12.

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Ganz gemütlich liefen Patrick und ich vom Louvre aus durch Seitenstraßen zurück Richtung Montmatre. Die meiste Zeit schwiegen wir, hingen beide unseren Gedanken nach. Ab und an machte ich noch ein paar Fotos. Paris zeigte seine schönste Wintersonne und die Lichtverhältnisse in den kleinen Gassen und Straßen auf die alten Bauten war teilweise so grandios, das ich das einfach nur festhalten musste. Zudem lies ich die letzten Tage gedanklich Review passieren. Unabhängig davon, das ich die Zeit hier in Paris mit Patrick sehr genossen hatte, waren wir uns doch mental sehr nah gekommen... eher gesagt, ich hatte ihm mein Innerstes anvertraut... Das ich jemals über das Geschehene reden würde, hätte ich nie gedacht. Dennoch... er war es, der es geschafft hatte, das ich mich ihm anvertraute, seine Nähe sogar zulassen konnte, ohne mich unwohl zu fühlen. Vielleicht lag es auch einfach daran, das wir beide vom ersten Augenblick unserer Begegnung ein Gefühl zueinander hatte, welches man immer noch nicht beschreiben konnte. Dieses unsichtbare Band zwischen uns, was ich von Anfang an spürte wurde täglich fester, dicker, und wuchs weiter. Wie es in den nächsten Wochen und Monaten weiter gehen sollte, wie oft man sich sehen konnte, das würde die Zeit zeigen... aber mir war die Entfernung egal... wozu gab es Autos, Flugzeuge etc. Und zur Not blieb einem das Telefon. Ich musste schmunzeln, als ich an die Nacht vor bald drei Wochen zurück dachte, in der wir die ganze Nacht sms schrieben.
„An was denkst du Ani?", Patrick hatte mein Schmunzeln wohl gemerkt... „An uns... wie es weiter geht... wie man sich sehen oder in Kontakt bleiben kann, um ehrlich zu sein..." „Wir werden einen Weg finden... so schnell wirst du mich nicht mehr los... ich weiß nicht, was mit der Familie geplant ist.., lass uns nach den Feiertagen telefonieren... dann hab ich den Plan zur Hand... ich verspreche dir, so oft wie möglich zu kommen... also nur, wenn du willst..." „Natürlich... und ich bin ja ab und an ja auch mal in Deutschland... und zur Not..." „Gibts wieder ne Nachtsession mit sms..." „Genau...", wieder wie selbstverständlich verschränkte Patrick unsere Finger, bis wir den Montmatre erreichten und spontan entschieden, einfach einen Pizza zu holen und ins Hotel zu gehen...

Kugelrund gefuttert lag ich auf dem Kungsizebett und blätterte in dem Buch über Architektur, was Patrick mir geschenkt hatte. „Ani... wann wolltest du morgen früh los?" „Puhhh keine Ahnung. Sag was..." „Müssen wir denn zu einer bestimmten Zeit zurück sein?" „Ich hab nichts geplant... warum fragst du?" „Lust nochmal Kind zu sein?!" „Wie?" „Ja... Lust nochmal Kind zu sein?!" „Hmmm kommt drauf an..." „Auf was?" „Tja... als Kind hatte man zwar kaum Verpflichtungen... konnte spielen... durfte aber vieles nicht... musste früh ins Bett..." „Spielen... geht fast in die Richtung... Lust auf etwas Fairy Tale?" , noch immer stand ich auf dem Schlauch und sah Patrick fragend an. „Ich würde dich gern morgen ins Eurodisney einladen..." „Bin ich sofort dabei... aber.. Du musst mich nicht einladen, das kostet nicht wenig!" „Doch... sieh es als vorzeitiges Weihnachtsgeschenk an!" „Patrick... bitte!" „Ich bin beleidigt, wenn du das nicht annimmst!" „Wolltest du nicht morgen zum Trödelmarkt?!" „Schon, aber da können wir auch Sonntag hin..." „Wie Sonntag?" „Ja... wenn wir morgen ins Disneyland fahren, schlafen wir noch ne Nacht hier, gehen dann morgens zum Markt und können dann gemütlich zurückfahren... außer du hast andere Pläne..." „Ich nicht.. aber du... du wolltest dir noch was von der Umgebung von Kerlouan ansehen... wird bissle knapp..." „Stimmt schon.. aber so hab ich noch einen Grund, dich zu besuchen...", grinste Patrick. „Deal!"

Ich hing meinen Gedanken nach, während ich Patrick zum Flughafen nach Rennes fuhr. Unbeschwerte Tage lagen hinter uns und ich muss sagen, ich hatte die Zeit mit ihm sehr genossen. Auch wenn es in Versailles hart an meine Substanz ging, ihm meine Vergangenheit offen zu legen, überwogen die schönen Zeiten. Sein spontaner Entschluss, ins Eurodisney zu fahren, war grandios. Lange hatte ich nicht mehr soviel Spaß gehabt und soviel gelacht wie mit ihm. Ihm schien es ähnlich gegangen zu sein, denn bisher hatten seine Augen in der ganzen Zeit nie so gestrahlt, wie dort. Wir hatten Glück, denn obwohl es Wochenende war, war aufgrund der bevorstehenden Feiertage kaum was los, sodass wir fast jedes Fahrgeschäft ohne Wartezeiten nutzen konnten. Nur die gerate, die eher für kleinere Kinder gedacht waren, ließen wir aus.
Noch total aufgekratzt erreichten wir abends wieder Paris und ich lud Patrick noch in ein Steakhouse ein. Ich wollte mich jedenfalls etwas revanchieren, da er partout darauf bestanden hatte, das ich nicht einen Cent im Eurodisney bezahlte. Nicht mal eine Coke... irgendwann hatte ich es aufgegeben und resignierte..., denn einen Streit provozieren wollte ich nun auch nicht. Die Einladung zum Essen nahm er jedenfalls an und so ließen wir unseren letzten Abend gemütlich ausklingen, bevor es am nächsten Mittag heim ging... natürlich mit dem geplanten Abstecher zum Flohmarkt.
Patrick beherrschte das verhandeln. Gekonnt machte er ein Schnäppchen nach dem anderen. Letztlich war seine Ausbeute enorm... diverser Kleidung und einige Schallplatten hatte er gefunden . Er erzählte mir, das er das Verhandlungstalent von seinem Vater gelernt hatte, denn früh war er mit seinen Geschwistern auf Flohmärkten unterwegs gewesen. Sie hatten damals nicht viel... mussten sparen und aufs Geld achten. Und auch heute besuchte er solche Märkte noch gern, obwohl er nicht sparen müsste...
Nun hieß es Abschied nehmen, für wie lange, das wussten wir beide nicht. Deutlich hatte ich bereits letzte Nacht gespürt, das Patrick nicht wirklich erfreut darüber war, nach Deutschland zurück zu fliegen. Auch mir wurde schwer ums Herz... trotz der kurzen Zeit... Patrick war mir wichtig geworden... ein Freund... er war etwas besonderes für mich, und das lag nicht daran, das er Paddy von der Kelly Family war... nein... es war etwas, was ich immer noch nicht in Worte fassen konnte. Vielleicht lag es einfach daran, das wir die selben Interessen hatten, ich konnte mit ihm lachen, aber genauso gut ernst sein. Und... dieses komische unsichtbare Band des Vertrauens, was von Anfang an da war. Mehrfach hatte ich die letzten Tage in mich gehorcht... darauf gewartet, das die Alarmglocken los gingen... aber nichts dergleichen war passiert. Innerlich war ich plötzlich vollkommen ausgeglichen, und ich fragte mich, wie es sein würde, wenn Patrick nun nicht mehr da war... konnte es so unbeschwert weitergehen?

Dämonen der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt