Unmelodie

Prolog

Eine Melodie ist eine singbare, in sich geschlossene Folge von Tönen. Ein zusammengehörendes Konstrukt aus einzelnen Klängen, die miteinander harmonieren.

Wenn das zwischenmenschliche Miteinander eine Melodie wäre und jeder einzelne Mensch ein Ton, dann wäre Merlin Denecke in dem Lied, das wir Leben nennen, negativ aufgefallen. Weil er nicht zum Rest passte. Weil sein Auftreten einer Unmelodie gleichkam.
Bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr war er von seinem Vater zuhause unterrichtet worden. Die Gesellschaft und den Kontakt zu Gleichaltrigen hat er deshalb nie kennengelernt. Als er beschloss, sich in einer öffentlichen Schule anzumelden, fand er sich in der neunten Klasse wieder. Inmitten von Fremden, die eine andere Version der Normalität lebten, als er. Sie unterhielten sich mit Wörtern, die ihm fremd waren und trugen Kleidung, die Merlin nur aus dem Internet kannte.

Er war fest entschlossen, die andere Normalität kennenzulernen, und stürzte sich motiviert in seinen neuen Alltag. Nicht ahnend, dass die anderen Schüler ihn längst abgestempelt haben.