Kapitel 16: Die Klinik

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Warnung: In diesem Kapitel wird explizite Gewalt geschildert, wenn du heute nicht in der Stimmung bist, mit derartigen Ereignissen umzugehen, empfehle ich dir, das Kapitel an einem anderen Tag zu lesen.

(POV Merlin)

Für einen Moment stand Merlin ratlos im Flur. Er beobachtete, wie Lorraine ihre Schuhe abstreifte und sich neugierig umsah.

»Hier könnte man voll die gute Halloween-Party schmeißen«, schwärmte sie und stiefelte in die Küche.

Dort deckte Lucius den Tisch. Hatte er überhaupt genug für drei Personen gekocht? Merlin runzelte die Stirn. Und warum zuckte sein Blick immer wieder zum Fenster? Als er die Küche betrat und ebenfalls nach draußen sah, konnte er nichts entdecken. Ein schwarzes Auto fuhr davon, ansonsten war alles unauffällig. »Alles ok?«, raunte er und ging seinem Vater beim Tischdecken zur Hand.

»Hm?«, machte Lucius mit gerunzelter Stirn und nickte mechanisch. Seine Pupillen zuckten zu Lorraine und gleich danach in Richtung Boden. Er atmete schwer. Warum hatte er sie rein gebeten, wenn sie ihm Unbehagen bereitete? »Alles ok«, log er so offensichtlich, dass er selbst darüber lachen musste. Es war ein erbärmlich erstickter Klang. »Ich hoffe, ihr habt nicht so viel Hunger.«

»Wir haben vor allem nicht viel Zeit«, erklärte Lorraine und warf immer wieder einen Blick auf die Wanduhr über dem Kühlschrank. »Die anderen warten und ich wäre gerne dort, bevor es dunkel wird.«

Lucius schluckte. Sein Augenmerk ging knapp an ihr vorüber. »W-wo möchtet ihr denn hin?«

»Zu einer verlassenen Klinik«, antwortete Merlin, ehe Lorraine es tun konnte. »Das wäre Einbruch, oder nicht?«

»Wäre das Einbruch?« Lucius rieb sich die Nasenwurzel. Als er erneut zum Fenster sah, wirkte er verzweifelt. Als würde er dort nach Hilfe suchen.

Merlin folgte seinem Blick. Draußen war niemand. Er sah Lorraine an, welche Fotos betrachtete, die auf dem Kühlschrank klebten. Sie verhielt sich distanzlos und nahm mit ihrer Körpersprache zu viel Raum ein. Das war ihre Art, aber in dieses Haus passte sie nicht. Offensichtlich bereitete sie seinem Vater ein ungutes Gefühl.

»Sollen wir lieber gehen?«, hakte Merlin missmutig nach und hoffte, dass sein Vater die Frage verneinen würde. Im besten Fall würde er ihm verbieten, Lorraine zu begleiten. Warum tat er es nicht einfach?

Lucius atmete tief durch und nickte. Sein Lächeln wurde mit jeder Minute verkrampfter. »Die Klinik ist abgelegen, oder? Ein versteckter Ort?«

»Ziemlich versteckt«, erklärte Lorraine lässig. »Die Natur hat sich die unteren Etagen zurückerobert.«

»Also findet man euch dort nicht so schnell?« Für einen Moment blitzte Hoffnung in Lucius' Augen auf.

Merlin runzelte die Stirn. Ihm gefiel nicht, in welche Richtung sich das Gespräch entwickelte. »Warum fragst du das so?«

»Ich ... nun.« Lucius presste die Lippen aufeinander. Er servierte das Essen mit krampfhaft verzogenen Augenbrauen. Hinter seiner Stirn rasten die Gedanken, aber er äußerte keinen einzigen davon. Was war nur mit ihm los?

Merlin sah zu Lorraine herüber. Sie las die Einträge im Kalender, neben dem Kühlschrank. Wieso zur Hölle tat sie so etwas in einem fremden Haus? Merkte sie nicht, dass sein Vater sich von ihrer Art bedrängt fühlte? Merlins Magen zog sich zusammen. Wie sollte er sie loswerden? Ohne ihn würde sie dieses Haus nicht verlassen. Seufzend gab er sich einen Ruck. »Ok.« Er deutete auf das Essen und grinste lieblos. »Nach dem Essen gehe ich mit. Aber nur kurz.«

Kurz genug, um Lorraine loszuwerden. Er würde seinen Vater direkt danach fragen, was mit ihm los ist.

Seltsamerweise reagierten sowohl Lorraine, als auch Lucius erleichtert. Merlin schluckte. Welcher Vater war erleichtert darüber, dass sein fünfzehnjähriger Sohn abends eine heruntergekommene Klinik aufsuchen wollte?

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