Kapitel 22: Der Maskenball

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May

„Das schwarze Kleid steht dir wirklich gut, May." Jenny betrachtete ihr Werk. In der letzten Woche war ich zusammen mit ihr los gewesen und hatte ein schwarzes Kleid sowie eine passende Maske für den Ball heute Abend gekauft. Außerdem hatte sie mir eine schöne Frisur gemacht. Auch Jenny hatte sich ein Kleid gekauft. Im Gegensatz zu meinem leuchtete es jedoch in einem schönen sonnengelb – wie hätte es bei ihr auch sonst anders sein sollen. Mittlerweile vermutete ich nicht mehr, sondern wusste, dass gelb ihre Lieblingsfarbe war.

„Alle sagen immer, dass grün die Farbe der Hoffnung ist, aber für mich ist das definitiv gelb. Wenn die Sonne scheint, haben alle Menschen schon bessere Laune und es ist eine fröhliche Farbe. Ich bin glücklich, dass ich eine zweite Chance bekommen habe und gelb passt für mich einfach dazu. Deshalb ist es meine Lieblingsfarbe", hatte sie mir mit leuchtenden Augen erklärt und ich konnte sie gut verstehen. Gelb ist leuchtend, fröhlich, lebensfroh. Alles, was Jenny jetzt auch war.

„Hier. Mit der Maske erkennt dich sicher niemand." Sie hielt mir die passende schwarze Maske hin und ich setzte sie auf. Als ich mich im Spiegel betrachtete, staunte ich nicht schlecht. Es war, als würde nicht ich, sondern eine andere Person mir aus dem Spiegel entgegen schauen.

„Was ist da eigentlich zwischen dir und Nicolas?", fragte Jenny mich plötzlich, während sie weiter an ihrer Frisur hantierte. Die Frage traf mich wie aus dem Nichts.

„Was soll zwischen uns sein? Er ist mein Chef", antwortete ich schnell und hoffte, dass Jenny sich damit zufrieden geben würde. Aber ich hätte es besser wissen müssen.

„Ich sehe ganz genau, wie du ihn anschaust. Und ich kenne ihn. Also erzähl mir nicht, dass da wäre nichts. Alles, aber nicht nichts." Sie schaute mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an.

„Jenny, wirklich. Da läuft rein gar nichts", beteuerte ich. Er gefiel mir zwar, das änderte aber nichts an der Tatsache, dass er mein Boss ist. Daher würde ich auch weiterhin dafür sorgen, dass da nicht mehr sein würde. Andernfalls würde die Gerüchteküche brodeln und alles komplizierter machen. Darauf hatte ich keine Lust.

„Letzte Woche, nachdem du wieder frei warst, wäre er definitiv lieber bei dir geblieben, als mit Simon zu gehen. Ich glaube, er fand es fast schade, dass ich aufgetaucht bin, da er so keinen Grund mehr hatte bei dir zu bleiben. Und wie oft hat er dich diese Woche gefragt, ob es dir gut geht?", meinte Jenny nun.

Sie hatte recht. Es war auffällig, wie oft er sich nach meinem Befinden erkundigt hatte. Anfangs hatte er mich täglich mehrfach gefragt und seine Hilfe angeboten, falls ich etwas brauchen würde. Ich hatte mir aber nichts dabei gedacht. Immerhin war das schon heftig gewesen und er hatte das auch alles direkt mitbekommen. Jedes Mal, wenn ich den Schnitt am Hals sah, wurde ich aufs Neue daran erinnert. Aber es wurde besser. Die Woche hatte mir sehr gut getan. Ich war es langsam angegangen und hatte mich wieder meinen Geschichten gewidmet. Während ich schrieb, verarbeitete ich viel von dem Geschehenen und ich konnte langsam auch wieder nachts ruhiger schlafen.

Außerdem hatte ich beschlossen mich wieder mehr auf meine „Ermittlungen" zu konzentrieren. Der Vorfall hatte mich vorerst davon abgebracht ein paar Nachforschungen zu den Tests und dem Labor anzustellen. Ich musste unbedingt herausfinden, ob an den Behauptungen von Andrew Parker etwas dran war. Wenn dem so wäre, wäre ich nicht unschuldig. Immerhin arbeitete ich für diese Firma und auch mein Vater wäre in Gefahr. Daher hoffte ich inständig, dass ich nichts herausfand, was seine Aussagen stützen würde.

Als Jenny und ich den Saal betraten, blieb mir vor Erstaunen mal wieder der Mund offen stehen. Warum wunderte ich mich überhaupt noch darüber? Mittlerweile sollte ich wissen, dass die Firma viel für ihre Mitarbeiter tat und ein bisschen anders als andere Unternehmen war. Von den Decken hingen zwei riesige Kronleuchter. An den bodenlangen Fenstern waren weinrote Vorhänge, die allerdings zur Seite gezogen waren und den Blick nach draußen freigaben. An den Seiten waren einige Stehtische aufgebaut und auf einer Bühne spielte eine Live-Band. Links führte ein Eingang zu einem weiteren Raum, wo ein großes Büfett aufgebaut war. Überall liefen Personen im Anzug oder Kleid inklusive Maske umher.

„Wow. Das ist echt unglaublich", sagte ich, während ich alles ganz genau betrachtete.

„Ich habe ja gesagt: Die Firmenevents vergisst man nicht so schnell", erwiderte Jenny mit einem Grinsen.

Wir bahnten uns unseren Weg durch den Saal, holten uns ein Getränk an der Bar, die ich vom Eingang gar nicht gesehen hatte, und stellten uns an einen der Stehtische. Zusammen beobachteten wir die verschiedenen Leute, lachten viel und redeten. Es fühlte sich wirklich wie Normalität an. Andererseits war heute die ideale Gelegenheit etwas über die Behauptungen herauszufinden. Niemand erkannte mich so. Doch ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Mich erkannte zwar niemand, aber ich hatte das gleiche Problem, dass ich ebenfalls niemanden erkannte. Während ich überlegte, wurde ich plötzlich von Jenny angestoßen.

„Schau mal. Da kommt jemand auf uns zu", raunte sie mir zu. Tatsächlich kam ein Mann mit braunen Haaren, Anzug und Maske lächelnd auf uns zu.

„Darf ich um diesen Tanz bitten?" Er deutete eine Verbeugung vor mir an und streckte mir die Hand entgegen. Eigentlich hatte ich keine Lust nach dem letzten Tanzdesaster zu tanzen, aber ich konnte schlecht nein sagen und auch Jenny gab mir einen sanften Schubs in seine Richtung. Aufmunternd lächelte sie mir zu.

Ich legte meine Hand in seine und zusammen gingen wir auf die Tanzfläche. Er führte unglaublich gut und machte keine Anstalten mich küssen oder anfassen zu wollen, wie Kyle es getan hatte.

„Wie gefällt dir der Ball?", fragte er und schenkte mir ein charmantes Lächeln.

„Es ist unglaublich. Der Saal ist wunderschön und Stimmung ist fantastisch. Obwohl ich erst nicht vor hatte zu kommen, bin ich positiv überrascht worden", antwortete ich.

„Du hattest erst nicht vor zu kommen? Weswegen das, wenn ich fragen darf?"

„In der letzten Woche ist bei mir... viel los gewesen", erwiderte ich ausweichend. Ich wollte jetzt nicht den Abend mit Kyle oder die Geiselnahme thematisieren. Das war beides nicht optimal für diese Unterhaltung.

„Vielleicht wegen dem Vorfall letztes Wochenende?", hakte er da plötzlich nach. Geschockt sah ich ihn an. Woher wusste er davon? Und welchen Vorfall genau meinte er? Kyle oder die Geiselnahme?

„Aber genug davon. Es freut mich, dass du gekommen bist", meinte er.

Noch immer fragte ich mich, wen genau ich da vor mir hatte. Von dem Vorfall am letzten Freitag wussten eigentlich nur Jenny und Kyle selbst. Vielleicht ein paar umherstehende Leute, aber mit denen hatte ich sonst nichts mehr zu tun gehabt. Kyle hatte ich aber definitiv nicht vor mir. Dafür war er viel zu nett.

„Hättest du Lust nächste Woche mal mit mir Essen zu gehen?", fragte er plötzlich und verwirrte mich damit gänzlich. Wer um alles in der Welt war er? Er schien genau zu wissen, wer ich bin.

Er schenkte mir ein Lächeln und in diesem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich. Warum hatte ich das nicht schon vorher bemerkt? Nicolas Johnson.

„Mr. Johnson?", fragte ich dennoch ungläubig und löste mich schnell von ihm. Es war mir unangenehm, dass ich ausgerechnet mit ihm getanzt hatte. Jenny musste es auch gewusst haben. Sonst hätte sie nicht dafür gesorgt, dass ich mit ihm tanze. Bestimmt hatte er von ihr auch den Tipp bekommen, wie ich heute Abend aussah.

Nicolas nahm seine Maske ab und sah mich erwartungsvoll an.

„Ja. Aber das ist keine Antwort auf meine Frage", erwiderte er.

Die ganze Situation überforderte mich. Mein Herz wollte zwar ja sagen, weil das die ideale Möglichkeit war ihn besser kennenzulernen, aber mein Kopf war schneller und sagte nein. Er schüttelte sich quasi von alleine, noch bevor die Worte aus meinem Mund kamen.

„Tut mir leid. Vielen Dank für die Einladung, aber ich denke, das ist keine gute Idee."

Dann drehte ich mich um und verschwand zwischen der Menschenmenge in Richtung der Toiletten.

Als ich aus dem Saal in den Gang Richtung der Toiletten trat, genoss ich die Ruhe um mich herum. Es war niemand da und so hatte ich kurz etwas Zeit für mich. Zumindest bis ich immer lauter werdende Stimmen hörte. Bevor ich um die nächste Ecke bog, blieb ich stehen und schaute vorsichtig. Da standen zwei Personen, die sich heftig zu streiten schienen. Beide Stimmen kamen mir bekannt vor, aber ich wusste nicht woher. Mein Instinkt sagte mir, dass ich lieber nicht auf den Gang treten sollte. Ich wandte mich zum Gehen. Doch als ich das Wort „illegale Tests" aufschnappte, blieb ich wie angewurzelt stehen. Hatte ich richtig gehört? Illegale Tests?

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