Anna
„Was für ein Tag!" Anna ließ sich mit einem Glas Weißwein in der Hand auf die Couch im Gemeinschaftsraum fallen. Riley setzte sich ihr gegenüber in einen der Sessel. Anstatt Wein trank er jedoch Bier, das Anna ihm wie versprochen ausgegeben hatte.
„Wem sagst du das. Ich wäre echt gerne schneller bei dir gewesen, aber leider musste ich ja die Neue herumführen", erwiderte er und schaute Anna mit seinen blaugrauen Augen direkt in ihre. Dieser Blick... in dem könnte sie sich verlieren. Je nachdem, wie das Licht auf seine Augen fiel, erschienen sie eher blau oder grau. So eine Farbkombination hatte sie zuvor noch nie gesehen. Rileys Augen waren wirklich etwas Besonderes.
„Anna? Hörst du mir zu?" Seine Stimme holte sie zurück in die Wirklichkeit.
„Ähm, ja. Klar... Wie ist die Neue denn so?", fragte sie schnell und fokussierte ihr Weinglas in der Hand, um sich von Rileys Augen loszureißen.
„Ach, eigentlich scheint die ganz in Ordnung zu sein. Sie hat hier als Lifecreatorin angefangen. Wir haben uns auf dem Weg zu ihrer Wohnung ganz gut unterhalten. Es ärgert mich nur, dass Mr. Johnson die Arbeit auf mich abgewälzt hat. Als hätte ich gar nichts zu tun", antwortete er.
„Er ist eben einer der Chefs und kann sich das erlauben. Außerdem sind wir doch trotzdem gut voran gekommen", erwiderte sie.
„Ja, aber, wenn ich früher bei dir gewesen wäre, hätten wir die Lösung für das Problem vielleicht jetzt schon und müssten später nicht nochmal ins Labor", meinte er.
„Schon, aber wir sind doch eigentlich sowieso fast immer dort", sagte Anna und nippte an ihrem Glas.
„Leider...", murmelte Riley und trank einige Schlucke aus der Bierflasche.
„Was meinst du?" Anna hatte sein Gemurmel mitbekommen, aber leider nicht verstehen können, was es gewesen war.
Riley schaute sie kurz ernst an und überlegte, bevor er ihr eine Antwort gab.
„Wir sind jeden Tag im Labor. So etwas wie Feierabend haben wir nicht. Ständig sind wir mit unseren Gedanken dort. Jetzt doch auch. Stört dich das nicht?"
„Sie zwingen uns doch nicht dazu. Es steht dir frei Feierabend zu machen oder am Wochenende etwas anderes zu unternehmen." Verwundert blickte sie ihn an.
„Zwingen tun sie uns nicht, das stimmt, aber trotzdem wird es doch stillschweigend irgendwo erwartet. Anders könnten wir die Deadlines doch auch kaum einhalten", erwiderte er.
„Warum arbeitest du dann überhaupt hier, wenn es dich scheinbar so sehr stört?", fragte Anna. Sie verstand wirklich nicht, was er hatte. Wenn er die Arbeitsbedingungen hier nicht leiden konnte, stand es ihm doch frei, woanders anzufangen. Auch, wenn sie das wirklich schade finden würde, da sie Riley mittlerweile sehr gerne mochte. Vielleicht schon mehr als ihr lieb war...
„Die Arbeit macht mir ja sehr viel Spaß und gefällt mir gut. Ich habe die Möglichkeit an Projekten mitzuwirken, von denen ich vor ein paar Jahren nur zu träumen gewagt habe. Trotzdem würde ich mal etwas anderes machen. Gerne auch mit jemanden zusammen", antwortete er und blickte Anna dabei direkt an. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass er sie mit „jemanden" meinte.
„Mit mir?", hakte sie leicht unsicher nach.
„Erraten. Wir haben täglich zusammen, haben aber noch nie privat etwas zusammen gemacht", erklärte er.
„Da hast du recht, aber...", fing sie an.
„Willst du mir sagen, dass du noch nie darüber nachgedacht hast?" Jetzt schaute er sie verwundert an.
„Naja, ich bin halt mit meinen Gedanken eigentlich immer im Labor. Entweder denke ich darüber nach, wie die neuesten Testergebnisse wohl ausfallen werden, wie man den Happiness Chip besser gestalten kann oder eben wie man die Ausschüttung der Neurotransmitter verbessern kann. Außerdem möchte ich irgendwann unbedingt mal an einem der Projekte in Labor fünf mitwirken. Deswegen muss ich dieses Problem auch unbedingt bis morgen gelöst haben, damit Dr. Evelyn sieht, dass ich gut und bereit dafür bin. Ich habe sogar eine kleine Präsentation dafür vorbereitet", meinte sie.
„Du bist verrückt", seufzte Riley, sah sie aber mit einem verschmitzten Lächeln an.
„Kann ich dir die Präsentation vielleicht einmal zeigen und du sagst mir deine Meinung dazu?", fragte sie hoffnungsvoll und holte ihren Laptop aus der Tasche.
„Okay. Aber nur unter einer Bedingung", willigte er nach einer kurzen Pause ein.
„Und die wäre?"
„Nächstes Wochenende unternehmen wir etwas zusammen. Privat. Kein Labor, keine Tests, nur Spaß, Deal?", schlug er vor.
„Aber meinst du wirklich, dass...", fing Anna an.
„Möchtest du, dass ich mir deine Präsentation nun anschaue?", unterbrach er sie.
„Naja... gut, einverstanden. Deal", stimmte sie schließlich zu.
„Na, dann lass mal sehen", sagte Riley und setzte sich neben Anna auf die Couch, die ihren Laptop schon auf dem Schoß hatte.
Anna lief über das Firmengelände Richtung Labor. Sie wollte bis morgen unbedingt das Problem der Ausschüttung der Neurotransmitter vollständig gelöst haben. Dann wäre auch ihre Präsentation fertig und sie könnte Dr. Evelyn Brown beweisen und zeigen, was sie kann. Das würde ihre Chancen für ein Labor 5 – Projekt sicherlich erhöhen.
Sie musste wieder an Riley denken. Es war schon süß, wie er sie dazu überredet hatte, am nächsten Wochenende mit ihm zusammen etwas zu machen. Riley war derjenige gewesen, mit dem sie sich von ihrem ersten Tag an gut verstanden hatte. Er war außerdem immer für sie da und half ihr, wenn sie Hilfe brauchte. Eigentlich war es wirklich komisch, dass sie noch nie etwas zu zweit unternommen hatten, dass nichts mit der Arbeit zu tun hatte.
Ob Anna wollte oder nicht, aber sie musste sich eingestehen, dass sie ihn sehr mochte und langsam anfing mehr als nur freundschaftliche Gefühle für ihn zu entwickeln. Sie fragte sich, ob das so gut war. Immerhin waren sie Arbeitskollegen. Wenn sie ein Paar werden würden und es Probleme in der Beziehung gab, könnte sich das auch auf die Arbeit auswirken. Beziehungen unter Mitarbeitern konnten so kompliziert werden. Andererseits kann man gegen Gefühle wenig machen. Wenn man sich aussuchen könnte, in wen man sich verliebt, wäre das Leben manchmal definitiv einfacher. Wobei es dann auch deutlich langweiliger wäre.
Sie musste wieder an Rileys Augen denken, die sie einfach nicht aus ihrem Kopf bekam. Sie hatte so einen intensiven Blick noch nie zuvor von jemanden bekommen. Es war fast so, als würde er durch ihre Augen direkt in ihre Seele blicken. Bei ihm hatte sie das Gefühl sich fallen lassen zu können und fühlte sich geborgen und sicher.
In diesem Moment blieb Anna stehen und bemerkte es: Warum fiel ihr das erst jetzt auf? Sie war bereits bis über beide Ohren in Riley verliebt. Leugnen war zwecklos. Ob sie es wollte oder nicht. Seufzend setzte sie ihren Weg zum Labor fort. Wie sollte sie sich ihm gegenüber denn jetzt verhalten? Änderte das überhaupt etwas?
Dann kam der nächste Schock: das Wochenende. Was sollte sie anziehen? Und was war das überhaupt für ein Treffen? War das vielleicht sogar ein... Date?
Anna wusste nicht, wie sie mit diesen Gefühlen umgehen sollte. Ihr Leben hatte sich meistens um die Forschung gedreht und nie viel um das Thema Männer. Sie hatte zwar einige Dates und auch die ein oder andere Beziehung gehabt, aber dieses Mal war es anders. Ernster.
Mit den ganzen Fragen im Kopf betrat sie schließlich das Labor. Genau deswegen war Verliebtsein nicht gut – zumindest aktuell nicht. Wie sollte sie sich auf die Lösung des Problems konzentrieren, wenn sie mit ihren Gedanken ständig bei Riley und ihren Fragen war? Jetzt, wo sie sich über ihre Gefühle im Klaren war, fiel es ihr deutlich schwieriger sich auf andere Dinge zu fokussieren. Es war einfacher, als ihr das noch nicht so bewusst gewesen war. Aber was sollte sie machen? Ihr blieb nichts anderes übrig, als weiterzumachen.
Gerade als sie die Tür zu ihrem persönlichen Labor öffnete, um sich wieder in die Arbeit zu stürzen, hörte sie ein lautes Poltern. Anna blieb stehen und horchte auf. Sie sah sich um, doch konnte niemanden entdecken. Dann blieb ihr Blick am Eingang zu Labor 5 hängen.
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Happiness Plus
Science Fiction"Happiness-Plus-Chip, der": Die Weiterentwicklung des Happiness-Chips, der in das menschliche Gehirn implantiert wird und dem Träger zu einem glücklicheren Leben verhilft. Durch ihn werden Depressionen bekämpft. Die Happy N.E.S. Company ist die erfo...