Meine Lider fallen wie von alleine zu. Immer noch meine Hand am Auge, versuche ich die brennende Flüssigkeit aus meinen Augen zu reiben. Mein Augapfel drückt sich automatisch in meine Netzhaut und ich habe das Gefühl, dass ich, rein optisch betrachtet, in andere Galaxien katapultiert werde. Es ist verrückt.
Mein Kopf sackt gegen die Mauer und die rote Backsteinmauer kratz leicht auf meiner nackten Haut. Die gefesselten Arme hinter meinem Rücken schmerzen und langsam verliere ich jegliches Gefühl in ihnen. Doch es ist mir egal. Mir ist es egal, dass ich nackt auf einer Bank vor einem Bordell sitze, das soeben von der Polizei gestürmt wurde, dass man nach mir sucht, obwohl ich schon gefunden wurde, dass man mir höllisch brennendes Pfefferspray in die Augen gesprüht hat und dass ich immer schlechter Luft bekomme.
Ich fühle mich unbedeutend in dieser Welt, in diesem Universum, das sich viel zu schnell ausbreitet und nicht auf mich zu achten scheint. Wenn es nach mir gehen würde, dann könnte ich gut und gerne von diesem Planeten verschwinden. Ich glaube nicht, dass man mich nicht vermissen würde oder dass jedem es egal wäre, wenn ich einfach tot wäre, nur bin ich der festen Überzeugung, dass ich diesem ganzen hier einfach nicht gewachsen bin. Suizidal bin ich nicht, nein, ich möchte morgen einfach nur nicht mehr aufwachen, was ist so schlimm daran?
Aber auch dieser Plan wird mir je zu Nichte gemacht, als man mich von der Seite anstupst und mit mich anspricht.
„Brauchen Sie Hilfe? Sie sehen so aus, als hätten Sie Probleme mit ihren Augen."
Mühevoll drehe ich meinen Kopf zur Seite und schaue die Person durch meine verquollenen Lider aus an. Rot-gelbe Jacke mit der Aufschrift „Rettungsdienst". Nicht jetzt, nicht hier. So sehr ich mich auch über diese kleine Aufmerksamkeit freue, kann ich mich nicht so ganz durchringen, ihn an mich heran zu lassen.
„Mir geht es gut, danke", antworte ich also stattdessen leise und versuche, mich aus seinem Sichtfeld zu bewegen, doch er lässt nicht ab.
„Ich sehe doch ganz klar, dass es Ihnen nicht gut geht. Würden Sie mich einmal drüber schauen lassen?", fragt er sanft. Ich seufze auf. Wenn er unbedingt will. Will er.
Ich drehe ihm meinen Kopf zu und behutsam wischt er mit einem kleinen Tuch die Reste von meinen Wangen.
„Pfefferspray, richtig?", erkundigt er sich und ich nicke, woraufhin er aus seinem Rucksack eine Flasche mit einem komischen Aufsatz aus seinem riesigen Rucksack mit tausend Taschen holt.
„Das ist eine Augenspülung. Damit kann ich dir die Pfefferreste aus den Augen waschen, dann sollten die nicht so sehr jucken. Zudem wird dadurch das Risiko bleibende Augenschäden zu haben vermindert."
Erneut nicke ich. Wenn es mir dadurch besser geht, kann er das gerne machen.
Ich blicke nach oben und schon läuft mir das destillierte Wasser übers Gesicht, als ob ich noch stärker weinen würde. Die Schlieren, die die Mischung aus Wasser, Blut, Tränen und Pfeffer hinterließ spürte ich auch noch, als er schon damit fertig war und mir vorsichtig das Gesicht trocknete.
„Ich sehe gerade, Sie haben starke Hämatome im Brust und Bauchbereich. Da würde ich auch gerne noch einmal drauf schauen, wenn es Ihnen recht ist."
Ist es mir nicht, aber ich habe keine andere Wahl, bin doch gefesselt. Und auch so lasse ich diese Prozedur über mich ergehen. Jetzt ist es mir schon unangenehm, so unbekleidet vor ihm zu sitzen, aber wahrscheinlich hat er schon Schlimmeres gesehen, als mich.
„Hätten Sie vielleicht...", beginne ich, aber er scheint meine Gedanken lesen zu können und hüllt mich, nachdem er mich abgetastet hat, in eine graue Decke, die so sehr nach Krankenhaus riecht, wie sie aussieht. Dankbar lächele ich ihn an.
„Ich – muss noch was loswerden", bringe ich hervor, bevor ich abbreche.
Mit ehrlich interessierten grauen Augen schaut er mich an und nickt mir zu, ich kann also frei reden und er hört mir zu.
„Ich – bin fünfzehn", ich weiß nicht, warum ich so anfange, aber es schien mir nur richtig. Ein wenig verblüfft blickt er mich weiterhin an, unterbricht mich jedoch nicht. „Und – mir geht es nicht gut."
Mehr bringe ich nicht übers Herz ihm zu erzählen und mein eben gewachsener Mut bricht in sich zusammen, wie ein Kartenhaus im Windzug.
„Kann es sein...dass du Nele bist?"
Ich nicke und dann brechen alle Dämme, die ich eben noch so verzweifelt zusammengehalten habe. Mir entfährt ein Schluchzen und dicke fette Tränen kullern mir wie Glasmurmeln über die Wangen und waschen auch den Rest des Dreckes von meiner nun glänzenden Haut.
„Ich bin gleich wieder da, ja?", spricht mir der Sanitäter aufmunternd zu und ich nicke, sodass meine Haare wild um meine Ohren fliegen. „Ach ja, ich bin Thomas, wenn etwas ist, dann sag Bescheid, ja?"
Mein Körper bebt unter meinen heftiger werdenden Schluchzen und ich bin mir sicher, dass man mich nun nicht mehr übersehen kann.
„Macht sie bitte einmal los, sie ist wirklich schwer verletzt", kommt es von dem Sanitäter, der diesmal mit zwei Polizisten wieder aufgetaucht ist und auf mich weist. Ohne zu zögern kommt der Blonde und öffnet die Handschellen. „Passt aber auf, dass sie nicht abhaut, wir suchen immer noch die vermisste Person."
„Das ist sie. Das ist Nele.", erwidert Thomas und legt wider die Decke um mich, die eben von meinen Schultern gefallen ist, was mein Zittern aber nicht versteckt. Ich reibe mir die Gelenke, die stark gerötet sind und weh tun. Meine Schulter entspannen sich.
Einen Augenblick lang sieht der Blonde Polizist und sein Kollege ungläubig drein, bis sich ein weiterer Sanitäter einmischt.
„Gibt es hier ein Problem?", fragt er und schaut von einem zum anderen. Sein Blick bleibt auf mir ruhen und seine Augen weiten sich. „Nele, bist du das?", fragt er mit leise Stimme und fasst sich an die Brust, so, als ob er einen Herzinfarkt gehabt hätte. Es ist Franco, ohne Frage erkenne ich ihn wieder. Dann kommen die Erinnerungen hoch von dem Tag, als meine Mutter komplett verrückt geworden ist und was sie mit den Sanitätern angestellt hat.
Meine Unterlippe zuckt weiter und weiter, bis ich kraftlos zu Boden sinke.
„Mir geht es nicht gut", murmele ich Thomas' Ohr, der sich zu mir auf den Boden gehockt hat, um mich weiter zu behandeln. „Ich weiß", antwortet er und beginnt routiniert vorzugehen.
Um mich herum bricht Chaos aus, als die Nachricht herum geht, dass ich doch gefunden wurde. Menschen schreien hin und her und kann nicht klar erkennen, wer wo lang rennt, doch es ist eine große Aufruhr. Plötzlich ringen sich Menschen um mich herum. Fragende Gesichter schauen mich an, so, als ob sie etwas Spektakuläreres erwartet hätten.
Ich schließe mal wieder die Augen, um allem zu entfliehen und bemerke das aller größte Chaos von allen ist in meinem Kopf, während über mir scheinen die Sterne so hell wie noch nie.
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Sorgen (ASDS/Auf Streife - Die Spezialisten)
FanfictionNele ist 15 Jahre alt und ihre Eltern sorgen sich (zu) viel um sie. Sie steht ständig unter Beobachtung von ihnen und wird abhängig gemacht von ihnen... Durch einen Zufall lernt sie die Spezialisten kennen, die ihr Leben verändern werden... {medium...