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Es hätte woanders nicht schöner seien können. Ein Zufall hatte mich in das kleine Städtchen Kerlouan in der Bretagne gebracht, genauer gesagt mein Professor der Amsterdamer Universität an der ich Architektur studierte. Ich hatte mein zweites Staatsexamen gerade in der Tasche und suchte ein Volontariat,
Mein Professor kannte mich und wusste um meine liebe zur bretonischen Architektur,  Geschichte und Kultur, das er mir von seinem guten Freund erzählte, der dringend Hilfe in seinem Büro im Département Finistère benötigte.

Dies war meine Rettung und meine Flucht zugleich. Ich packte noch am selben Tag mein Hab und Gut in meinen Fiat 100 und fuhr geradewegs in mein neues Leben.

Kerlouan lag im Herzen des ‚Pays Pagan' und der angrenzende Vorort Meneham bezauberte mit seinen grasbewachsenen Dünen und seiner einzigartigen Atmosphäre. Das hinter riesigen, bizarr geformten Felsbrocken versteckte malerische Fischerdorf mit den reetgedeckten Häusern hatte sich seinen Charme aus alten Zeiten bewahrt. Der Ort war bei Touristen im Sommer berühmt, zudem schmückten sie zahlreiche Ansichtskarten und Reiseführer, zwischen Felsen fand man das eingezwängte Wachhaus aus dem 17. Jh. und die bezaubernden, renovierten reetgedeckten Häuser  begeisterten viele. Im Winter hingegen traf man ausschließlich nur Einheimische an und dennoch wirkte das Örtchen nicht ausgestorben. Eher im Gegenteil...

Was mich zusätzlich an dieser Region Frankreichs faszinierte waren, das sich Felsen nicht damit zufrieden gaben, die Küste zu zieren. Im Hinterland bildeten  sie beispielsweise auch den Rahmen für die Pol-Kapelle. Der Glockenturm dieser im 16. Jahrhundert erbauten und im 19. Jahrhundert wieder aufgebauten Kapelle ragte stolz zwischen den Steinen empor. Gleich daneben sollte ein unter dem Kommando Vaubans stehendes steinernes Wachhaus vor englischen Angriffen warnen.

Dazu diese gigantischen Felsbrocken aus Granit, die den feinen und langen Sandstrand von Brignogan einrahmten. Unweit davon bot sich die Landspitze Pointe de Pontsuval mit ihrem kleinen Hafen als hübsches Ziel für einen Spaziergang für mich an. Ich wusste damals sofort... hier wollte ich bleiben, hier war ich zu Hause.

Es dauerte nicht lange und ich hatte mich eingelebt. Durch Monsieur Cantreaux hatte ich schnell Anschluss gefunden und auch die Arbeit in seinem Architekturbüro lief mir erschreckend schnell leicht von der Hand. Relativ schnell überließ er mir auch seine alt eingesessenen Kunden, wovon einige zuerst noch erhebliche Vorurteile mir gegenüber pflegten, aufgrund meiner Herkunft.
Als Niederländerin mit deutschen Wurzeln hatte ich es wahrhaft nicht leicht, mich durchzusetzen, aber Monsieur Cantreaux hatte sein vollstes Vertrauen in mich und meine Arbeit.  Es lag wohl an der Historie, dem zweiten Weltkrieg, das viele Einheimische den Deutschen ablehnend gegenübertraten, besonders die ältere Generation. Dennoch setzte ich mich durch. Zudem der französischen Sprache mächtig, gaben die Kunden mir irgendwann eine Chance, sodass nach einem halben Jahr, ich die Leitung des Büros übernahm und mein Chef  in Nantes ebenfalls ein Büro eröffnete und nur gelegentlich in den Nordwesten der Bretagne kam.

Valerié und ich verstanden uns auf Anhieb. Sie war unsere Sekretärin, so alt wie ich, Mitte zwanzig, überzeugter Single und kein Kind von Traurigkeit. Auch wenn ich ihren Wochenendlichen Verschleiß an Männern nicht unbedingt nachvollziehen konnte, mochte ich sie sehr. Sie war direkt, ehrlich, aber auch romantisch sensibel zugleich. Ich war damals schon der festen Überzeugung gewesen, das sie nur aus Eigenschutz Single blieb, im Gegensatz zu mir. Meine Gründe waren andere, aber davon wusste nur ich und das sollte auch so bleiben...
Auch wenn Valerié und ich fast unzertrennliche Freundinnen geworden waren, mein Geheimnis hütete ich... auch weiterhin in Gegenwart meiner Eltern, die bis heute nicht verstanden, das ich sie verlassen, und so weit weg gezogen war. Aber weder Amsterdam, wo mein Vater noch Familie hatte, als auch Mittelfranken, wo ich aufgewachsen war, waren für mich kein zu Hause mehr... mein zu Hause war inzwischen die Bretagne.
Anfänglich wohnte ich noch in einer kleinen, aber feinen Studentenähnlichen Wohnung in Kerlouan, aber noch vor Weihnachten zog ich bereits in mein eigenes kleines Haus in Meneham, etwa zehn Minuten mit dem Auto vom Stadtzentrum von Kerlouan entfernt. Das Haus war mein persönlicher Traum. Es lag direkt am Strand, das Meer zu Füßen, und ohne die Verbindungen von meinem Chef, hätte ich diese Chance wohl nie gehabt. Viele antike Möbelstücke konnte ich vom Vorbesitzer übernehmen, und passten nur zu gut zu dem landestypische kleinen weißen Haus. Ich plante damals schon beim Einzug, wie ich im Frühjahr den kleinen Garten gestalten wollte. Viel sollte sich nicht ändern. Auf Fotos hatte ich bereits gesehen, welch wunderschöne Blütenpracht er hervorbrachte.
Trotz der anfänglichen Zweifel und der Traurigkeit meiner Familie, mich nun so weit entfernt zu wissen, freuten sie sich riesig und versprachen, mich über die Feiertage zu besuchen und Weihnachten gemeinsam mit mir in meiner neuen Wahlheimat zu verbringen.

Dämonen der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt