Mit schweren Augen blickte ich ununterbrochen auf die Uhr, welche unentwegt vor sich hintickte. Seit geschlagenen zehn Minuten tat ich nichts anderes als diese Uhr anzustarren. Noch fünf weitere und ich war endlich frei, naja für zwei Wochen zumindest.
Welcher Lehrer kam bitte auf die Idee, in der letzten Schulstunde vor den Ferien noch Unterricht zu machen?
Fassungslos ließ ich einen Seufzer los und vergrub meinen Kopf in meine Hände.
Dem einschläfernden Geschwafel meines Mathelehrers folgte ich schon lange nicht mehr. Stattdessen kritzelte ich lieber verformte Herzen und Blumen auf die Rückseite meines Collegeblocks.
gähnend ließ ich meinen Blick durch das trostlose Klassenzimmer schweifen. Dieses war offensichtlich nicht die beste Inspiration um der neue Kritzel-Picasso zu werden. Die Aussicht nach draußen hingegen gefiel mir um einiges mehr. Es war Herbst geworden. Ich liebte den Herbst.
Die Blätter der Bäume auf dem Hof hatten sich bereits in saftige Gelb- und Orangetöne gefärbt. Die Sonne ging früher unter und draußen roch es nach Kamin.
Die beste Zeit des Jahres, wenn man mich fragt.
Völlig verloren in meinen Schwärmereien für den Herbst, bekam ich nicht mit, dass mein Lehrer, welcher meine Geistesabwesenheit höchstwahrscheinlich bemerkte, versuchte mit mir zu reden: „Erde an Kenna, kannst du uns den Rechenweg für Aufgabe drei erklären, bitte?" Riss er mich aus meinen Gedanken.
Erschrocken starrte ich auf die Tafel.
Ich hatte wirklich keine Ahnung von dem, was da stand.
Nach einigem Rumgestammel meinerseits rettete mich endlich die Schulglocke und ich atmete erleichtert aus.
„Na gut, dann will ich mal nicht so sein." Sagte mein Lehrer. „Nun hast du ja zwei Wochen Zeit um das ganze zu lernen."
Mit einem freundlichen Nicken, welches „Ganz sicher nicht" schrie, packte ich meine Sachen zusammen und verließ schnurstracks das Klassenzimmer.
Meine beste Freundin Maya wartete vor der Klasse auf mich. „Fick Algebra." Flüsterte sie mir ins Ohr, ehe wir Arm in Arm das Schulgebäude verließen.
Auf dem Platz vor der Schule steuerte sie direkt auf ihre "Jungs" zu. Ihre Jungs waren das Footballteam der Schule, welche rauchend und sich laut unterhaltend im Kreis standen. Ich sah zu Maya rüber. Sie lockerte ihre Krawatte und fing meinen fragenden Blick auf und grinste mich dann vielsagend an. Sie lehnte sich zu mir rüber.
Fynn's Kumpel Tyler findet dich wohl ganz süß."
Flüsterte sie.
„Soll ich euch einander vorstellen?"
Ich traute meinen Ohren nicht.
„Dein Ernst, Maya? Du weißt, dass ich kein Interesse an deinen Footballspielern hab."
Doch es war zu spät. Meine beste Freundin entfernte sich bereits aus meinem Griff und lief auf die Gruppe zu und warf sich einem der Typen an den Hals. Es war Jason, dem sie diese besondere Art der Aufmerksamkeit schenkte, von der die Anderen Jungs nur träumten.
Die Beiden standen aufeinander und es gab Gerüchte, dass sie letztes Wochenende auf einer Party miteinander geschlafen hatten. Maya selbst stritt dieses Gerücht aber postwendend ab, während sich Jason gar nicht dazu äußerte. Ich wusste nicht was ich glauben sollte.
Aber es stimmte, seit letzter Woche war die Stimmung zwischen den Beiden irgendwie seltsam. Trotzdem hatte sie nur Augen für ihn.
Maya war ein sehr beliebtes Mädchen, vor allem bei den Jungs.
Ich hatte beiläufig mitbekommen, wie viel Respekt die anderen vor ihm hatten, weil er es schaffte, sie zu "klären". Sie flirtete mal hier, mal da, doch am Ende ließ sie eigentlich niemanden ran.
Außer Jason.
„Hey Jungs!" Begrüßte Maya die Gruppe in einer verführerischen Stimme, mit aufgesetztem Lächeln. Sofort waren alle Augen auf sie gerichtet.
Sie war total theatralisch und manchmal ein wenig übertrieben.
Sie liebte es im Mittelpunkt zu stehen und außerdem war ihr Vorbild Blair Waldorf.
Ich fand, es war nichts falsch daran, sie war eine Meisterin darin, ihr Leben zu romantisieren.
Das war auch der Grund weshalb ich mir Niemanden vorstellen konnte, mit dem ich mehr Spaß haben könnte, als mit ihr.
Sie machte einen langweiligen Tag zu einer spannenden Folge ihrer Lieblingsserie.
Ich war einfach nicht so extrovertiert, wie sie.
Maya steckte sich eine Zigarette an und bat mir auch eine an, welche ich dankend ablehnte.
Ja, sie konnte manchmal fieß sein und wusste, wie sie anderen Mädchen die Show stahl.
doch sie konnte es sich erlauben.
Sie war nunmal wunderschön, mit ihren langen, roten Locken und ihren dunkelblauen Augen, die mich an den Ozean erinnerten.
Trotzdem war sie nie zufrieden, mit sich selbst. Nach außen wirkte es nie so, doch sie beschwerte sich immer wieder über ihr Äußeres.
"Ich wünschte ich würde so aussehen wie du."
Meinte sie neulich, als sie mich für ein Stadtfest schminkte.
Ich dachte, sie würde Witze machen.
Doch dann beichtete sie mir, dass sie neidisch auf mein glattes, braunes Haar war.
Ich lachte nur, jedoch musste ich seitdem öfter darüber nachdenken.
Ich wusste, dass ich hübsch war, Andere sagten das auch oft zu mir. Warum hatte mich trotzdem noch nie Jemand nach einem Date gefragt?
Maya meinte, ich hätte wahrscheinlich viele Dates, wenn ich nur versuchen würde, mich etwas anzupassen.
Aber ich wusste nicht, wie man sich anpasste.
Meine Eltern trichterten mir ein, dass ich ein Individuum war, kein Mitläufer und dass ich einfach ich selbst sein sollte.
Doch das Problem war, ich wusste nicht, wer ich wirklich war.
Wahrscheinlich war das normal. Ich war erst 17 und nichtmal mit der Schule fertig. Meine Eltern waren zuverlässig, dass ich im richtigen Moment wissen würde, wer und was ich sein will.
Sie machten mir nie Stress, was das anging.
Maya hingegen wusste genau, was sie sein wollte.
Reich und berühmt.
Sie wollte eine Schauspielerin werden, was gut zu ihr passte. Sie hatte einen Hang zum Drama und sie liebte es, auf mysteriös zu machen.
Sie war bereits berühmt, berüchtigt und an ihrer Stelle würde ich mir Sorgen machen, bei dem Ausmaß der Gerüchte, die über sie kursierten aber es störte sie nicht.
"Das sind alles meine Fans."
Ich wusste nie ob sie damit mich oder sich selbst überzeugen wollte, jedoch gab ihr die Einstellung, dass sie alle liebten unglaublich viel Kontrolle.
Privat war sie aber wirklich die beste Freundin, die man sich vorstellen konnte. In 16 Jahren Freundschaft, hatte sie mich nicht ein einziges mal im Stich gelassen.
Sie passte immer auf mich auf und war für mich da. Das war keine Naivität, sie würde diesen ganzen Football-Jungs sowas von in den Arsch treten, wenn es darauf ankommen würde.
Ein Typ aus der Gruppe lud alle zu einer Hausparty am Abend ein. Maya drehte sich zu mir und begann zu grinsen. „Was guckst du so? Willst du auch kommen?"
Fragte sie.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Bin mir nicht sicher." Entgegnete ich.
„Überleg's dir, ich komm heute Abend zu dir."
Stellte sie fest.
Dann verabschiedete sie sich von ihren Freunden und wir verschwanden zusammen zum Fahradparkplatz.
Unsere Tradition war es jeden Freitag nach der Schule in unserem Lieblingscafe etwas zu trinken. Und so fuhren wir auch heute, an diesem schicksalreichen Oktobertag, nichts ahnend in die Stadt.
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Stockholm
RomanceMehr und mehr realisierte ich, dass „Bis der Tot uns scheidet", kein Segen war. Es war ein Fluch. Kenna's Leben könnte banaler gar nicht sein. Ihre Zeit verbrachte sie schon immer im Schatten anderer, bis sie an einem schicksalhaften Abend zur fals...