Kapitel 19: Ablenkung

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(POV Tristan)

»Du führst uns auf eine falsche Fährte«, knirschte Melissa und blinzelte über ihre Schulter hinweg Tristan entgegen. »Ich wette, du hattest die beiden in Wirklichkeit die ganze Zeit in deiner Nähe.«

Tristan sah aus dem Fenster des fahrenden Autos und schüttelte den Kopf. »Ziemlich hartnäckig von euch, sie 15 Jahre lang zu suchen.«

»Und verräterisch von dir, 15 Jahre lang vor der Familie unterzutauchen.« In ihren Augen funkelte verdrängter Schmerz. »Wir dachten, du wärst tot.«

»Und ich dachte, ihr wärt zur Besinnung gekommen. Wieso lasst ihr es nicht einfach gut sein?« Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und nickte in eine beliebige Seitenstraße. »Da abbiegen. Jetzt ist es nicht mehr weit.«

»Hör auf uns zu verarschen«, knurrte Melissa und griff dem Fahrer ins Lenkrad. »Fahr rechts ran«, befahl sie diesem und drehte sich herum, um Tristan eindringlich zu mustern. »Wir fahren schon seit Stunden irgendwelchen fadenscheinigen Beschreibungen nach. Du weißt haargenau, wo sich die beiden aufhalten.« Sie hielt inne. »Sind es überhaupt noch zwei? Ich meine ... Hat das Baby überlebt?«

Tristan zuckte mit den Schultern. »Ich habe seit Jahren keinen Kontakt zu ihnen.«

Sie seufzte genervt. »Und warum hast du dich dann nie bei uns gemeldet? Wenn du eh keinen Kontakt mehr zu ihnen hattest?«

»Weil ihr kriminelle, wahnsinnige Wissenschaftler seid, mit denen niemand etwas zu tun haben sollte?« Er zog die Augenbrauen hoch. »Zählt das in eurer Welt nicht als Argument?«

Dieser Äußerung würdigte Melissa keine Reaktion. Sie lehnte sich zum Fahrer herüber und murmelte ihm irgendetwas ins Ohr.

Tristan starrte aus dem Fenster, er versuchte sie zu belauschen. Irgendetwas mit ... Zurück? Er seufzte und kehrte den Blick nach vorne. Der Fahrer musste neu sein, zumindest hatte er ihn noch nie gesehen. Oder? »Wie heißen Sie nochmal?«, fragte er an den fremden Mann gerichtet, bekam aber bloß einen Wimpernaufschlag zur Antwort.

Melissa schnaubte. »Wir fahren zurück. Ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache. Ich weiß nicht, vielleicht ... hast du sie die ganze Zeit über in deinem Haus versteckt. Und wenn dort niemand ist, suchen wir die Nachbarschaft ab.« Sie rümpfte die Nase. »Du bist zwar nicht dumm, aber mit Sicherheit dämlich genug, sie in deiner Nähe zu behalten.«

»Wenn du meinst«, seufzte er und deutete auf die Straße, in welche er sie zuvor lotsen wollte. »Ich weiß nur, dass ich sie damals an dieser Bushaltestelle rausgelassen habe. Keine Ahnung, wo sie gelandet sind. Ich wollte nur, dass sie weitestmöglich aus eurer Umgebung verschwinden.« Er lehnte sich vor, legte seine Hand an seine Brust und setzte einen rechthaberischen Blick auf. »Ich würde mich selbst nicht zur Sicherheitslücke machen, indem ich engen Kontakt zu ihnen pflege.«

»Du willst mir also erzählen, dass du einen Klon, der keine Ahnung von der Außenwelt hatte, einfach ausgesetzt hast?« Sie lachte. »Mit einem Baby, das nur geringe Überlebenschancen hatte?« Ihr Lachen wurde lauter. »Wie kannst du es eigentlich wagen, mir die Dummheit zuzutrauen, das zu glauben?«

Der Fahrer meldete sich brummend zu Wort. »Klon?« Mit geweiteten Augen drehte er sich zu Tristan um. »Darum geht es hier?«

»Ich meinte Klon, wie in Clown«, korrigierte Melissa mit stotternder Stimme. »Manchmal spreche ich das so aus.«

Tristan schüttelte den Kopf und seufzte. Ob er sie für dumm genug hielt, ihm seine Lügen zu glauben? Und ob. Den besten Beweis dafür hatte sie gerade erst wieder geliefert. Sie hatte sich kein bisschen geändert. »Sie müssen einen Bus in Richtung Land genommen haben«, warf er ein und deutete erneut auf die Bushaltestelle. »Dort findet ihr am ehesten einen Anhaltspunkt.«

Der Fahrer sah Melissa erwartungsvoll an. Als sie seufzend mit dem Kopf nickte, fuhr er in Richtung Land. »Manuel«, sagte er und blinzelte durch den Rückspiegel in Tristans Richtung. »Lautet mein Name.«

UnmelodieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt