Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Das war sein erster Fehler

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Helia rümpft ihre kleine Dämonennase. Sie hat die Hände nicht frei, um sie sich zu kratzen, denn diese sind unterm Tisch angebunden, an welchem sie zuvor unsanft platziert wurde. Außerdem ist das Teil ihrer Ihr-kriegt-kein-Wort-aus-mir-raus!-Haltung. Dazu gehören ein gehobenes Kinn, ein ernster, nach vorne gerichteter Blick und streng geschlossene Lippen, die keinen Grund wissen, sich öffnen zu müssen, außer vielleicht um dem sehr aufgewühlten Isopoda ruhig zuzusprechen, welcher zu ihrer Rechten an den Tisch gebunden wurde und auf einem Stuhl sitzt, der für jemanden seiner Größe deutlich zu klein ist.

Helia lässt den Blick wie unbeteiligt durch den geräumigen Saal wandern, welcher in seiner Bauweise sehr einem umgekehrtem Hörsaal ähnelt, denn die Tribüne verlagert sich mit jeder hinteren Reihe weiter nach unten, wodurch die Zuschauer dazu verleitet werden, ihre Aufmerksamkeit weit nach oben zu richten, um vier Richterpulte im Blick zu haben, bei denen es sich offensichtlich um vier umfunktionierte Tischkicker handelt.

Helia versucht nicht zu beachten, wie sich der Saal langsam füllt, nämlich hauptsächlich mit Schaulustigen. Sie kann ihre angebundenen Klauen gerade weit genug nach rechts schwenken, um mit ihrem kleinsten Finger Isopodas zitterndes Knie zu berühren. "Ganz ruhig, Kumpel. Keine Panik." flüstert sie ihm in einem für die Dämonin so ungewöhnlich tröstlichem Tonfall zu.

"Ich mach mir Sorgen um Judas." winselt Isopoda schuldbewusst. "Ich hätt uns besser beschützen sollen."

Der alte Verräter wird schon wissen, wie er auf sich selbst aufzupassen hat, denkt Helia herablassend und im gewissen Sinne darf sie Recht behalten. Im selben Moment (auch wenn das bei dem verwirrenden Zeitverständnis des Himmels™ nicht immer so leicht festzulegen ist) entdeckt Judas zufällig Alfreds hibiskusroten VW Golf, welcher halbwegs in einem Wolkengraben liegt. Der Wagen wurde nicht abgesperrt, ist völlig unbeaufsichtigt und der Schlüssel steckt ebenfalls. Judas ignoriert gekonnt sämtliche Einsprüche der Vernunft und macht sich an dem Fahrzeug zu schaffen.

Helia beobachtet wie sich die vier Erzengel an den Pulten niederlassen. Als sie von Gabriel bemerkt wird, lächelt und winkt er zu ihr herunter. Da Helia nicht dazu in der Lage ist, ihm ihren Mittelfinger entgegen zu halten, überlegt sie erst, ob sie ihm die Zunge rausstrecken soll. Letztendlich entscheidet sie sich für kühles Zurücklächeln.

Als Michael mit seinem kleinen Hammer gegen sein Pult klopft, legt sich langsam das Gemurmel im Saal.

"Gelobet sei der Herr." verkündet Michael, was von dem Großteil der Menge voller Ergriffenheit wiederholt wird. Helia kommentiert das, indem sie mit dem Mund ein Furzgeräusch macht.

Michael räuspert sich.

"Ich, Erzengel Michael heiße als rechte Hand des Himmelsvaters die Anwesenden Vertreter und Bewohner des Himmels™ sowie alle Angeklagten wie auch sämtliche Gasthörer willkommen zu diesem Verfahren. Das Konzil des Lichts und der neun Engelschöre wurde einberufen, um über das weitere Schicksal der Angeklagten zu entscheiden. Dem ehemaligen Cherub Helianthus Asterales sowie dem eingeborenen Dämon Isopoda Malacostraca wird vorgeworfen, in das Reich des Himmels™ eingedrungen zu sein und sich auf nicht legitime Art und Weise wichtige Dokumente angeeignet zu haben."

"Das ist nicht mein Name." merkt Helia an.

"Bitte?"

"Ich sagte," wiederholt Helia in aller Ruhe. ",dass ich so nicht heiße. Ich möchte darum bitten, mit meinem rechtmäßigen Namen angesprochen zu werden."

Michael rückt seine kleine Lesebrille zurecht. "Welche Autorität glaubst du hier zu haben? Du hast dich für das Leben unter Dämonen entschieden. Gewöhn dich daran, wie einer behandelt zu werden."

Keine Ruhe in Frieden [Roman]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt