Kapitel 11: Die Party

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May

„May, du solltest langsam mal für heute Feierabend machen." Jenny stand in der Tür zu dem kleinen Raum, in den ich mich zurückgezogen hatte, um mit Musik auf den Ohren in Ruhe schreiben zu können. Ich hatte auch schon sehr viel geschafft, allerdings kam ich gerade nicht weiter.

„Ich versuche nur noch diese eine Szene zu Ende zu schreiben", antwortete ich. Das wollte ich für heute noch unbedingt schaffen.

„Du hast heute schon ziemlich viel geschafft. Ich habe zwischendurch immer wieder bei dir rein geschaut und du warst so ins Schreiben vertieft, dass du nichts und niemanden um dich herum wahrgenommen hast. Ich lasse dich dann erstmal in Ruhe. Aber, wenn du in einer Viertelstunde nicht im Festsaal bist, dann komme ich dich holen", lachte Jenny und wandte sich zum Gehen.

Da horchte ich auf.

„Warte mal. Festsaal?" Neugierig und fragend sah ich sie an.

„Ja. Wir haben hier in der Abteilung so eine Art Wochenendritual. Jeden Freitagabend feiern wir, dass das Wochenende da ist. Auch, wenn viele von uns eigentlich täglich und somit auch am Samstag und Sonntag schreiben, aber wir finden diese Tradition toll und haben sie deswegen nie geändert. Karaoke und Alkohol ist übrigens inklusive", erklärte sie mir und zwinkerte mir bei ihrem letzten Satz verschwörerisch zu.

„Weißt du was? Ich komme jetzt gleich mit. Ich hänge gerade sowieso an dieser einen Stelle und muss den Kopf erstmal frei bekommen", beschloss ich und stand auf.

„Gute Idee. Danach läuft es mit dem Schreiben garantiert wieder besser. Den Laptop kannst du hier einfach stehen lassen und nachher holen", erwiderte sie.

„Alles klar. Aber sollte ich mich vorher nicht noch umziehen?", fragte ich sie. Immerhin hatte ich noch meine Klamotten vom Tag an und für eine Party zieht man sich für gewöhnlich vorher nochmal um.

„Ist das dein Ernst? Die schwarze Jeans steht dir super und über dein rosafarbenes Oberteil will ich gar nicht erst reden. Du siehst gut aus. Also komm. Mach dir nicht so viele Gedanken", sagte Jenny und lächelte mir aufmunternd zu. Ich musste an meine letzte Party denken, die ein Desaster gewesen war, aber es wurde Zeit die Vergangenheit hinter sich zu lassen und den Neustart mit allem, was er zu bieten hatte, zu genießen.

Als wir den Festsaal betraten, stand mir wie so oft erstmal wieder der Mund vor Erstaunen offen. Diesmal fing ich mich jedoch schneller. Der Raum war groß. Sehr groß. Links und rechts befanden sich bodenlange Fenster, es gab Stehtische, an denen sich schon einige der Mitarbeiter zusammengetan hatten und auf Fläche vor der gegenüberliegenden Bühne waren schon einige Leute am Tanzen. Auf der Bühne befand sich – wie angekündigt – eine Karaokemaschine. Obwohl ich jetzt schon wusste, dass ich niemals dort vor all den Leuten singen würde, fand ich die Idee toll und musste lächeln. Außerdem versprühte der Raum mit seinen Steinsäulen, die im Raum standen, einen gewissen Charme. Die Party war auch schon in vollem Gange. Aus den Lautsprechern dröhnte die Musik und es wurde viel gelacht und getrunken.

Da ich niemanden außer Jenny kannte, hielt ich mich an sie und folgte ihr durch die Gruppen von Kollegen, bis wir schließlich an der Bar angelangten. Die hatte ich vom Eingang aus gar nicht sehen können.

„Was möchtest du?", schrie sie gegen die Musik an und richtete ihren Blick auf mich.

„Eine Sprite", schrie ich zurück.

„Kein Alkohol?" Verdutzt sah Jenny mich an. Ich schüttelte nur den Kopf. In der Vergangenheit musste ich immer wieder feststellen, dass ich nicht viel davon vertrage und ich meistens lieber die Finger davon lassen sollte – oder zumindest nicht zu viel trinken sollte. Aber heute Abend war mir nicht danach. Außerdem brauche ich keinen Alkohol, um gut drauf zu sein. Ich hatte meinen Traumjob bekommen und war ohnehin schon mehr als glücklich und voller guter Laune.

Jenny zuckte kurz mit den Schultern und gab dem Barkeeper dann unsere Getränkewünsche durch.

Zwei Gläser Sprite später wummerte die Musik zu laut aus den Boxen, dass ich die Bässe in meinem ganzen Körper spüren konnte. Sich zu unterhalten war schlicht weg unmöglich, sodass Jenny und ich dazu übergegangen waren uns auf die Tanzfläche zu gesellen. Noch immer fühlte ich mich nicht wie auf einer Firmenparty, sondern eher wie in einem angesagten Club mitten in der Stadt. Mit der Zeit waren immer mehr Kollegen gekommen und mittlerweile war es hier total voll.

„Es wird Zeit für meinen wöchentlichen Karaokeauftritt!", schrie Jenny nach einer Weile. Leider verstand ich nicht mehr als Karaokeauftritt und schaute sie deswegen noch immer leicht fragend an, da ich mir unsicher war, was genau sie mir mitteilen wollte. Doch es dauerte nicht lange, bis sie zwischen der tanzenden Masse verschwand und sich auf den Weg Richtung Bühne machte. Als ich sie schließlich oben entdecke, verstand auch ich und lächelte ihr zu. Ich bewunderte ihren Mut, der mir dafür definitiv fehlte. In meinen Geschichten konnte ich solche Charaktere erschaffen und es mit ihnen erleben, aber im realen Leben traute ich mich das nicht.

Die Musik wurde ein wenig leiser, bevor schließlich „Who's laughing now" von Ava Max erklang. Irgendwie fand ich das Lied sehr passend. Mit Ava Max verband ich immer Power und Selbstbewusstsein und genau das strahlte Jenny für mich aus. Ich musste nicht lange warten, bis ich auch schon die ersten Worte von ihr hörte und sie die Leute mitriss. Nicht, weil sie alle Töne perfekt traf oder anderweitig gut singen konnte, sondern, weil sie einfach Spaß dabei hatte und eine Show veranstaltete. Es schien ihr total egal zu sein, ob es den anderen gefiel oder nicht. Sie hatte ihren Spaß dabei, was das Wichtigste war und wahrscheinlich auch der Grund, warum die anderen sie feierten – mich mit eingeschlossen. Ausgelassen bewegte ich mich zur Musik und fühlte mich einfach nur frei und glücklich.

In diesem Moment kam ein Typ auf mich zu getanzt und lächelte mich an. Mein Dauergrinsen, das ich schon den ganzen Abend hatte, entging auch ihm nicht. Nur leider fasste er es anders auf. Er kam noch näher auf mich zu, bis er schließlich ganz nah vor mir stand und seine Hände auf meine Hüften legte. Ich versuchte ihn von mir wegzudrücken. Das war mir eindeutig zu viel Körperkontakt. So nah war mir schon lange niemand mehr gewesen und ich wollte nicht, dass es dieser Kerl jetzt war. Da um uns herum viele Leute tanzten, war es nur leider alles andere als einfach ihn auf Abstand zu halten. Immer wieder suchte er den Kontakt zu mir und alle meine Versuche ihn wegzuschieben scheiterten nach und nach kläglich. Erinnerungen an meine letzte Party kamen in mir hoch, doch die hatte alles andere als gut geendet.

Schließlich war der Song und somit Jennys Darbietung zu Ende. Das nächste Lied war ein echter Oldie von Culcha Candela: „Hungry Eyes". Das schien für den Typen sein Stichwort zu sein. Ohne Vorwarnung zog er mich zu sich heran und presste seine Lippen auf meine. Er roch stark nach Alkohol und er schien ziemlich betrunken zu sein. Anders konnte ich mir sein Verhalten nicht erklären. Panik stieg in mir auf und ich versuchte ihn von mir wegzustoßen. Doch er war um einiges stärker als ich. Ich wollte das nicht. Ich hatte keinen mehr geküsst, seit... seit diesem einen besonderen Menschen. Und ich wollte nicht, dass dieser Kerl das jetzt mit mir tat. In dieser Situation fühlte ich mich so hilflos wie schon einmal vor einiger Zeit. Wie damals. Wie das Unglück, dass ich einfach nur noch vergessen wollte. Tränen stiegen in mir auf, während ich mich weiterhin versuchte zu wehren. Aber er hatte mich fest im Griff.

Plötzlich wurde er jedoch von mir weggezogen und ich somit befreit.

„Sag mal, geht's noch?! Kyle, du hast ganz genau bemerkt, dass sie das nicht will! Hau ab, ehe ich mich vergesse!" Jenny machte ihm so eine Szene, dass alle umliegenden Leute das trotz der Musik mitbekamen.

„Jenny, jetzt mach hier mal nicht so eine Szene. Du reagierst mal wieder völlig über!" Der Typ starrte sie wütend und gleichzeitig genervt an.

„Verschwinde. Sofort!" Jenny deutete mit ihrem Arm in die entgegengesetzte Richtung von uns und funkelte ihn böse an.

Die ganze Zeit stand ich geschockt nur daneben und bekam kein einziges Wort heraus. Ich war einfach nur froh, dass es vorbei war und hoffte, dass er endlich ging.

Beide starrten sich noch für einige Sekunden in die Augen, bis Kyle schließlich endlich nachgab und verschwand. Dann legte Jenny einen Arm um mich und manövrierte mich geschickt durch die Massen hindurch nach draußen.

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