Dolce Vita

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"Da bist du ja." hört Alfred neben sich. Er fährt herum und erblickt zu seiner großen Erleichterung die gute Silvia. Sie schaut ihn mit einem gemischten Blick aus Besorgnis und Mitleid an, so wie es seine Therapeutin manchmal tut.
Alfred entdeckt den Becher in ihrer Hand mit irgendeiner roten Flüssigkeit drin.
"Was ist das?"

"Reg dich ab, das ist Punch." meint Silvia. "Hier gibt's kein Alkohol, weißt du doch."

"Solltest du das so offen durch die Gegend tragen?" fragt Alfred weiter. Seine Nichte studiert ihn mit Argwohn. "Jetzt übertreibst du'n bisschen. Hier sind doch alle voll anständig."
"Pass trotzdem auf." bittet Alfred und Silvia macht ein Gesicht, als habe sie gerade etwas begriffen, als habe er etwas vor ihr zu verbergen. "Du hast nur Schiss vor meinem Vater, gell?" Sie grinst ihn an. "So'n Quatsch laber ich nämlich auch immer, wenn ich was ausgefressen hab."

"Ist das so schwer nachzuvollziehen?" fragt Alfred in die Luft. "Mir wär's nur sehr lieb, wenn'st heil und unversehrt wieder bei ihm ankommst. Wundert mich sowieso, dass er dich hat herkommen lassen..."

"Warst du bei Timon?" fragt Silvia und das im aufgeregten Flüsterton

"Ich bin ihm begegnet."

"Mach doch ned so." meint Silvia aufdringlich. "Du warst plötzlich weg und das voll lange."

"Ich will darüber jetzt nicht reden." Alfred wird die Vermutung nicht los, dass sie mit Absicht das Thema wechselt. Außerdem hat er noch immer ein hibbeliges Gefühl von seiner Panikattacke vorhin. "Ich würd jetzt gern nach Hause gehen.."

"Aber die wollen jetzt Musik anmachen." schmollt Silvia und tatsächlich räumen einige der Anwesenden die Sessel und Stühle aus dem Weg und man macht sich an der Stereoanlage zu schaffen.
Silvia springt wie angestochen auf und macht sich zu der provisorischen Tanzfläche auf, während Dolce Vita in einer Lautstärke aus den Lautsprechern spielt, die Herzen augenblicklich im Rhythmus des Liedes schlagen lässt.

"We're walking like in the Dolce Vita. This time we got it right." singt Ryan Paris, als Silvia beginnt, sich im Takt seiner Worte zu bewegen. Sie macht erst etwas, was dem walking man recht ähnlich sieht und beendet dies mit drei vollen Drehungen, die ihren Rock mitwirbeln lassen. Während des funkelnden Übergangs zwischen den Zeilen fuchtelt sie mit den Armen herum und fing an, in der Luft zu trommeln. Trotz der skurrilen und scheinbar völlig zusammenhangslosen Bewegungen scheint ihr Herumspringen choreografiert worden zu sein.

Selma schüttelt Alfreds Schulter aufgeregt. "Schau dir das Mauserl an!"

Und das tut er auch. Er sieht sie tanzen und erinnert sich an die Geburtstage seiner Mutter, als er noch ein Kind war. Sein Vater hatte kaum jeweils wirklich daran teilgenommen. Er sei zu beschäftigt mit der Arbeit oder so behauptete er zumindest. So lud Hannelore einige ihrer Freundinnen ein, die überwiegend aus anderen Frauen, die ebenfalls die Kirche besuchten oder den Müttern der Freunde seines Bruders bestanden. Lange Zeit war dies so ziemlich das einzige Mal im Jahr, in der der kleine Alfred und die anderen Pichler-Jungen ihre Mutter lachen und trinken und Platten auflegen sahen, damit sie und die anderen Frauen es um den Wohnzimmertisch herum tänzeln konnten.

Es sei denn, es war einer dieser Geburtstage, an denen sein Vater ein Glas zu viel gegönnt hatte und ins Wohnzimmer gestürmt kam, um sich über den Lärm zu beschweren, irgendwelche Möbel umzuwerfen und seine Frau und ihre Freundinnen zu beschimpfen. Alfred erinnert sich viel zu lebhaft an genau diese Tage. Er wünscht sich, sein Gedächtnis würde sich mehr den anderen widmen. Den Geburtstagen, an denen es relativ gut lief. Wenn Martin Witze reißen konnte und die Frauen sich darüber freuten, wenn sich Alfred mit seinen Wachsmalstiften in die Ecke hinter der Stehlampe verziehen und in Ruhe malen konnte, wo er später einschlafen und von einem seiner älteren Brüder zu Bett gebracht werden würde. Meistens war es Thomas gewesen.

Keine Ruhe in Frieden [Roman]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt