Kapitel 8

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Als es das Abendbrot gab, gingen meine Eltern schließlich.

Die gesamte Zeit davor hatten sie mich damit zugetextet, dass ich doch nicht „einfach so" weglaufen könnte und wie viel Schulstoff ich doch verpasst hätte und dass ich jetzt besonders viel trainieren müsste, damit ich auch bei den nächsten Wettkämpfen gut abschneiden werde. Die Tatsache, dass ich einen Autounfall hatte, mir es dementsprechend nicht gut ging und sie mich eben vor allen Leuten blamiert hatten, schien sie überhaupt nicht zu stören.

So kam es auch, dass ich irgendwann nur noch auf Durchzug stellte und nicht mehr hinhörte, was sie genau sagten.

Als die Schwester dann mit dem Tablett hereinkam und sagte, dass meine Eltern nun gehen müssten, war ich heilfroh.

Das Abendbrot schmeckte gut und ich unterhielt mich mit meiner neuen Zimmernachbarin Klara, die neidisch auf mein Käsebrot schaute, während wir uns über Filme, Musik, Serien und heiße Stars unterhielten. Klara durfte nichts essen, weil sie am nächsten Tag eine Operation wegen eines gebrochenen Fußes hatte.

Nach dem Abendbrot kam noch einmal die Schwester, um meinen leeren Teller einzusammeln und Klara und mir noch Schmerzmittel zu geben, bevor auch schon das Licht ausging.

Die Heilung meiner Verletzungen schreitet nach der Meinung der Ärzte gut voran, obwohl ich davon ehrlicherweise nicht so überzeugt bin, da es immer noch weh tut, wenn ich aufstehe, um auf Toilette zu gehen oder ähnlichem.

Klara schlief relativ schnell ein, doch ich lag wach und war meinen Gedanken ausgeliefert.

Ich dachte mal wieder über die vergangen Tage nach und was davor passiert war. Ich erinnerte mich an den Tag, als uns in der Schule gesagt wurde, dass bald der Rettungsdienst kommen würde und einen Erste Hilfe Kurs mit uns machen würde. War der Rettungsdienst schon da gewesen?

Dieser Tag fühlte sich einfach so unglaublich weit entfernt an, so, als ob mir jemand davon erzählt hatte und ich es gar nicht selbst erlebt hatte.

Ich glaube das es daran liegt, dass einfach so etwas Verrücktes geschehen ist.

Ich lachte in mich innerlich hinein.

Vor zwei Wochen wäre ich nie auf die Idee gekommen abzuhauen, nicht einmal ansatzweise. Wenn mir damals jemand das so gesagte hätte, was passieren würde, ich würden schwören, ich hätte ihn für vollkommen verrückt gehalten.

Ich lauschte Klaras Atemgeräuschen und passte meinen Atem ihrem an.

Nach einer gefühlten Ewigkeit schlief ich ein.

Der nächste Morgen begann damit, dass Klara noch vor der Visite zu der Operation abgeholt wurde. Ich wünschte ihr viel Glück und sagte, dass ich hier auf sie warten würde, auch wenn mir bewusst war, dass meine Eltern mich schon vor dem Mittagessen abgeholt haben würden.

Danach kam Schwester Birgit mit dem Frühstück, das ich gierig verschlang, weil es mit dem beschmiert war, was meine Eltern mir nie geben würden: Nutella.

Gegen 8 Uhr kam Dr. Engel zur Visite herein, schaute sich meine Wunden an und kommentierte diese mit einem einfachen „Gut sieht das aus". Nachdem sie der Schwester, die mit gezückter Patientenakte daneben stand, etwas in einem Fachjargon sagte, von dem ich nichts verstand, wandte sie sich noch einmal zu mir und sah mich an.

„Weißt du, Nele. Man hat mir gesagt, dass deine Eltern meinten, dass du ein Problemkind seist. Jetzt kommt es mir aber gar nicht so vor, als würdest du Probleme machen; im Gegenteil, bisher warst du doch sehr kooperativ"

Ich schwieg und zuckte mit den Schultern.

Ich meine, ich kann ja jetzt schlecht sagen, dass meine Eltern Lügner sind und mich zu etlichen Dingen zwingen, oder?

Sorgen (ASDS/Auf Streife - Die Spezialisten)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt