Kapitel 7: Chipmedizin

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May

„Haben Sie sich denn schon einigermaßen gut eingelebt?", fragte mich Mr. Johnson, der sich hinter seinen Schreibtisch in seinen großen Bürostuhl gesetzt hatte. Ich hatte ihm gegenüber Platz genommen.

„Der erste Tag war wirklich aufregend gewesen. Hier ist alles so anders. Also, ich meine natürlich im positiven Sinne", antwortete ich.

„Sie dürfen gerne ehrlich sein, May", erwiderte er lächelnd.

„Ich meine das ehrlich. Es war am ersten Tag manchmal ein bisschen viel. So viele neue Eindrücke und die Happy N.E.S. Company ist ja auch nicht wie die anderen Arbeitgeber", meinte ich.

„Was genau ist denn anders bei uns?" Mr. Johnson sah mich neugierig an.

„Naja, Sie lassen uns Mitarbeitern sehr viel Freiraum. Es gibt keine festen Arbeitszeiten, das Gelände ist riesig und man hat ihr so gut wie alles, was man braucht inklusive einer eigenen Wohnung. Sie haben hier ja sogar ein Fitnessstudio. Das ist wirklich beeindruckend, aber die meisten Arbeitgeber können da nicht mithalten. Doch das wissen Sie selbst ja am besten." Ich kam mir komisch vor ihm das alles aufzuzählen. Er wusste das besser als ich, da er schließlich die Firma mit aufgebaut hatte. Nachdem die drei den Happiness Chip entwickelt hatten, fiel es ihnen doch erstmal ziemlich schwer ihn auf den Markt zu bringen. Die Menschen hatten Zweifel, ob der Chip tatsächlich das tat, was er versprach. Außerdem gab es zu dem Zeitpunkt noch unzureichende Testergebnisse. An Tieren hatte es zwar funktioniert, aber unser Gehirn ist viel komplexer. Als sich die Zahl an Depressionen, Selbstmorden und Straftaten dann jedoch innerhalb eines Jahres verdoppelte, gab die Regierung den dreien eine Chance, die daraufhin unser aller Leben für immer veränderten.

Ich weiß noch, wie ich den einen Abend mit meinen Eltern eine Talkshow gesehen hatte, wo Nicolas Johnson zu Gast gewesen war.

„Sie haben das Leben unserer Gesellschaft nachhaltig verbessert. Wie fühlt sich das eigentlich an, wenn das ganze Land auf einen schaut und sie als Helden sieht?", fragte der Moderator.

„Ich sehe uns weniger als Helden", hatte Mr. Johnson gelacht.

„Wir wollten anderen Menschen helfen und das tut unser Happiness Chip. Er verhilft Generationen zu einem schöneren und erfüllteren Leben. Trotzdem bleibt die Entscheidung natürlich jedem selbst überlassen, ob er unseren Chip nutzen möchte oder nicht", fuhr er fort.

Das war der Punkt gewesen, wo mein Vater den Ton vom Fernseher ausgeschaltet hatte.

„Von wegen, die Entscheidung bleibt jedem selbst überlassen", hatte er losgewettert.

„Frank hat mir heute gesagt, dass sie bei uns in der Firma durch den vielen Ausfall an Mitarbeitern diesen Happiness Chip mittlerweile als Einstellungskriterium eingeführt haben", erzählte er.

„Was? Warum das denn?", fragte ich entsetzt nach. Zu der Zeit war ich der ganzen Sache noch etwas anders gegenüber eingestellt gewesen.

„Weil unsere Wettbewerber uns sonst vom Markt verdrängen!", schrie er nun fast schon.

„Das können die doch aber nicht verlangen", mischte sich meine Mum dann auch ein.

„Du hörst doch, dass sie das können. Und alles nur wegen diesem Kerl und seinen Freunden", sagte mein Vater verächtlich und deutete mit seinem Arm Richtung Fernseher, wo Nicolas Johnson mittlerweile wieder freundlich in die Kamera lächelte. Daraufhin hatte mein Mum die Fernbedienung genommen und den Fernseher komplett ausgeschaltet.

„Die meisten unserer Mitbewerber haben mittlerweile viele Mitarbeiter, die durch den Chip gerne dort arbeiten. Dadurch haben sie kaum Ausfall und konnten ihre Produktivität wieder verdoppeln. Da müssen wir eben irgendwie mithalten, wenn wir nicht vom Markt verschwinden wollen", erklärte mein Dad jetzt wieder etwas ruhiger.

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