Harry sah missmutig durch den Gemeinschaftsraum. Sein Blick war auf Tom gerichtet, der auf seinem typischen Platz saß. In den letzten Tagen und Wochen hatte sich Harry als Kater einfach auf Toms Schoß setzen können, doch nun konnte er das nicht mehr tun. Dafür saß nun Evelynn auf Toms Schoß und kicherte. Tom schenkte ihr hin und wieder Aufmerksamkeit, war aber zumeist in sein Buch vertieft.
„Hey, hör auf sie mit deinen Blicken zu grillen und komm mit zur Bibliothek. Wir müssen den Unterricht nachholen, den wir verpasst haben. Und ich weiß, dass du willst, dass er dir hilft, aber er muss nicht. Abraxas hat mir eine Liste mit meinen Themen gegeben und du solltest deine auch haben."
„Habe ich. Und ich versuche gar niemanden zu grillen. Ich mag es nur nicht, wie sie an ihm klebt. Er schenkt ihr ja nicht mal Aufmerksamkeit. Wie kann sie glauben, dass sie ihm irgendwas wert ist? Wirklich, wie kann man sowas annehmen, wenn man so behandelt wird? Man soll doch die wichtigste Person für seinen Partner sein." Harry nahm seine Tasche und stand auf. Bevor er Vicca aus dem Gemeinschaftsraum folgte, warf er Tom noch einen Blick zu und begegnete Toms Blick. Er lächelte und Harry drehte sich mit klopfendem Herzen um.
Die Tür schloss sich hinter ihnen und der Lärm des Raumes wich der Stille des Kerkerganges, bis Vicca nicht mehr an sich halten konnte und laut zu lachen begann. Harry verdrehte die Augen und ging an ihr vorbei, doch wirklich sauer konnte er ihr nicht sein.
„Hey, Green!" Beide blieben stehen und sahen sich nach der Person um, die nach einem von ihnen gerufen hatte. Es war eine junge Löwin, die auf sie zu gerannt kam, vor ihnen die Hände auf die Knie stützte und erst wieder zu Luft kommen musste, ehe sie die Geschwister anlächelte und wieder sprechen konnte. „Ich habe gehört, dass der Schulsprecher euch in einer Folterkammer gehalten haben soll und ihr entkommen konntet. Könnt ihr mir alles erzählen? Jedes kleine Detail? Ich würde so gerne wissen, wie die Folterkammer in den Kerkern aussieht."
„Ich weiß nicht, wo du das gehört hast, aber nein. Es gibt keine Folterkammer in den Kerkern. Und Tom hat nichts damit zu tun, dass ich eine Panikattacke hatte und uns in einen Raum eingeschlossen habe. Wenn du schon tratscht, dann kenne wenigstens deine Fakten. Kennst du sie?" Vicca wand sich Harry zu, doch der zuckte nur mit den Schultern.
„Ich habe sie noch nie gesehen. Habe einen guten Tag. Und bitte hör auf so seltsame Sachen zu erzählen." Harry lächelte ihr zu und ging um sie herum. Vicca folgte ihm und sie ließen das Mädchen wie eine Statue mitten im Gang stehen. „Manchmal frage ich mich wirklich, was in den Köpfen hier vorgeht. Als ob wir wirklich eine Folterkammer in den Kerkern hätten."
„Die Fantasie der hochwohnenden scheint gerne in den Kerkern zu sein. Warum sollte die Folterkammer nicht in einem der Türme sein. Die Kerker sind doch so klischeehaft." Vicca verstellte ihre Stimme und Harry neben ihr kicherte.
„Schon, aber die anderen Häuser laden einander wohl ständig ein, sodass die alles über sich wissen. So stelle ich mir das zumindest vor, immerhin wird über die nicht so getratscht. Und warum alle so der Meinung sind, dass Tom etwas mit unserem Verschwinden zu tun hätte. Ich meine, warum? Er ist Schulsprecher, die Lehrer vertrauen ihm. Wieso tun es die anderen Schüler dann nicht?"
„Kann ich dir nicht sagen. Ich finde das nämlich genauso komisch wie du. Aber wie auch immer. Wir wissen beide, dass Tom nichts damit zu tun hatte und nur wir etwas dafür können, dass wir verschwunden sind. Schon gut, wir werden still sein." Vicca verdrehte die Augen, sagte aber nichts weiter, sondern betrat die Bibliothek wortlos.
Beide suchten die Bücher, die ihre Klassenkameraden ihnen empfohlen hatten, und setzten sich damit an einen leeren Tisch. Vicca arbeitete sich schneller als Harry durch ihren Stapel, doch immer wieder wand sie sich ihm zu und half ihm, wenn er Probleme mit seinem Verständnis hatte. Gemeinsam schafften sie ein ordentliches Tempo und als Vicca sich streckte, war es bereits Zeit zum Mittagessen.
Ihre Sachen zusammengepackt, räumten sie die Bücher zurück und machten sich auf den Weg zum Essen, leise ihre Lerninhalte diskutierend. Um sie herum breitete sich das Summen anderer Gespräche aus, die sie nicht interessierten, als andere ebenfalls auf dem Weg zum Essen waren. Der Geruch des Essens breitete sich aus und Viccas Magen grummelte laut.
Harry neben ihr lachte. „Wir gehen ja schon Essen. Du musst wirklich nicht nochmal extra darauf hinweisen."
„Oh, ha, ha, ha. Sehr lustig, Bruderherz. Aber du hast Recht. Ich habe Hunger. Also komm." Vicca beschleunigte einen Schritt und hüpfte die große, ausladende Treppe hinunter, die zur Eingangshalle mündete. Der verführende Duft des Essens ließ ihren Mund schon wässrig werden.
„Yuan! Deliah! Wartet mal!" Deliah seufzte, als sie eine männliche Stimme hörte, die ihren Decknamen rief. Genervt und hungrig drehte sie sich um und hätte am liebsten so getan, als hätte sie es nicht gehört, als sie Franklin Longbottom sah, der auf sie zu eilte. Als sie die Flecken auf seiner Uniform sah, hätte sie am liebsten die Augen verdreht, ließ es dann aber.
„Wie kann ich dir helfen, Longbottom? Wir würden gerne Mittagessen gehen. Und bitte unterlasse es, uns beim Vornamen zu nennen. Du hast keinerlei Erlaubnis das zu tun." Am liebsten hätte sie ihm ganz andere Worte um den Kopf gehauen, doch sie beherrschte sich.
Franklin blieb stehen, als wäre er in eine Mauer gelaufen. „Ähm... Ja klar. Ich wollte aber mit euch reden und habe euch heute noch gar nicht gesehen." Er rieb sich den Nacken und sah ziemlich schelmisch aus.
„Meiner Meinung nach hätte das auch so bleiben können." murmelte Harry beinahe unhörbar.
„Hast du was gesagt?" harkte Franklin nach, doch Harry winkte ab. Das wollte er nun wirklich nicht wiederholen. Er hatte das Gefühl, dass er eh schon nicht mögen würde, was Franklin zu sagen hatte. Ein Seitenblick zu Vicca zeigte ihm, dass er da nicht allein war.
„Was wolltest du denn nun?" Ungeduldig tippte Vicca mit der Fußspitze auf den Boden und trommelte mit den Fingern aus ihren verschränkten Armen. Ihr Bauch rumorte wieder und sie warf einen sehnsüchtigen Blick zur großen Halle, aus der noch immer verführerische Schwaden herüber waberten.
„Ähm. Ach ja. Ich soll euch von Professor Dumbledore ausrichten, dass ihr euch immer an ihn wenden könnt. Er kann euch vor allen beschützen, auch wenn die Gefahr in eurem Haus lauert. Er würde zu gerne wissen, wo ihr während der letzten Zeit wart, damit er zukünftige Schüler besser davor beschützen kann, zu verschwinden. Auch wenn andere Schüler dahinterstecken."
„Wie oft noch?! TOM HAT DAMIT NICHTS ZU TUN! WIR ALLEIN SIND DAFÜR VERANTWORTLICH! HÖRT ENDLICH MIT DEN GERÜCHTEN AUF! WENN NOCH IRGENDJEMAND MIT SO EINER DUMMEN AUSSAGE KOMMT, DANN WERDET IHR HERAUSFINDEN, WIE GUT ICH ZAUBERN KANN! HABEN WIR UNS VERSTANDEN!?" Harry sah Franklin sauer an und sein Blick wanderte von diesem zu den anderen Schülern, die stehen geblieben waren und die Gruppe beobachtete.
Alle nickten eingeschüchtert und erst dann schien Harry zufrieden. „Komm. Lassen wir uns von diesen Leichtgläubigen nicht das Essen vermiesen. Wie kann man nur einfach so Gerüchten glauben? Als könnte man keine Fragen stellen und nachdenken." Er harkte sich bei Vicca ein und gemeinsam ließen sie die Schüler zurück. Die starrten den beiden nach, die die große Halle betraten und aus ihrem Blickfeld verschwanden.
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Fatum
FanfictionHarry und seine beste Freundin Vicca spielen Anfang seines sechsten Jahres das Spiel Fatum, dass sie in der Kammer des Schreckens gefunden haben. Mit der Gewissheit jederzeit zu sterben stürzen sie sich in das Spiel.