Kapitel 40

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„Magst du mir mal sagen, was dich daran so stört, Nellie?"

Ich heiße Nele.

Das Gespräch mit der Psychologin geht schon seit etwa zwanzig Minuten so. Frau Bekker, die Psychologin, kann sich einfach nicht meinen Namen merken und ich selber werde immer frustrierter, weil ich der Meinung bin, dass es eh nichts bringen wird. Ich bin bisher mit meinen Problemen sehr gut alleine klar gekommen, warum sollte es denn jetzt anders sein.

„Ich heiße immer noch Nele", gebe ich seufzend zurück und verkrampfe mich weiter im unbequemen Stuhl mit Plastiklehne.

„Verzeihung, Nadja", mittlerweile habe ich das Gefühl, dass sie das mit Absicht macht und mich ärgern will. „Aber jetzt sag mir doch bitte, was dich daran stört?", fährt sie fort und achtet nicht mehr auf mein verärgertes Gesicht.

„Ich kann nicht wirklich ausdrücken, was ich denke und fühle", fange ich an, doch werde gleich von ihr unterbrochen. „Versuch es einfach mal so zu sagen, wie du denkst."

Ich denke nach. Es würde an sich Sinn ergeben, doch ich weiß nicht so recht, was ich denke. Auf der einen Seite habe ich Angst und mir gehen die vergangenen Momente immer und immer wieder durch den Kopf, auf der anderen Seite versucht mein Gehirn alles zu vergessen, und zwar mit Erfolg. Daher fällt es mir schwer, Details zu nennen oder eben zu beschreiben, was ich fühle.

„Ich bin mir nicht sicher", stottere ich.

„Nun, sag doch einfach, was du denkst", meint sie ungeduldig zu mir. Wütend überschlägt sie ihre mit Jeansstoff bekleideten Beine und wickelt ihr blödes Strickcardigan um sich.

„Ich denke, dass ich nicht weiß, was ich denke", ich starre auf einen Punkt über ihrer linken Augenbraue und wünsche mir so sehr, dass sie mich einfach nur in Ruhe lassen würde.

„Kindchen, dass ist doch nicht so schwer einfach mal einen Gedanken zu fassen und diesen in Worte zu formulieren. Ich habe langsam das Gefühl, dass du das hier gar nicht ernst nimmst."

Die Innenseite meiner Nase beginnt zu brennen. Warum muss ich immer gleich anfangen zu weinen, wenn jemand etwas lauter wird? Warum kann ich nicht wie jeder auch, Probleme logisch und mit klarem Kopf lösen, anstatt mich hinter Tränen zu verstecken? Ich hasse mich so sehr dafür.

Ich atme tief durch kneife meine Augen kurz zusammen. „Ich nehme das hier ernst, ich habe nur das Gefühl, dass Sie mich nicht ernst nehmen und mir zuhören." Das saß. Sie schaut mich nur verständnislos an. Dann fängt sie an laut zu werden. „Ich glaube, dir geht es nicht ganz gut. Ich bin studierte Psychotherapeutin, ich glaube, dass es dir einfach nicht bewusst wird, dass du unbedingt Hilfe brauchst. Wieso begreifst du das einfach nicht?!"

Jetzt kann ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten und weine drauf los. Sie laufen über meine Wangen wie dicke Regentropfen an einem Tag mit schlechtem Wetter. Wie Ozeane spülen sie ihre salzigen Massen über mein Gesicht. Warum kann diese Frau mich einfach nicht ernst nehmen und mir zuhören und mir meine Zeit geben nachzudenken. Ich weine weiter und obwohl ich versuche sie mir wegzuwischen, kann ich sie nicht aufhalten sich ihren Weg zu bahnen.

„Warum weinst du denn jetzt, Nadine?", fragt sie überfordert und schmeißt ihre Hände in die Luft.

Immer noch weinend stehe ich auf und laufe aus dem Raum heraus. Ich möchte diese Frau nicht mehr sehen. Wie kann jemand so taktlos und gleichzeitig Psychologe sein kann, wird mir einfach nicht klar. Ich gehe zurück auf mein Zimmer, wohin anders soll ich denn auch gehen? Draußen war ich nicht mehr, seitdem ich eingeliefert wurde. Das war vor genau acht Tagen. Heute ist der neunte Tag. Zur selben Zeit ist es der siebte Tag an dem ich wieder nach draußen an die frische Luft will.

In meinem Zimmer wartet jemand auf mich. Es ist Besuch für mich da.

Cem, der auf einem Stuhl an einem Tisch sitzt, blickt von seinem Handy auf und sieht mich an.

„Hi, was ist los, warum weinst du?", fragt er und schaut mich ganz bestürzt an.

„Diese blöde Psychologin nimmt mich nicht ernst", sage ich es einfach heraus. Das ist wohl das Beste, es einfach so zu sagen und so vielleicht Hilfe zu bekommen, „Außerdem kann sie sich einfach nicht meinen Namen merken, ich komme mir da total verarscht vor."

„Hast du versucht ihr das zu sagen?", fragt er. Meine Tränen verebben langsam und nur noch ein Dunst von ihnen bleibt auf meinen Wangen zurück.

„Natürlich, aber sie unterbricht mich einfach immer und immer wieder", antworte ich verzweifelt und sehe ihn an. Cem trägt keine Uniform, sondern Alltagskleidung und es scheint, als wolle er mich einfach nur so besuchen kommen und mir keine Fragen stellen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob es sinnvoll wäre, mich jetzt zu befragen oder irgendwann in der Zukunft. Ich muss eh durch, das ist mir bewusst.

„Hmm", brummt er.

„Ich will nicht mehr mit ihr reden", gebe ich zu.

„Das habe leider nicht ich zu entscheiden, sondern das Ärzteteam hier gemeinsam, aber ich mal versuchen mit ihnen zu reden, wenn du es nicht möchtest."

Ich lächle ihn dankbar an und forme mit meinen Lippen ein „Dankeschön".

„Weshalb bist du eigentlich hier?", frage ich und ziehe meine Knie an die Brust und schlinge meine Arme um sie.

„Ich wollte einfach nur mal schauen, wie es dir geht. Ist das verboten?", man kann ihm ansehen wie nervös er ist, nachdem ich so eine Auftritt hingelegt habe.

„Nein, nein, überhaupt nicht. Ich habe nur mit niemanden gerechnet, das ist alles." Ich will nicht, dass er geht. Cem ist seit einer Woche die einzige Gesellschaft, die freiwillig kommt. Ansonsten haben nur Schwestern, Ärzte, eine Sozialarbeiterin und zwei Polizisten den Schritt über die Türschwelle zu meinem Zimmer gewagt. Ich liege alleine auf meinem Zimmer, anders als beim letzten Mal, aber dieses Mal freue ich mich sogar darüber. Ich kann so lange schlafen wie ich will, ohne jemanden zu stören.

Man reißt mich aus meinen Gedanken.

„Dir geht es ja besser, als ich gedacht hatte", stellt er fest und mustert mich von Kopf bis Fuß, „Gut meine ich nicht, aber da in der Nacht sahst du nicht wirklich gut aus, aber ja, besser als ich dachte."

Ich nicke. „Ich habe echt Glück gehabt", gebe ich die Worte der Ärzte wieder, die man mir über und über gesagt hatte.

Eine Weile sagt niemand etwas. Wir sitzen nur schweigend da und sorgen uns nicht.

„Nele", beginnt er und blickt auf das noch verpackte Kartenspiel auf dem kleinen Nachttisch, „Wann hast du das letzte Mal Uno gespielt?"

Sorgen (ASDS/Auf Streife - Die Spezialisten)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt