Kapitel 19: Annas erster Patient

22 3 0
                                    

Anna

„Solange sie ruhig bleiben, wird alles gut werden." Anna und Evelyn drehten gleichzeitig die Köpfe Richtung Eingang zu Labor 5, als sie eine männliche Stimme hörten. Kurze Augenblicke später trat zuerst Simon Moore durch die Tür. Doch kurz darauf bemerkten beide das Messer an seinem Hals und den fremden Mann hinter ihm. Anna verfiel in eine Schockstarre. Was passierte hier gerade?

„Simon, was...", fing Evelyn da an.

„Ruhe!", unterbrach der Fremde sie da allerdings schon.

„Mr. Carter, darf ich Ihnen Dr. Evelyn Brown, eine der Gründerinnen der Firma vorstellen. Sie hat am meisten an der Entwicklung des Happiness-Chips mitgewirkt und kann Ihnen helfen", sagte Simon Moore ruhig. Anna war beeindruckt, wie gelassen er die Situation nahm. Immerhin wurde ihm ein Messer an die Kehle gehalten.

„Simon, was ist hier los?", konnte Dr. Brown endlich ihre Frage stellen, die auch Anna im Kopf herumspukte.

„Ich will diesen neuen Happiness-Plus-Chip!", antwortete der Mann, der scheinbar Mr. Carter hieß anstelle des sonst eher zurückhaltenden Gründungsmitgliedes.

„Ähm, okay, aber das... ist nicht so ganz einfach." Anna schaute ihre Vorgesetzte an. Die Situation schien sie ein wenig zu überfordern, was sie gut verstehen konnte. Hier hatte der andere Mann die Kontrolle und niemand wusste, wie er reagieren würde.

„Nicht ganz einfach?! Dann lassen Sie sich besser etwas einfallen, dass es einfach wird. Oder wollen Sie, dass er hier dran glaubt?!", schrie Mr. Carter und drückte das Messer ein wenig in die Haut von seiner Geisel, sodass etwas Blut herausfloss und Mr. Moore Mühe hatte das Gesicht nicht schmerzverzerrt zu verziehen.

„Wie wäre es, wenn wir alle erstmal zusammen in eins der Besprechungslabore gehen, um über alles weitere näher zu reden?", schlug Simon vor.

„Natürlich. Raum 6 ist frei. Ich gehe vor", stimmte sie zu und auch Mr. Carter nickte den Vorschlag kurz ab.

Schweigend machten sie sich auf den Weg. Anna war unschlüssig, ob sie in dem „wir" mit inbegriffen war. Doch Evelyn zog sie mit sich, sodass sie keine Wahl hatte.

„Sie haben maßgeblich an der Entwicklung der neuen Chip-Generation mitgewirkt und kommen mit", sagte sie.

In Raum 6 angekommen waren Anna sowie auch Evelyn sich nicht sicher, ob sie sich setzen oder doch besser stehen bleiben sollten. Dieser Raum war einer derjenigen, die durch die fehlenden Fenster Privatsphäre gaben. Für diese Situation war er gut gewählt. So würden die anderen Personen nicht in Gefahr gebracht werden oder in Panik geraten, da niemand hier jetzt etwas sehen konnte.

„Möchten Sie sich vielleicht setzen?", ergriff in dem Moment wieder Mr. Moore das Wort.

„Wir bleiben genau so hier stehen", antwortete Mr. Carter. Dann fiel sein Blick auf Evelyn und Anna.

„Die Frauen dürfen sich aber gerne setzen, wenn sie möchten", fügte er etwas freundlicher hinzu. Dankbar ließen sich beide auf zwei Stühle fallen und schauten den Mann angespannt an.

„Mr. Carter, ohne unhöflich wirken zu wollen, aber Sie müssen schon erklären, was sie möchten. Sonst können die beiden Damen Ihnen nicht helfen", meinte Simon nach einiger Zeit des gegenseitigen Anschweigens.

Anna konnte in Mr. Carters Gesicht sehen, wie ihn das scheinbar für einen kurzen Moment aus dem Konzept brachte. Er schien diese ganze Aktion hier nicht geplant zu haben. Sonst wäre er besser vorbereitet gewesen.

„Ich brauche diesen neuen Chip. Ohne ihn kann ich nicht mehr leben. Meinen Job habe ich aufgrund meiner Depressionen schon verloren. Wie soll ich jetzt meine Frau und Kinder ernähren? Wenn ich nicht schnell neue Arbeit finde, steht nicht nur meine Existenz auf dem Spiel. Dieses Leben hat meine Familie nicht verdient", schilderte er und die Verzweiflung war ihm deutlich anzusehen. Anna begann langsam ihn zu verstehen. Gerade für die Kinder dieses Mannes würde es hart sein. Sie wusste noch genau, wie es für sie gewesen war, als erst ihr Bruder und dann auch ihre Eltern nicht mehr da gewesen waren. Mittlerweile kam sie ein bisschen besser damit klar, aber es tat noch immer jedes Mal aufs Neue weh und auch ihre Kopfschmerzen setzten immer wieder in diesem Zusammenhang ein. Die Arbeit und Wissenschaft waren ihr Stütze gewesen und waren es noch immer.

„Das kann ich sehr gut verstehen", hörte sie sich da plötzlich selbst sagen und die Augen des Mannes weiteten sich vor Erstaunen und brachte ihn erneut etwas aus der Fassung. Damit schien er nicht gerechnet zu haben.

Evelyn nickte Anna kurz zu und bedeutete ihr so weiterzureden.

„Natürlich können wir Ihnen den Chip einsetzen, aber wie Dr. Brown schon gesagt hat, ist das nicht ganz so einfach. Damit meinen wir nicht den Eingriff an sich, aber im Vorwege müssen eine Reihe an Tests gemacht und Gespräch geführt werden, damit der Chip Ihnen auch wirklich das gibt, was Sie sich vorstellen", fuhr sie fort.

„Tests? Gespräche? Für so einen Scheiß habe ich verdammt nochmal keine Zeit!", zeterte der Mann da auch schon wieder. Anna versuchte ruhig zu bleiben. Durch ihr Verständnis für Mr. Carter gelang ihr das zum Glück recht schnell.

„Das verstehen wir. Aber wir möchten auch nicht, dass Sie im Nachgang Nebenwirkungen bekommen oder den Chip nicht vollumfänglich nutzen können. Zunächst wird erstmal ein CT von Ihrem Gehirn gemacht, damit die genaue Stelle lokalisiert wird, wo der Chip eingesetzt wird. Er wird zwar immer zwischen der Amydala, dem Hypothalamus und Hippocampus platziert, aber durch die Aufnahme können wir sehr viel präziser bei dem Eingriff arbeiten, da wir genau wissen, wo welche Hirnregionen bei Ihnen liegen. Zudem wird die Aufnahme in den Roboter eingespielt, der die Hauptarbeit bei der Operation durchführt. Außerdem müssen wir Tests mit Elektroimpulsen an ihrem Gehirn durchführen, um exakte Daten zu haben, mit welchen Werten der Chip diese Impulse an die angrenzenden Regionen geben muss. So werden Nebenwirkungen verhindert. Das ist unabdingbar", erklärte Anna.

„Anna ist eine unserer besten Mitarbeiterinnen und hat an der neuen Chip-Generation maßgeblich mitgewirkt. Ohne sie würden wir noch nicht so weit sein. Sie können ihr Vertrauen. Versprochen", schaltete Evelyn sich wieder ein.

„Halten Sie sich daraus! Ihre Versprechen bedeuten mir nichts. Wann werden Menschen wie Sie das endlich kapieren? Ich rede nur mit ihr", erwiderte Mr. Carter und nickte in Annas Richtung.

Dr. Evelyn Brown blieb kurz der Mund offen stehen, ehe sie ihn schnell schloss, um sich nichts anmerken zu lassen.

„Sie können gehen. Sie werden hier nicht mehr gebraucht", meinte Mr. Carter und deutete kurz zur Tür.

Evelyn stand auf und ging wortlos zur Tür. Anna hatte Mitleid mit ihr. So streng sie als Chefin auch oftmals war, sie hatte es im Leben auch oftmals nicht leicht gehabt, wenn man den Gerüchten glauben durfte. Sie war sich zwar nicht sicher, was genau von all dem der Wahrheit entsprach und hütete sich dementsprechend davor etwas davon weiterzutratschen. Dass ihre Eltern allerdings viel und Großes erwartete hatten und sie stets unter einem wachsenden Druck gestanden hatte, glaubte sie in diesem Moment. Sie war immer gebraucht worden und hatte sich scheinbar mittlerweile so sehr an dieses Gefühl gewöhnt, dass sie es anders gar nicht mehr kannte. Außerdem hatte sie immer die Kontrolle gehabt, die ihr jetzt gerade endgültig genommen wurde. Anna hoffte, dass das keine negativen Konsequenzen für sie später haben würde, da Mr. Carter sie zum Verhandeln auserkoren hatte.

Als Evelyn die Tür öffnete, ging Mr. Carter zusammen mit Simon Moore ebenfalls zur Tür und stieß seine Geisel hinaus, bevor er die Tür schnell wieder schloss und verriegelte.

„Ab sofort rede ich nur noch mit Anna. Sie soll auch den Eingriff durchführen. Und denken Sie gar nicht erst daran etwas gegen mich zu unternehmen. Sonst muss ihre Wissenschaftlerin das ausbaden. Ich will zwar unbedingt diesen Chip, aber ich habe auch nichts mehr zu verlieren. Glauben Sie mir daher besser, wenn ich Ihnen versichere, dass ich dieser Frau hier sonst etwas antun werde!", sagte er und wandte sich dann wieder Anna zu.

Happiness PlusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt