Kapitel 3

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Es war ein komisches Gefühl so ganz alleine zu sein, aber ich genoss es. Sonst waren immer meine Eltern dabei gewesen, doch jetzt war ich ganz alleine. Ich schloss meine Augen und hörte der Stille zu. Alles was ich hörte war der Wind in den Bäumen und ein paar Vögel.

Die Realität holte mich jedoch schnell wieder ein und ich dachte an meine Eltern. Bestimmt war schon jemand auf der Suche nach mir und die Polizei war auch schon verständigt worden.

Von dem Gedanken angetrieben lief ich immer weiter und weiter. Ich wusste nicht, wie spät es war, doch ich schätzte es auf ca. vier Uhr nachmittags.

Jetzt, wo ich so genau darüber nachdachte, hatte ich keine Ahnung, was ich eigentlich machen sollte, wenn ich irgendwann mal wieder in eine Stadt oder so komme. Ich meine, ich werde bestimmt gesucht und so einfach kann man doch nicht irgendwo dann hingehen, die Polizei weiß dann doch, wie man aussieht. Oder ich musste einfach nur weit genug weg.

Ich lief weiter, ohne darüber nachzudenken wohin. Überall waren nur Feldwege und Felder und dazwischen einfach nur Bäume. Es war schon eine andere Welt, als da, wo ich lebe. Besser gesagt, gelebt habe. Ich werde nicht zurückkehren, werde nicht wieder zu meinen Eltern gehen, egal was sie sagen. Ich glaube ich würde lieber in einer Pflegefamilie oder im Heim leben, als noch bei meinen Eltern.

Sie werden garantiert ausrasten. Sie sind bei Arbeiten mit einer zwei schon extrem wütend geworden und haben mich bestraft. Wie würden sie mich bestrafen, wenn ich zu ihnen Heim käme?

Zu allen Beamten und so würden sie so tun, als hätten sie sich Sorgen gemacht, doch in Wirklichkeit bin ich ihre Maschine, muss immer leisten.

Der Wind rauschte in den Blättern und eine frische Brise zog um meine Arme. Es erinnerte mich daran, dass es langsam Herbst wurde. Wie sollte ich überleben? Sollte ich auf der Straße leben, so wie die Menschen, die meine Mutter immer als „die dreckige Gesellschaft" bezeichnet hatte? Wäre ich in den Augen meiner Eltern dann auch dreckig?

Ich sollte aufhören an meine Eltern zu denken und mich auf meinen Weg konzentrieren, denn ich kam an einer Landstraße, vielleicht nicht viel befahren, aber an einer Landstraße an und ich wollte das Risiko vermeiden angefahren zu werden, da so sicher die Polizei hinzugerufen werden würde und so meine Eltern wüssten, wo ich bin.

Ich ging auf den Radweg und hielt eine vorbeifahrende Radfahrerin an.

„Entschuldigen Sie", sagte ich, „Können Sie mir sagen, wie spät es ist? Ich habe nämlich mein Handy vergessen"

„Kein Problem", antwortet sie mir und sah auf ihre minimalistische Uhr an ihrem linken Handgelenk, „Es ist viertel vor fünf"

Ichbedankte mich und lächelte sie an, damit sie bloß nicht auf dieIdee kam, dass ich ganz alleine und relativ hilflos bin, dennochfragte sie zu meinem Ärger, ob alles in Ordnung sei.

„Ich warte nur auf meine Freundin. Wir wollen uns hier um fünf treffen", erwiderte ich und sie quittierte dies mit einem Lächeln und fuhr weiter.

Viertel vor fünf?! Ich war ein bisschen weniger als drei Stunden gelaufen. Wie weit war ich bloß gekommen? Zehn. Fünfzehn Kilometer? Ein großes gelbes Straßenschild in etwa 400 Metern Entfernung wird mir hoffentlich Auskunft geben. Ich würde gerne joggen, da ich so schnell wie möglich wissen möchte, wo ich bin, doch es fuhren zu viele Autofahrer an mir vorbei und so tun, als würde ich joggen konnte ich nicht, ich hatte keine Sportkleidung an.

