𝐯𝐢𝐞𝐫𝐮𝐧𝐝𝐝𝐫𝐞𝐢ß𝐢𝐠 / Liz

366 28 0
                                    

𝐒𝐈𝐑𝐈𝐔𝐒 Wohnung war ... gewöhnungsbedürftig. Die Einzimmerwohnung lag mitten in einer Zauberer-Kleinstadt namens Witherspooning, in der es vermutlich gerade mal drei Geschäfte gab. Schon als sie das große moosgrüne Gebäude betraten, waren die Nachbarn, die sich unnötig laut unterhielten, kaum zu überhören. Ja, man müsste schon taub sein, um nicht mitzubekommen, dass das Wasser schon wieder eiskalt war und ein gewisser Conrad doch bitte die Vermieter anrufen sollte. Sirius Wohnung lag im fünften Stock und war damit in der zweitletzten Etage. Es war kaum möbliert, lediglich die Küche und das Bad waren eingerichtet, doch das Zimmer, das gleichzeitig Wohnzimmer und Schlafzimmer war, war groß genug, um sich nicht eingequetscht zu fühlen.

„Ich sagte ja, es ist noch nicht viel drin", sagte Sirius über das Knarzen der Decke hinweg. Die Nachbarn im Dachgeschoss mussten wohl Stepptänzer sein, so wie sich das anhörte. Liz ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, zuckte schließlich jedoch nur mit den Achseln. Ihr wäre es auch egal, wenn sie unter einer Brücke schlafen müsste. Hauptsache sie musste nicht alleine in dem großen Haus ihrer Grandma sein. Das brachte sie nicht über sich. Sie schloss kurz die Augen. Sie hielt es kaum aus auch nur über ihre Großmutter nachzudenken. Sie hatte es noch immer nicht realisiert, sie fühlte sich taub, abgesehen von einem bohrenden Drücken, das sich durch ihre Brust zog. Sie brachte es nicht einmal zustande, Sirius ein gekünsteltes Lächeln zu schenken, damit er sich nicht mehr so schlecht fühlte. Sie schaffte gar nichts mehr.

„Brauchst du etwas?", wollte Sirius wissen und sie öffnete ihre Augen wieder. Besorgt blickte er sie an und sie brach den Blickkontakt ab, ehe sie sich räusperte und „Nein, danke" krächzte. Diese Blicke voller Sorge und Mitleid - sie waren unerträglich. Als wäre er so hilflos und wüsste nicht, was er sonst tun sollte, als ihr diese Blicke zu schenken. Natürlich wollte er nur das beste für sie, doch sie wünschte sich, dass er sie einmal nicht ansehen würde, als hätte er Angst, dass sie zerbrach wie ein dünnes Stück Porzellan.

„Willst du etwas essen? Ich kann etwas kaufen gehen", bot er an. Liz war kurz davor den Kopf zu schütteln. Sie hatte schon lange keinen Hunger mehr und auch keinen Appetit. Doch Sirius flehender Blick, den er angestrengt hinter einem sanften Lächeln zu verstecken versuchte, hielt sie davon ab. „Okay, klar", antwortete sie deshalb und Sirius Lächeln wurde kaum merkbar breiter.

„Stell nichts an, solange ich weg bin", witzelte er, winkte ihr zum Abschied zu, ehe er durch die Eingansgtür schlüpfte und sie in der leeren Wohnung alleine ließ. Für ein paar Momente stand Liz unsicher im Zimmer herum, dann trat sie an das kleine Fenster, das die kleine Einkaufsallé zeigte und blickte hinab. Sie sah Sirius braunen Haupt hinterher, wie er dich eilig an den Menschen vorbei quetschte. Ein paar Frauen sahen ihm hinterher, Liz konnte erkennen, wie sich ihre Köpfe drehten und es wunderte sie nicht. So einen Schönling wie Sirius sahen die Damen wohl nicht alle Tage.

Liz wandte sich vom Fenster ab, drehte ein paar stille Runden in der kleinen Wohnung und fand sich schließlich im Badezimmer wieder. Es war winzig, hatte gerade mal Platz für eine Toilette, Waschbecken und eine schmale Dusche. Über dem Waschbecken hing ein Spiegel und daneben ein kleiner Medizinschrank. Liz trat vor den Spiegel und blickte sich selbst entgegen. Die braunen Augen wirkten trüb und das dunkle Haar kraftlos und platt. Ihre Haut war noch blasser als sonst und sie hatte Schatten unter den Augen. Sie wirkte kränklich. Kein Wunder, dass Sirius sie immer so besorgt ansah.

Sie trat noch näher an ihr Spiegelbild heran, betrachtete die wenigen hellbraunen Sommersprossen auf ihrer Nase die durch ihre fahle Hautfarbe nun sichtbarer als je zuvor waren. Früher wären sie ihr nie wirklich aufgefallen oder sie hätte sie einfach nicht beachtet, doch jetzt, wo sie sich nur noch an das Gesicht ihrer Grandma, deren Nase mit denselben Sommersprossen besprenkelt war, erinnern konnte und es nie wieder sehen würde, stachen sie ihr ins Auge als wären sie grell am leuchten. Sie konnte sie sogar zählen. Sie war gerade bei 28 angekommen, als die Badezimmertür mit einem Ruck aufgerissen wurde.
Erschrocken schrie Liz auf und wirbelte herum.

„Lizzie, Gott sie Dank, ich hab dich nicht gefunden - ich dachte -" Schwer atmend brach Sirius ab und ließ die Türklinke los. Er fuhr sich durch die Haare, seine Hände zitterten.

„Sirius, was ist denn los?", fragte Liz atemlos und presste sich die Hand auf die Brust, um ihr heftig hämmerndes Herz zu beruhigen, während sie ihm aus dem Bad in die Küche folgte. Er legte einen Stapel frischer Pizzen auf die Küchenzeile und schälte sich aus seiner Jacke. Er war völlig verschwitzt. „Hast du einen Sprint hingelegt? Was ist denn passiert?", wollte sie wissen und berührte ihn sachte am Arm.

„Es ist nichts passiert - zum Glück. Mir ist nur spät eingefallen, was hätte passieren können und dann ... ich hatte - " Er schien völlig aufgelöst. Er zuckte unbeholfen mit den Achseln. „Ich bin einfach froh, dass es dir gut geht", seufzte er und sah sie ernst an.

Verwirrt entgegnete sie seinem Blick. „Was hätte denn passieren sollen?" Verlegen brach Sirius den Augenkontakt ab und zuckte wieder mit den Schultern. „Naja ...", begann er und schien sich seine Wort zu überlegen, „manchmal, wenn man trauert, dann ... dann kommen unschöne Gedanken ... und ... ich hätte dich nicht alleine lassen sollen." Er griff nach den Pizzaschachteln und öffnete eine davon, sodass er ihr den Rücken zuwendete und sie somit sein Gesicht nicht mehr sehen konnte. Sie starrte auf sein verschwitztes Shirt.

„Dachtest du ... ich tue mir etwas an?", hakte Liz sachte nach und Sirius antwortete nicht. Das war jedoch Antwort genug. Ein Klos bildete sich in ihrem Hals und sie schluckte hart. Dann trat sie an ihn heran und schlang von hinten ihre Arme um seinen Bauch. Zuerst zuckte Sirius überrascht zusammen, dann entspannte er sich jedoch und strich ihr sanft über die Hand.

„Denk das bitte nie wieder", bat Liz dumpf und presste ihre Wange an seinen warmen Rücken. „Nie wieder."
„Wenn du mir versprichst, es niemals zu tun", entgegnete er leise.
„Versprochen."
„Kleiner-Finger-Schwur?"
„Kleiner-Finger-Schwur", versprach sie und hakte ihren kleinen Finger bei seinem ein, der noch immer auf seinem Bauch lag.

Eine Weile standen sie so da, nahmen die Wärme und Berührung des anderen wahr. Liz schloss die Augen und atmete tief ein. Dabei stieg ihr der würzige Duft der Pizzen in die Nase. Ihr Magen meldete sich grummelnd und Sirius Bauch zuckte, als er begann zu lachen.

„Da hat wohl jemand Hunger", meinte er und Liz löste ihre Arme von seinem Bauch.
„Ein bisschen vielleicht", gab sie zu.
Das erste leichte Lächeln seit heute Morgen schlich sich auf ihre Lippen.

***

𝐚𝐛𝐨𝐮𝐭 𝐚𝐭𝐭𝐚𝐜𝐡𝐦𝐞𝐧𝐭 & 𝐚𝐧𝐭𝐚𝐠𝐨𝐧𝐢𝐬𝐦 | 𝐑𝐮𝐦𝐭𝐫𝐞𝐢𝐛𝐞𝐫Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt