Kapitel 39

1.2K 42 12
                                    

Die Tage im Krankenhaus vergehen langsam und zähe, sodass ich mich ehrlicherweise frage, wie manche Menschen einfach nur mit Nichts tun zufrieden sind. Am liebsten würde ich alle Dinge auf einmal machen, doch der junge Arzt mit Brille, der sich als Simon Täubner entpupte, hat mir strenge Bettruhe verordnet, die auch von Krankenschwester Birgit strikt durchgesetzt wurde. Ich nehme brav meine Medikamente und versuche das, was Simon mir erklärt zu verarbeiten.

Eben ist er zu mir vorbeigekommen und hat mir versucht, meine, seiner Ansicht nach, viel zu lange Liste meiner Verletzungen zu erklären.

„Nun, du hast ja eine beachtliche Menge behandlungsnötiger Verletzungen gesammelt, Nele", meinte er zu mir und ich lächelte müde zurück.

„Da ist auf der einen Seite das, weswegen du schon vor einiger Zeit ins Krankenhaus hättest gesollt, das mal, wo am Ende der Unfall passiert ist und deine Mutter und du abgehauen seid." Ich wurde ziemlich rot. Immer noch war es mir sehr unangenehm an Mamas Taten erinnert zu werden. Bevor er weiter sprach, unterbrach ich ihn.

„Gibt es schon Neuigkeiten, wo meine Mutter ist?", fragte ich, denn das war eine der Fragen, die mich seitdem ich hier bin beschäftigen. Ich bin ohne meine Eltern aus Pilsen geflohen und hatte und habe keine Ahnung, wo sie sich befinden. Vielleicht waren sie noch dort, vielleicht aber auch schon in Deutschland oder Weiß-Gott-Wo. Ich bin mir sicher, dass ich nicht mehr zu ihnen kommen werde, nach allen Geschenissen der vergangenen Wochen, trotzdem möchte ich eine Art Sicherheit dafür haben. Wie bei Angehörigen von langezeit Verschwundenen, die sich auch irgendwann mit einer schlechten Nachricht zufrieden stellen würde, jedoch nur eine bestimmte Sicherheit haben wollen. Und so ist es bei mir auch.

„Dazu kann ich dir leider nichts sagen, da ich persönlich keine Kontakte zur Polizei habe. Jedoch wollten heute Nachmittag zwei Beamten kommen, um zumindest eine Teilaussage von dir zu erhalten. Ich bin mir sicher, dass du sie auch bei der Gelegenheit fragen kannst."

Ich nicke.

Man sieht, dass ihm die nächsten Worte ein wenig Überwindung kosten, sie auszusprechen. „Heute Nachmittag hast du auch einen Termin bei unserer internen Kinder- und Jugendpsychologin. Ich weiß, was du jetzt denkst, aber ich bin mir sicher, dass sie dir helfen kann. Mir ist einfach die Sache, die Franco, ein Rettungssanitäter, erzählt hat, nicht aus dem Kopf gegangen und ich würde mich sehr freuen, wenn du ein wenig kooperieren würdest."

Ich bin ein wenig verblüfft. Zum einen darüber, dass ich so schnell schon zu dieser Frau muss, zum anderen aber auch, dass ich anscheinend so negativ gewirkt habe, als er mir die Geschichte mit der Psychologin zum ersten Mal erläutert hatte.

Wieder nicke ich und lasse ihn weitersprechen. Er schaut auf meine beige Krankenmappe und atmet tief ein, bevor er losredet.

„Folgende akute Verletzungen konnten wir bei dir feststellen: zwei Rippenfrakturen im oberen Bereich des Thorax, beide sollten nach jetzigem Stand gut verheilen. Eine Platzwunde an deiner Kopfrückseite und eine mittlere Gehirnerschütterung, die jedoch keine sichtbaren Schäden hinterlassen haben, die bildgebenden Aufnahmen, sprich CT, waren unauffällig, jedoch kann es trotzdem zu Nachblutungen kommen. Wie eben schon angesprochen hast du zwei gebrochene Rippen, die einen Pneumothorax ausgelöst haben, das heißt, dass ein wenig Luft zwischen Lunge und Brustwand eingeschlossen war, was wir jedoch mit einem Ventil behandeln konnten."

Erneut unterbreche ich ihn. „Was heißt ‚mit einem Ventil'?" Ich sehe ihn mit zusammen gezogenen Augenbrauen an.

„Das heißt, dass wir eine Nadel genommen haben, die mit einem Ventil am oberen teil versehen ist und wir dir diese Nadel so weit in deine Brust gestochen haben, dass sie eben im Bereich, wo die Luft sich gesammelt hat, ist und dann das Ventil aufgedreht haben, sodass die Luft entweichen konnte."

Ein wenig baff über diese, meiner Meinung nach, etwas brutalen Maßnahmen starre ich ihn an. Wie automatisch fahre ich mit meinen warmen Fingerspitzen über die Haut, wo die vermeintliche Nadel in meinen Oberkörper gestochen wurde.

Er lacht herzlich. „Du musst dir keine Sorgen machen, das war im Prinzp reine Routine. Es ist noch nicht einmal so schlimm, dass in manchen Erste-Hilfe-Kästen diese Ventile sogar enthalten ist."

Ich kann ihm nicht ganz glauben und will nachhaken, doch er fährt schon weiter fort.

„Die Hämatome heilen bisher ganz gut ab und im Bauchbereich hattest du zum Glück keine weiteren Verletzungen, als blaue Flecke. Ich-", er bricht ab, „Möchtest du wissen, was von den beiden Vergewaltigungen an dir hängen geblieben ist?"

Darüber bin ich mir tatsächlich nicht sicher. Ja, ich möchte schon wissen, ob etwas kaputt ist dort unten, doch fürchte ich mich zu sehr, als dass ich seine Worte hätte ertragen können, weshalb ich schlussendlich mit dem Kopf schüttele.

„Gut, das akzeptier ist natürlich."

Ich bin ihm unheimlich dankbar, denn ich glaube, dass ich noch Zeit brauchen werde, bis ich wissen will, was, außer meinen Kopfschmerzen an mir noch dran ist.

Er fährt fort. „Sonst konnten wir keine Infektionen feststellen und nur noch ein paar tiefe Schürfwunden und Kratzer. Du bekommst trotzdem ein Breitbandantibiotikum, weil wir eben nichts das Risiko riskieren wollen, dass du dich mit etwas infiziert hast, vor allem, da du uns nicht sagen konntest, wann du das letzte Mal geimpft wurdest. Auch Schäden durch das Pfefferspray konnten wir nicht feststellen. Falls du Probelme beim Sehen haben solltest, sofort Bescheid sagen und ein Augenarzt schaut da nochmal drüber. Zudem erhälst du präventiv Tabletten gegen HIV, da wir uns nicht sicher sein können, ob deine Vergewaltiger verhütet haben, ich gehe jedoch nocht davon aus.

Alles in allem kannst du wirklich froh sein, dass du nicht schlimmer verletzt bist und wir alles ohne Operation behandeln konnten."

Langsam sackt die Erkenntnis. Es hätte mich deutlich, deutlich schlimmer treffen können. Das flaue Gefühl in meinem Magen, das ich eben noch hatte und das mich unsicher gemacht hat, ist wie weggeblasen und Erleichterung tritt and ihrer Stelle.

Ich war nicht tot, bis jetzt noch nicht. Und jetzt gerade in diesem Moment war ich noch nie so froh darüber, zu leben.

Vorletztes Kapitel, bis es mit dem Schreibcember (kann jemandem bitte ein besserer Name einfallen) losgeht. Auch wenn etwas mehr medizinische Details enthalten sind, die auch akkurat sind. Und weil ich gerade mit nichts anderem zu tun habe, als solchen Sachen, dachte ich mir, füge ich sie hier mit ein und erfreue meine Leser damit.

Seid ihr schon in Weihnachtsstimmung? Ich bin so ein Grinch den ganzen Dezember über, sorry :")

Sorgen (ASDS/Auf Streife - Die Spezialisten)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt