach: Was hindert euch daran, eine gesunde Beziehung zu führen?"

Helia blickt erwartungsvoll in die Runde.

Zögerlich hebt der Krokomat die Hand.

"Ja?"

"Ne ansehnliche Visage wär vielleicht von Vorteil." schlägt er vor.

"Sprich für dich selbst, Echsenjunge." äußert sich das Maultier selbstgerecht.

"Nein, er kann für euch beide sprechen." erwidert Helia und erntet einen hasserfüllten Blick seitens des Maultiers.

"Mir ist nicht ganz wohl dabei, als Junge bezeichnet zu werden." merkt der Krokomat weiterhin recht zögerlich an.

"Von mir aus." meint Helia. "Welche Bezeichnung wär dir lieber?"

"Weiß nich." Der Krokomat fummelt an seinen Klauen herum. "Ich bin buchstäblich ein mit einem Kühlschrank verschmolzenes Krokodil. Von Junge ist da nicht viel zu sehen."

"Leider ist die Sprache sehr begrenzt." bedauert Isopoda. "Wir können doch einfach was erfinden, wenn du möchtest. Wie wärs mit anderen pfiffigen Pronomen, in etwa sowas wie ... keine Ahnung... kroko/dil oder Snack/Automat oder iceice/Baby?" Isopoda hebt seinen Blick zur Decke und grübelt angestrengt nach anderen alternativen Pronomen.

"Da wärn wir wieder bei den erfundenen Wörtern." Das Maultier verdreht genervt die Augen. "Wir ziehen eine Generation von Weicheiern auf."

"Alle Wörter sind erfunden, Klugscheißer." erwidert Helia, die dieses Gespräch offensichtlich mehr als nur satt hat. "Und du hast die Klappe zu halten, immerhin bist du mit Abstand das größte Weichei auf beiden Seiten des Äquators." Sie seufzt und wendet sich dem Krokomat zu. "Hör zu, wie wär's, wenn wir uns auf was völlig neutrales einigen? Darauf, dass du sozusagen auf eine gewisse Art und alle Künste beachtend, derart undefinierbar bist, dass sich eine Einordnung ins Sachliche wohl als sinnvollste Lösung erweist?"

Das Krokomat überlegt und findet, dass das für ihn tatsächlich Sinn macht. "Gut okay." sagt es.

"Supi, dann hätten wir das." meint Helia, als das Maultier noch protestiert. "Das kannst du doch nicht durchgehen lassen, das ist grammatikalisch nicht korrekt!"

Keine Ruhe in Frieden [Roman]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt