Aus dem Käfig entkommen

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Vicca sah von ihrem Buch zur Tür und dann wieder auf ihr Buch. Nur Momente später sah sie wieder zur Tür, runzelte die Stirn und sah wieder auf ihr Buch. Abraxas sah sich das eine Weile an, doch dann legte er eine Hand auf ihren Arm und wartete, bis Vicca ihn ansah. „Was ist los?"

„Ich... Yuan ist noch nicht wieder da. Er sollte aber schon wieder da sein. Und mit den ganzen Sachen, die die Löwen in letzter Zeit ziehen. Ich mache mir Sorgen. Ich versuche mich davon abzuhalten nach ihm suchen zu gehen." Sie sah immer wieder von Abraxas zum Eingang des Gemeinschaftsraumes.

„Okay." Abraxas stand auf und hielt Vicca eine Hand hin.

Sie sah ihn verständnislos an. „Bitte was?"

„Du machst dir Sorgen um ihn und das wird sich nicht ändern, bis du ihn gefunden hast. Also komm. Wir gehen ihn suchen." Abraxas lächelte sie an und Vicca ergriff seine Hand. Das Buch weglegend, ließ sie sich auf die Beine ziehen und gemeinsam verließen sie den Gemeinschaftsraum. Die Kerkergänge waren still und wie meistens düster.

„Weißt du, wo er hinwollte?"

„Nein. Aber da sind genug Plätze, wo er sein könnte. Ich nehme nicht an, dass er in der Bibliothek ist. Tom ist ja nicht da und ich bin es auch nicht und allein würde er da eher nicht hingehen. Aber er mag Höhen. Also vielleicht in einem der Türme? Oder auf dem Gelände. Er ist gerne draußen." Von der Treppe zur Eingangshalle warf Vicca einen Blick zu der großen Flügeltür, die aufs Gelände hinausführte.

„In Ordnung. Ich gehe aufs Gelände. Es wird draußen schon dunkel und ich will dich nicht im Dunkeln auf dem Gelände wissen. Du geht seine Plätze absuchen. Wenn einer von uns ihn findet, dann bringen wir ihn wieder hier her und warten auf den anderen." Vicca nickte auf Abraxas Vorschlag hin und durchquerte die Halle eilig. Sie rannte die Treppen beinahe nach oben, ihr Herz heftig in ihrer Brust schlagend. Irgendetwas lag ihr schwer im Magen.

Sie konnte nicht anders als zu schaudern, als sie durch die leeren Gänge eilte, in denen sie nur das Echo ihrer eigenen Schritte hören konnten. Die oberen Ebenen der Schule sollten nicht still sein. Sie machten ihr Angst, wenn sie es waren. Das einzige Mal, dass sie diese Gänge so leer erlebt hatte, war als sie und Harry angegriffen worden waren und man ihr mehrere Rippen gebrochen hatte.

Ihre Schritte wurden langsamer und ihr Atem schnell. Mit einer Hand stützte sie sich an einem Fensterrahmen ab, beugte sich vorne über und würgte trocken. Ihre Gedanken rasten und drehten sich immer schneller in ihrem Kopf. Sie kniff die Augen zusammen, um sich gegen den Ansturm der Bilder zu wehren, doch es half nicht. Wenn überhaupt, machte es das Ganze nur schlimmer.

Sie riss die Augen wieder auf, als die Bilder ihr immer wieder die Momente vorspielte, als ihre Rippen brachen. Es war so klar, dass sie glaubte, den Schmerz erneut zu spüren. So fest sie konnte, schloss sie die Hand um den kalten Stein und versuchte ihre Atemzüge zu normalisieren. Langsam, aber sicher konnte sie wieder klar denken.

Sie richtete sich auf, atmete mehrmals tief durch und machte sich dann wieder auf den Weg. „Denk an ihn. Du willst ihn finden. Er braucht vielleicht deine Hilfe. Nicht ablenken lassen. Das sind nur Erinnerungen." murmelte sie vor sich hin, während sie einen der Türme erkundete, doch Harry war nicht dort.

Sie machte sich auf den Weg zum nächsten Turm, als sie vor sich ein Licht aufflammen sah. Es kam aus einem Seitengang und die gelbe Farbe des kurz aufflammenden Lichts verriet ihr, dass es sich um einen Zauberspruch handelte. Sie stoppte ihre Schritte und war ein paar Momente wie erstarrt, bis sie ein grünes Licht sah und glaubte, ihr Herz sei stehen geblieben. Der folgende Schmerzlaut machte ihr klar, dass es nicht der Avada gewesen war, wie sie zunächst gedacht hatte.

Sie konnte ihre Füße endlich wieder dazu bringen, sich zu bewegen und sie rannte zu der Ecke. Dahinter fand sie Harry, aber er war nicht allein. Um ihn herum standen andere Schüler und die warfen mit Zaubern auf ihn. Wo sein Zauberstab war, konnte sie nicht sagen, aber er schien keine Möglichkeit zu haben sich zu wehren, während die bunten Zauber auf ihn einprasselten.

„Lass das!" Vicca konnte kaum glauben, dass der schrille Schrei von ihr gekommen war. Ohne nachzudenken, hatte sie ihren Zauberstab gezogen, auch wenn sich das polierte Holz ungewohnt und fremd in ihrer Hand anfühlte.

Sie spürte die Blicke auf sich. Alle starrten sie an. Dann aber begannen sie zu lachen. „Warum sollten wir? Wir treiben diesem Schwarzmagier seine Magie schon aus! Du bist ein Teufelswerk! Eine Gefahr für die Magie! Wer glaubt schon die Lügen eines Schwarzmagiers?!" Lachend warf Harold Potter noch mehr Zauber auf Harry.

Viccas Gedanken wurden in Erinnerungen gezogen. Es war nicht Harry, der in der Mitte war. Es waren keine Weißmagier, die ihn angriffen, weil er ein Schwarzmagier war. Es war ihr Bruder und die Kirchenleute, die ihn zu Tode exorzierten. Vor ihrem inneren Auge vermischten sich beide Bilder. „HÖRT AUF!"

„Wer soll uns denn dazu bringen? Du? Du kannst keinen Zauber wirken! Elende Schwarzmagier."

„Vi! Hab keine Angst! Du hast eine Wahl! Magie... Ahhhh. Ma...magie ist nicht böse! Sie kann genutzt werden, um zu verteidigen!" Harrys Worte drangen durch den Nebel in Viccas Gedanken. Sie zerfraßen die Erinnerung und schienen den Käfig in ihrem Inneren zu zerfressen. Der Käfig, den sie selbst um ihre Magie errichtet hatte. Vicca spürte, wie eine alte Kraft durch ihren Körper schosss und mit ihren Gefühlen im Einklang wirbelte. Im Moment war es kochend heiße Wut, die mit ihrer Magie verschmolz und sie schon beinahe dazu drängte, sie frei zulassen.

„ICH HABE GESAGT, IHR SOLLT DAS LASSEN!" Vicca explodierte beinahe, als ihre angestaute Magie sich ihren Weg aus ihrem Körper suchte. Der Gang füllt sich damit und wie Glitzer funkelte sie in der Luft. Vicca aber hatte dafür keinen Blick. Sie hob ihren Zauberstab und ließ Zauber nach Zauber auf die Angreifer niederregnen. „Ich werde meinen Bruder beschützen!"

Es fühlte sich natürlich an, als wäre in ihr ein Fluss, der ungebremst aus ihr herausströmen würde, mit jedem einzelnen Zauber. Sie musste nicht nachdenken, welchen Zauber sie wirkte oder wie er funktionierte.

„Du bist ja verrückt!" Vicca interessierte das nicht. Sie war zufrieden damit, dass die Jungs die Beine in die Hände nahmen und rannten, als wären Höllenhunde an ihren Fersen. Sie sah ihnen nach, bis sie sicher war, dass sie wirklich verschwunden waren, dann eilte sie zu Harry.

„Bist du okay? Oh Hilfe. Du musst in die Krankenstation? Was ist passiert? Wieso warst du allein? Ich hätte mit dir gehen sollen." Vicca traute sich nicht einmal ihn anzufassen. Überall an ihm sah es aus, als wäre er verletzt. Rissen in seinen Klamotten, Blut, dass diese braun färbte.

„Es ist nicht so schlimm wie es aussieht, Vi. Es sind nur oberflächliche Verletzungen. Aber ich bin so stolz auf dich. Du hast Magie gewirkt, ohne zu zögern. Du sahst aus, als hättest du keine Angst. So stolz." Harry sah Vicca an, die grünen Augen strahlend, doch dann schlossen sie sich und sein gehobener Kopf fiel zu Boden.

„Harry! Harry! Oh, shit." Vicca wusste erst nicht, was sie tun sollte, bis sie beschloss ihn in die Krankenstation zu schaffen, auch wenn sie es nicht wirklich mochte. Er mochte es dort nicht und sie nicht. Aber jetzt brauchte sie professionelle Hilfe.

FatumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt