Kapitel 39

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Am nächsten Tag war es dann so weit.
Wir fuhren alle gemeinsam am späten Nachmittag los.
Ich war auf der Rückbank zwischen Tim und Elyas eingequetscht und letzterer hielt meine Hand, welche ich vor Aufregung fest drückte. Natalia textete mich damit zu, wie ich mich in bestimmten Situationen zu verhalten hatte.
Ich hörte ihr nur mit einem Ohr zu. Ich war viel zu angespannt und das bedrückende Gefühl der Angst im Magen verstärkte sich immer mehr.
Nach einer gefühlten Ewigkeit der Unruhe, parkte Marco das Auto endlich vor einem alten, leerstehenden Fabrikgelände. Es war bereits dunkel, als wir ankamen.
Meine Beine waren wie taub von der Angst. Es fiel mir schwer, überhaupt aufzustehen.
Elyas und ich betraten das Gebäude alleine, wir würden zu viel Aufmerksamkeit erregen, wenn wir alle zusammen reingehen würden, die anderen hielten draußen die Stellung.
In einem schäbigen Vorraum kamen wir zum Stehen.
Ich war nur eine Tür von meinem Schicksal entfernt.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals.
Elyas sah mir tief in die Augen, das war gerade das Einzige, das mir wenigstens etwas Ruhe gab.
„Ist alles okay?"
Flüsterte er besorgt gegen meine Lippen und nahm mein Gesicht in seine Hände.
Etwas zittrig nickte ich, ich war zu nervös um zu sprechen.
„Ab jetzt musst du leider alleine weiter."
Diese Worte hallten noch Sekunden später in meinen Ohren wider.
„Bleibst du hier?"
Fragte ich unsicher mit brechender Stimme.
Er nickte.
„Ich bleibe hier stehen und bin sofort da, sollte dir etwas passieren."
Versicherte er mir.
Das war wahrscheinlich das Einzige, was er gerade für mich tun konnte.
„Okay."
Stimmte ich etwas unsicher zu, ehe er sich noch einmal vorbeugte, um mich zu küssen.
Unsere Lippen traffen sich sachte und er striff mir mit der Leichtigkeit einer Feder eine Strähne hinter mein Ohr.
Als wir uns wieder voneinander lösten, drehte ich mich um und stieß mutig die Tür vor mir auf.
Ich betrat die große, leere Lagerhalle, die lediglich durch eine alte, schmutzige Glühbirne beleuchtet wurde, bei der es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie das Zeitliche sehnte.
Ich sah mich um, es schien, als wäre ich allein. Doch seit ich durch die Tür trat, hatte ich das ungute Gefühl, beobachtet zu werden.
Ich ließ die letzten zwei Monate revué passieren.
Wem hatte ich etwas angetan?
Gustavo. Seine Leute wollten ihn rächen. Doch würden sie sich trauen, etwas gegen die Dé Luca's zu tun?
Kylian war schon tot.
Und Maya?
Maya würde mir nichts antun. Ich weiß, das dachte ich vorher auch schon, doch diesmal war ich mir sicher.
Vielleicht Maya's Eltern?
Sie waren unsere Feinde. Aber würden sie mich dort mit hinein ziehen?
Schließlich ist meine Verbindung zu den Dé Luca's Maya's Schuld.
Auf einmal hörte ich eine sich öffnende Tür, die kurz darauf noch geräuschvoller wieder in's Schloss fiel.
Schritte, die sich näherten. Ein Stein fiel mir vom Herzen, als ich feststellte, dass es nur eine Person war. Eine Frau.
Als sie mir näher kam, erkannte ich sie.
„Mom?"
Platzte ich ungläubig heraus, als ich mir komplett sicher war.
Ich lief auf sie zu und sie beschleunigte ihr Schrittempo ebenfalls.
„Kenna!"
Rief sie ungläublig, und ich konnte es auch nicht glauben.
Auch wenn ich nicht wusste, was das alles hier zu bedeuten hatte, fiel ich meiner Mutter um den Hals. Sie erwiderte meine Umarmung.
Ich atmete tief ein und schloss die Augen. Ich sog den Duft meiner Mom tief in mich ein und sofort schießen mir die Tränen in die Augen.
War jetzt alles vorbei? Konnte ich endlich wieder nachhause?
Wollte ich überhaupt wieder nachhause?
Widerwillig lösten wir uns langsam von einander.
Auch meiner Mutter liefen die Tränen unkontrolliert über die Wangen.
„Mein Gott, du bist es wirklich!"
Sie hielt mein Gesicht in ihren Händen und ich nickte.
Natürlich war ich es wirklich.
"Warum bist du hier, Mom? Ich hätte wirklich viel erwartet, aber nicht dich."
Sie seufzte und fing mit ihren Daumen meine Tränen ab.
Dann begann sie zu erzählen.
„Ich habe nach der Zeit herausgefunden, dass diese Familie dich entführt hat.
Ich musste dich unbedingt zurück bekommen. Niemand darf mir mein Baby wegnehmen."
Es klang so merkwürdig, wie sie das sagte und mit der Zeit merkte ich, dass sie nicht mehr so aussah, wie ich sie in Erinnerung hatte.
Sie sah krank und durchgedreht aus.
„Wie hast du herausgefunden, dass sie es waren? Hast du Verbidungen zu diesem Kartell?"
Fragte ich.
Ich kannte die Antwort doch ich war misstrauisch.
Ich traute meiner eigenen Mutter nicht mehr.
Sie schüttelte schnell den Kopf.
„Natürlich nicht, Kenni!
Aber es ist wichtig, dass du jetzt mit mir mitkommst, Dad wartet draußen im Auto. Wir werden in Ruhe über alles reden."
Versuchte sie, mich zu überzeugen, doch ich wusste, dass sie ein falsches Spiel spielte.
Kurz überlegte ich dennoch, mit ihr mitzugehen.
"Los Kenna, setz dem ganzen endlich ein Ende."
Sagte eine Stimme in meinem Kopf und ich war naiv genug zu glauben, dass meine Mutter mir nichts antun würde.
Doch instinktiv war mir klar, dass sie log. Und es brach mir das Herz, mich gegen sie zu stellen.
„Nein."
War meine Antwort, woraufhin sie mich ungläubig ansah.
"Erst, wenn du mir die Wahrheit sagst."
War mein Falscher Kompromiss.
Meine Mutter seufzte, blickte nervös um sich, begann dann aber mit einem Hauch widerwilligkeit
zu erzählen.
„Wir waren früher in einer gemeinsamen Gang doch unsere Wege trennten sich, als sie angefangen haben sich für was Besseres zu halten.
Seitdem habe ich sie nie mehr gesehen.
Doch als du verschwunden bist, hatte ich so einen Verdacht, dass das kein Zufall war.
Diese Verrückten Italiener waren schon immer scharf darauf, eine Tochter zu haben.
Und mit der Zeit kusierten Gerüchte. Ich musste es versuchen."
Erklärte sie. Diesmal log sie nicht. Während sie erzählte, nahm ich immer mehr Abstand von ihr doch sie kam immer näher.
„Weißt du, eigentlich waren sie ganz nett zu mir. Mir geht es gut, siehst du doch."
Entgegnete ich.
Mir war klar, dass sie mich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr gehen lassen würde. Doch ich wollte auch, dass sie weiß, dass ich nicht mehr mit ihr nachhause wollte.
„Tja und dennoch bist du hier, hintergehst sie. Ich weiß dass du Sehnsucht nach deinem zuhause hast.
Hungrige Hunde sind niemals loyal."
Entgegnete sie. In ihrer Stimme spiegelte sich eine gefährliche Selbstsicherheit wider.
Hier konnte nicht alles mit rechten Dingen zugehen.
„Aber warum hast du mir nie etwas davon erzählt?
Warum hast du mich in dem Glauben gelassen, wir wären eine stinknormale Familie?"
Schrie ich sie verzweifelt an.
„Weil das eben zu deinem Besten war!
Denkst du, Maya's Eltern haben ihr etwas erzählt?"
Langsam war nicht mehr genug Platz um ihr auszuweichen.
„Sie musste es auf die schmerzhafteste Weise selbst herausfinden, genau wie ich.
Das ist nie zu meinem Besten gewesen. Ihr habt mich, mein Leben, meine Zukunft zerstört!
Wie soll ich jemals wieder ein normales Leben führen?"
Tränen schossen erneut aus meinen Augen. Der emotionale Schmerz in meinem Magen durchfuhr meinen ganzen Körper.
Ich hatte meine Mutter noch nie so sehr angeschrien.
Ich atmete durch, um noch für einen kurzen Moment stark zu bleiben, ich wollte nur noch von diesem Ort verschwinden.
"Alles wird gut, Kenni.
Du musst einfach nur jetzt mit mir mitkommen und alles wird gut."
Versicherte mir meine Mom, die gerade selbst wieder mit den Tränen kämpfte.
Anders als ich, war meine Mom schon immer eine schlechte Lügnerin.
Wie auch immer, da sie mir all das hier verschwiegen hatte.
Doch ich sah, dass sie log.
Dad war nicht allein, sie war nicht allein. Irgendetwas hatte sie geplant.
Was sollte ich nur tun?
Viel Zeit zum Nachdenken blieb mir nicht, denn plötzlich wurde die Tür, durch die ich zuvor ging aufgeschmissen und Tim und Elyas betraten die Lagerhalle, Beide hatten ihre Pistolen auf meine Mutter gerichtet.
Sie hatten wohl gemerkt, dass irgendetwas hier nicht stimmte.
Sie riss zwar direkt die Hände in die Luft doch ließ sie kurz darauf wieder fallen.
Theatralisch ging sie auf die Brüder zu und begann schallend zu lachen.
„Sieh sie dir an, Kenna Schatz.
So jung und so scharf darauf umgebracht zu werden."
Auf einmal tauchten aus irgendwelchen dunklen Ecken Männer auf, darunter auch mein Dad, die allesamt große Gewehre in den Händen hielten.
Meine Mom stellte sich zu ihnen und gemeinsam umzingelten sie uns.

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