Kapitel 32: Einsicht

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(POV Lucius)

Melissa und Tristan stützten Lucius, während dieser noch immer zu begreifen versuchte, warum Alois mit Merlin in dem Parkhaus stand. Er hakte sich mehr bei Tristan ein, als dessen Schwester sich ihrem Smartphone widmete.

Sie hielt es an ihr Ohr und lauschte. Für einen Moment ging ein Seufzen durch ihren Körper, ehe sie nickte. »Verstanden.«

Im nächsten Augenblick widmete sie sich den beiden Männern. Ihre Augenbrauen waren entschuldigend verzogen. Die Schultern hingen herab. Sie steckte das Smartphone weg, ihre Hand kam dafür mit einem Messer aus der Tasche zurück.

Instinktiv wich Lucius zurück. Was hatte sie damit vor?

»Keine Zeit für Erklärungen«, flüsterte die rothaarige Frau. »Tut einfach so, als würde er sterben.«

»Gehts noch?«, krächzte Tristan im Flüsterton, während Melissa das Messer hinter Lucius' Rücken verschwinden ließ. Sie stach zu, aber sanft.

Der Angegriffene spürte ein Stechen zwischen den Rippen. Die Spitze der Waffe bohrte sich in die oberste Hautschicht. Kurz bevor er wirklichen Schmerz spürte, stoppte der Eingriff und Melissa zog das Messer zurück. Ihr Blick war fordernd. Jetzt, schien sie sagen zu wollen.

Lucius verstand, nickte und stieß einen ersticken Schrei aus. Er krallte sich in Tristans Pullover fest und sah ihm eindringlich in die Augen. Er ließ sein Gewicht hängen, als würde ihn die Körperspannung verlassen.

Der Rotschopf zögerte. Schauspielerei war nicht seine Stärke. Er musste sich sichtlich überwinden, aber letztendlich gab er nach. Er sank mit Lucius zu Boden und schrie. Etwas zu dramatisch, im Anbetracht der Umgebung, aber immerhin.

Melissa steckte das Messer weg und entfernte sich von den beiden, in Richtung Parkhaus. Dort ertönte Merlins Stimme, als schockierter Ruf, die kleinere Silhouette entfernte sich vom Rand des Parkdecks. Kurz darauf auch die andere.

»Was soll das bringen?«, zischte Tristan, wurde aber unterbrochen, als sich mehrere Personen vor dem Eingang der Notaufnahme versammelten. Es waren Patienten, die Frau vom Empfang und ein Rettungssanitäter.

Lucius blickte Letzterem in die Augen und verzog entschuldigend das Gesicht. »Ich hätte nicht aufstehen dürfen«, gab er von sich und deutete auf seine Schulter. »Das war nur ein Schwächeanfall.«

Tristan spitzte die Lippen und nickte beipflichtend. »Ich habe mich erschrocken.«

Eine Patientin rümpfte die Nase. »Und deshalb schreien sie, als würde hier gerade ein Hurrikane aufziehen?«

»Ich neige zu Dramatik, okay?« Der Rotschopf schnaubte echauffiert. »Das würden sie auch, wenn ihr Ehemann vor ihren Augen zu Boden geht.«

Sie verdrehte die Augen. »Nur zu ihrer Info, ich habe eine Ehefrau.« Mit diesen Worten zog sie sich mit einigen anderen in das Gebäude zurück.

Der Sanitäter half Lucius auf die Beine und geleitete ihn zurück in das Krankenhaus. Er wurde von seinem Schützling allerdings aufgehalten, als Alois und Melissa vom Parkhaus her geeilt kamen. In den Armen des alten Mannes lag Merlin.

»Warten Sie«, raunte Lucius und sammelte seine Energie, um auf eigenen Beinen zu stehen. Um seinen Kopf drehte sich alles und es kostete Mühe, aufrecht zu bleiben, deshalb angelte er haltsuchend nach Tristans Hand.

Je näher er kam, desto mehr ließ sich die Unsicherheit in Alois' Augen erkennen. Seine und Lucius' Augen trafen sich für einen Sekundenbruchteil. Sie tauschten Sorge aus. Merlins Zustand schien besorgniserregend zu sein. Was war passiert? Was es auch war, es lenkte den alten Mann von der Tatsache ab, dass Lucius nicht wirklich tot war. Hatte er Melissa nicht den Befehl gegeben?

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