Kapitel 12: Mobbing

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(POV Lorraine)

»Hey.« Lorraine grüßte Merlin, als wäre nie etwas vorgefallen. Sie lächelte sogar. Das verlangte ihr alles ab. Chester hat sie davon überzeugt, ihren Kontakt zu dem Außenseiter für ihre Zwecke auszunutzen und dafür musste sie über ihren Schatten springen. »Alles klar?«

Merlin schob sein Fahrrad neben ihr her und starrte krampfhaft geradeaus. Hörte er ihr überhaupt zu?

»Erde an Merlin«, stöhnte sie. »Worüber denkst du nach?«

»Hm?« Er schüttelte sich. Für einen Moment hellte sich sein Gesicht auf. Seine Augen scannten Lorraine, bis sich Runzeln auf seiner Stirn bildeten. »Du hast es ihm erzählt.« Seine Stimme war rau vor Nüchternheit.

Ihr Körper spannte sich an. War er sauer? Auf sie? »Was?« Sie lachte knapp. Wie konnte er es sich leisten, so mit der einzigen Person zu reden, die Zeit mit ihm verbringen wollte?

»Du weißt genau was.« Er starrte nach vorne. »Dein Bruder hat-«

»Ey Zwitter! Weg von meiner Schwester!«

Bei dieser Unterbrechung ließ Merlin die Schultern sinken. Er sah Lorraine an, verzog das Gesicht und schwang sich auf sein Fahrrad, um den Rest des Weges ohne sie zu fahren.

Lorraine blickte ihm nach und wartete ab, bis Chester sie einholte.

Er legte kopfschüttelnd den Arm um ihre Schulter und schleifte sie mit sich den Weg entlang. »Was für eine Wurst.«

Sie schob seinen Arm von sich und trottete genervt neben ihm her. »Ich dachte ich sollte mich weiter an ihn ranmachen.«

»Klar, aber er soll sich nicht zu sicher fühlen.« Chester verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. Ein Grinsen machte sich breit. »Oh Pardon. Es soll sich nicht zu sicher fühlen.«

Lorraine verdrehte die Augen. »Treib es nicht zu weit.« Sie knibbelte an ihren Fingernägeln, bis Lack von ihnen abblätterte. »Ich glaube, er ist sauer auf mich.«

»Na und?«

»Ich hätte dir nicht erzählen sollen, was mit ihm los ist.«

Chester lachte. »Entwickelst du jetzt Mitleid oder wie?«

»Nein!« Sie schnaubte. »Aber wenn er wirklich sauer ist, dann hab ich keinen Plan, wie ich an ihn rankommen soll. Er machte nicht den Eindruck, dass er mit mir abhängen will.«

Darüber schien ihr Bruder nachzudenken. Er spitzte die Lippen und stierte in Richtung Himmel. Seine Augen verengten sich und er schlenderte langsam über den knirschenden Asphalt. »Ich hab 'ne Idee.« Er leckte sich über die Lippen und entblößte grinsend seine Zähne. »Wir fangen den in der Pause ab und machen ein bisschen Spaß mit ihm. Du kommst zufällig vorbei, gehst dazwischen und rettest ihn. Dann ist er quasi verpflichtet, wieder mit dir abzuhängen. Wegen Dankbarkeit und so.«

Lorraine zupfte am Ärmel ihrer Strickjacke. »Hm«, machte sie. Nur langsam stieg sie in das Grinsen mit ein. »Wenn du meinst.«

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Die ersten drei Schulstunden zogen sich noch länger als üblich. Vermutlich lag es daran, dass Merlin nicht auf Lorraines Gesprächsversuche einging. Sie brachte sogar Themen zutage, die ihn eigentlich hätten interessieren müssen. Irgendwelchen Scheiß über Musik. Aber er hat nur lieblos geblinzelt und ein halbherziges Lächeln aufgebracht. Was für ein nachtragender Spinner.

Immer wieder wallten Gespräche im Flüsterton auf, aus den Reihen der anderen Schüler. Einzelne Gesprächsfetzen erreichten Lorraine und somit ganz sicher auch Merlin.

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