Kapitel 6: Die Präsentation

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Anna

„Komisch war das trotzdem gewesen", murmelte Anna vor sich hin, während sie in ihrem persönlichen Labor saß und auf den Computerbildschirm starrte. Dort standen die neuesten Zahlen, aber sie konnte sich nicht wirklich konzentrieren. Entweder spukte Riley durch ihren Kopf, dann die Frage, wie sie sich ihm gegenüber so normal wie immer verhalten könnte oder sie musste an gestern Abend denken, wo sie das Poltern hinter der Tür zu Labor 5 gehört hatte.

Sie war unsicher gewesen, was sie hatte tun sollen. Vielleicht war ja jemand dort hinter gewesen, der Hilfe brauchte. Oder es war eines der Forschungsgeräte runtergefallen. Es gab einiges an Möglichkeiten, aber keine davon klang beruhigend genug, um das Geräusch zu ignorieren.

Daher war sie zur Tür gegangen und hatte versucht, sie mit ihrem Ausweis zu öffnen. Doch wie Anna sich schon gedacht hatte, funktionierte das nicht, da ihr Berechtigungslevel dafür zu niedrig war. Unschlüssig stand sie zunächst dort und wusste nicht, wie sie sich jetzt verhalten sollte. Schließlich zog sie ihr Handy hervor und rief Lucas an. Er hatte die nötige Freigabe und könnte nachschauen, was dort passiert war.

Das Freizeichen ertönte und nur wenige Sekunden später, war Anna der Meinung hinter der schweren Stahltür ein kurzes, leises Handyklingeln zu hören. Doch kaum hatte sie es gehört, war es auch schon wieder vorbei. Verwundert blickte sie auf die Tür. Das Handyklingeln war da gewesen... oder? Es war so kurz gewesen, dass sie sich das vielleicht auch nur eingebildet hatte. Aber warum hätte ihr Gehirn ihr so einen Streich spielen sollen? Und selbst, wenn. Es war eigentlich nichts Ungewöhnliches, wenn Lucas noch an etwas arbeitete. Er gehörte zu der Sorte Wissenschaftler, die Tag und Nacht arbeiteten und wirklich an nichts anderes denken konnten. Wahrscheinlich war das einer der Gründe, warum er an Labor-5-Projekten mitarbeiten durfte.

Schließlich hatte Anna sich umgedreht, war in ihr Labor gegangen und hatte versucht, das Problem der Neurotransmitterausschüttung zu lösen.

Tatsächlich hatte sie es gestern Nacht auch noch geschafft und konnte so ihre Präsentation für Dr. Evelyn Brown fertigstellen. Vielleicht könnte sie ihr so ihr Engagement zeigen und würde bald auch schon eine Freigabe für die geheimeren Projekte bekommen.

Sie öffnete die Präsentation und warf noch einen letzten Blick darauf. Gedanklich ging sie nochmal alles durch, bevor sie sich schließlich aufraffte und ihren ganzen Mut zusammenfasste. Dr. Evelyn Brown hatte den Ruf sehr fordernd und streng zu sein, was Anna schon mehr als einmal deutlich zu spüren bekommen hatte. Die Forschung und Wissenschaft war eben alles für die Mitgründerin und wenn jemand sein Leben dem nicht widmen wollte, konnte sie das nur schwer nachvollziehen. Daher war Anna sich unsicher, ob die Idee der Präsentation wirklich so gut war. Aber so könnte sie ihr zumindest zeigen, dass ihr Herz ebenfalls für die Wissenschaft schlug. Für sie war das eine große Sache.

Mit dem Laptop unter dem Arm wollte sie sich gerade auf den Weg zu der Doktorin machen, als sie genau diese in der Tür zu ihrem Labor stehen sah. Mit ihren stechenden, grünen Augen blickte sie Anna fragend an, als müsste sie ihre Gedanken lesen und sofort eine Antwort auf die nicht ausgesprochene Frage geben können.

„Ähm, ich... ich habe das Problem für die Ausschüttung, also die Neurotransmitter", stammelte Anna und hätte sich dafür am liebsten selbst geohrfeigt. Das fing ja schon mal gut an. Wie sollte sie einen Vortrag halten, wenn sie jetzt schon zu Stottern und Stammeln anfing?

„Ja?", hakte Dr. Evelyn da auch schon ungeduldig nach.

„Ich, ähm... also ich habe...", setzte sie erneut an.

„Bekomme ich heute noch eine klare Antwort? Ich habe viel zu tun und nicht den ganzen Tag Zeit", wurde Anna unterbrochen.

„Ich habe das Problem gelöst", brachte sie schließlich als vollständigen Satz hervor.

„Hervorragend." Ein leichtes Lächeln umspielte nun tatsächlich die Mundwinkel der Wissenschaftlerin.

„Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut, dass Sie das bis heute schaffen", sagte sie und würdigte Anna mit einem kurzen, anerkennenden Blick.

Unwillkürlich schlich sich ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen. Das Lob gab ihr neues Selbstbewusstsein, das sie gerade mehr als nötig hatte.

„Dankeschön. Ich weiß, Sie haben viel zu tun, aber ich habe eine Präsentation zu dem Thema vorbereitet, die ich Ihnen gerne vorstellen würde."

„Wirklich?"

„Ja. Wenn Sie etwas Zeit hätten, würde ich mich freuen. Es veranschaulicht ganz gut die Lösung des Problems, glaube ich", erwiderte Anna.

Dr. Brown schaute sie zunächst erstaunt an, ehe sie einen kurzen Blick auf ihr Handy warf.

„Ich hätte jetzt noch zwanzig Minuten Zeit. Dann muss ich zu meinem nächsten Termin", meinte sie schließlich.

„Die Zeit ist völlig ausreichend", lächelte Anna.

„Der Chip sitzt ja genau hier. Dadurch sind die Amygdala, der Hypothalamus und Hippocampus sehr viel besser vernetzt. Das haben wir ja vorher schon ausprobiert. Um eine exaktere Ausschüttung zu bekommen, bauen wir drei Messfunktionen ein, anstatt nur eine wie zuvor. Dadurch können wir die Menge der Botenstoffe sowie andere relevante Daten in jedem einzelnen der drei Bereiche messen. Der Chip kann dann durch gezieltere Elektroimpulse die Hirnbereiche besser stimulieren", erklärte Anna zufrieden.

„Wie bekommen wir denn die gezielteren Elektroimpulse für die Stimulierung hin? Haben Sie darüber nachgedacht?" Die Zwischenfrage brachte sie nicht aus dem Konzept.

„Natürlich. Da sollten wir mit den Programmierern sprechen. Die können das sicherlich mit einbeziehen. Wenn wir noch weitere Daten haben, können wir zusammen schauen, welche Elektroimpulse zur Stimulierung nötig sind", antwortete sie.

„Aber jedes menschliche Gehirn ist anders. Genau deswegen muss die Ausschüttung ja individueller erfolgen", warf die Doktorin ein.

„Das stimmt. Doch wir führen ja ohnehin schon vor der Implantierung des Chips umfangreiche Tests durch. Diese ergänzen wir einfach um einen weiteren, wo wir die Werte individuell für den Kunden berechnen können. Aber wenn wir vorher schon eine Bandbreite an Werten für die Stimulierung errechnet haben, ist es weniger zeitintensiv diese dann anzupassen", erwiderte Anna.

„Wow... Ich bin ehrlich beeindruckt. Sie haben sehr gute Arbeit geleistet. Und dann auch noch bis heute Morgen", meinte Dr. Evelyn und schenkte ihr erneut einen anerkennenden Blick.

„Ja. Ich war gestern noch bis spät in die Nacht im Labor, um Ihnen die Ergebnisse heute präsentieren zu können", antwortete sie.

„Bis spät in die Nacht?", hakte sie nach.

Anna meinte kurz etwas wie leichte Panik in den Augen ihrer Vorgesetzten bei diesen Worten zu erkennen.

„Das ist wirklich sehr lobenswert und engagiert. Sie scheinen mir ähnlicher zu sein, als ich anfangs gedacht habe", lächelte sie kurz und warf dann einen Blick auf die Uhr.

„Es tut mir leid, aber ich habe gleich meinen nächsten Termin. Doch ich bin mir sicher, dass Sie es hier noch sehr weit bringen werden." Damit erhob sie sich von ihrem Platz und verließ das Labor.

Strahlend schaute Anna ihr noch kurz nach. Beindruckt. Lobenswert. Engagiert. Die Worte hallten in ihrem Kopf wider. Sie hatte es geschafft. Dr. Evelyn Brown wusste nun, dass ihr Herz genauso sehr für die Forschung schlug. Ihre Chancen, irgendwann an einem Labor-5-Projekt teilzuhaben, waren soeben immens gestiegen.

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