Nach zwei erdrückenden Minuten, in denen mich auch wieder die Kälte einholte, kam ich endlich am Schild an. Auf ihm war Folgendes zu lesen:

Köln 25 km, Hürth 10 km und in die andere Richtung Troisdorf 40 km

Wow, so weit war ich gekommen. Es waren insgesamt ca. 17 km gewesen. Tja, liebe Eltern, danke, dass ihr mich so fit gemacht habt. Selber Schuld!

Doch wohin sollte ich jetzt gehen? Nach Köln? War wohl die beste Lösung. Groß genug, sodass ich nicht auffalle und ich würde wohl oder übel einen Unterschlupf finden. Dann also nach Köln.

Ich bog nach links ab und ging weiter. Langsam wurde es dunkler und ein gelb rötlicher Schatten legt sich über den leicht bewölkten Himmel. Die Sonne lief den langsam den Himmel hinunter und nicht mehr zu sehen, als ich in ein Gebüsch flüchtete, weil ein blaues Auto vorbeifuhr. Um diese Uhrzeit konnte ich die Ausrede mit der Freundin nicht mehr verwenden, es müsste jetzt nämlich zwanzig Uhr sein.

Bei näherem hinsehen sah ich, dass es ein Polizeiauto war und es gerade am Straßenrand geparkt hatte. Ich flüchtete mich weiter ins Gebüsch und kleine Äste verfingen sich in meinen Haaren und hockte unangenehm auf einer Brombeerranke. 

"Hallo?", fragte der etwas ältere Polizist in die stille Dunkelheit hinein. "Ist da jemand?", sagte nun der andere, etwas jüngere. Denkt er wirklich, dass ich jetzt heraus komme und mich vor ihn hinstelle und sage "Hier, bringt mich zu meinen schrecklichen Eltern zurück". Mir fällt ein Satz aus einem Buch ein Zynismus ist bei Menschen mit Depressionen häufig vorhanden. Ja, vielleicht hatte ich schon Depressionen, obwohl ich es abstreite, aber tun dies nicht auch menschen mit Depressionen, die Depressionen abstreiten?

"Ich hätte schwören können", holte mich der jüngere Polizist in die Wirklichkeit zurück, "Dass hier jemand ist. Ein Mädchen". Das blonde Haar leuchtete in der Dunkelheit schon regelrecht. "Hier ist niemand", sagte der Ältere zu seinem Kollegen, "Vielleicht hast du ein Wildschwein gesehen oder so", schlug er vor und drehte sich wieder zum Polizeiauto um, doch der blonde Polizist blieb noch einen Moment stehen und sein Blick wanderte über mein Versteck. Kurz hielt er inne und ich konnte ihm genau in die blau grauen Augen schauen.

"Kommst du?", rief sein Kollege, der schon wieder auf dem Fahrersitz saß, zu. "Ja", sagte der Andere langsam und drehte sich um und stieg wieder ins Auto.

Auch als das Polizeiauto seit einigen Minuten wieder weggefahren war, wagte ich es nicht mich zu bewegen oder aus meinen Versteck hervor zu kommen. Ich würde die Nacht hier verbringen. Ich konnte es nicht wagen, geschnappt zu werden. Ich zog die Beine an die Brust und schlang meine Brust. 

Es würde eine ungemütliche Nacht werden und mir fielen langsam die Augen zu.

Letztendlich stand ich doch auf, ging aber weiter durch das Gebüsch und lief nun auf einer großen Wiese lang, zu einem Bauernhof, den ich vorher gesehen hatte. Leise schlich ich mich zur Scheune, die zu meinem Glück einen kleinen Hintereingang hatte. Ich quetschte mich durch und sah zu einem Heuboden hinauf. Ich kletterte die Leiter mühsam hinauf und ließ mich ins Heu fallen. Nach kurzer Zeit fielen mir auch die Augen und ich schlief ein. 

Sorgen (ASDS/Auf Streife - Die Spezialisten)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt