Kapitel 38

37 5 0
                                    

Die Tage vergingen wie im Flug. Auf einmal war Donnerstag und die innere Unruhe verstärkte sich von Sekunde zu Sekunde mehr.
Der Gedanke daran, dass ich morgen entweder sterben oder die Wahrheit über mein ganzes Leben erfahren würde, machte das nicht besser.
Ich wollte eigentlich nur im Bett liegen bleiben und vor mir hin vegitieren.
Doch Elyas und Tim motivierten mich jeden Tag auf's neue aufzustehen und das Beste aus der Situation zu machen. Auch, wenn es mir wirklich schwer fiel, schafften sie es immer, mich wenigstens für den Bruchteil einer Sekunde aufzumuntern und auf andere Gedanken zu bringen.
Die beiden, vor allem Elyas, sind mir wirklich sehr ans Herz gewachsen.
Ich wüsste nicht, was ich ohne sie tun sollte.

Ich wachte an diesem Morgen durch ein hektisches Klopfen an der Tür auf.
„Was ist denn?!"
Schrie ich genervt, ich war noch nicht einmal richtig wach.
Marco öffnete stürmisch die Tür im Gefolge von Natalia.
„Wir müssen dir noch den Peilsender einsetzen. Vor allem jetzt, da morgen alles Mögliche passieren könnte."
Klärte Natalia mich ohne irgendwelche Nebeninformationen auf.
Ängstlich verzog ich das Gesicht.
„Etwa bei Bewusstsein?"
Fragte ich panisch und starrte auf das Tablett, welches Marco in den Händen hielt.
„Es ist unvermeidbar. Aber du wirst es kaum spüren."
Beruhigte er mich und kam auf mich zu.
Er setzte sich hinter mich und befreite meinen Nacken von meinen Braunen Haaren, woraufhin er die betroffene Stelle sanft desinfizierte.
Ich ließ es einfach so über mich ergehen, ich hatte sowieso keine andere Wahl.
Einen wirklich kaum merkbaren Pieks später, sagte er schon „Fertig." mit rauer Stimme in mein Ohr und entfernte sich wieder von mir.
„Wir haben einen Auftrag und sind bis heute Abend weg. Wir verlassen uns auf euch."
Sagte Natalia noch, bevor sie beide mein Zimmer verließen und mich etwas verdattert zurückließen.
Wenigstens konnte ich mir jetzt sicher sein, dass die Drohung kein Trick war, um mich loszuwerden.
Genervt ließ ich mich zurück in die Kissen fallen. Ich wollte nicht aufstehen, ich wollte gar nichts tun.
Wenn ich Angst hatte, bekam ich immer ein schreckliches Gefühl im Magen, welches mich davon abhielt irgendetwas zutun.
Ich war beunruhigt und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Die Angst übersiegte jedes mal auf's neue über meinen Geist.
Irgendwann schlief ich zum Glück noch einmal ein. Wenn ich schlief konnte ich mir wenigstens nicht zu viele Gedanken darüber machen, was vielleicht passieren könnte.
Plötzlich stand ich wieder in meinem Elternhaus. Es sah zum Teil gleich, und zum anderen Teil komplett anders aus.
War ich endlich wieder zuhause?
Ich sah mich ein wenig um und entdeckte meine Eltern, wie sie auf dem Sofa saßen und ihre Lieblingsserie sahen. Endlich etwas Normalität.
„Mom, Dad!"
Rief ich erfreut und ging auf sie zu. Doch sie reagierten nicht.
„Mom?"
Als ich näher an sie ran kam, sah ich, wie sich ihre Gesichter immer mehr veränderten.
Die Augen starrten willenlos in's Leere und aus ihren Mündern lief Blut. Sie waren tot. Beide, ermordet.
„Mom, Dad!"
Schrie ich doch mich konnte sowieso keiner hören.
Als ich mich umdrehte, stand ich wieder im Ballsaal.
Alle feierten mich, da ich jemanden getötet hatte.
Ich fühlte mich schrecklich und wollte ihm in's Jenseits folgen doch ich musste stark bleiben. Und wofür?
Das wusste ich noch immer nicht.
Wie aus dem Nichts, kam auf einmal Elyas mit einem erfreuten Lächeln auf mich zu.
Endlich, endlich etwas Schönes.
Doch desto näher er mir kam, desto mehr verwandelte sich sein Gesicht in ein wütendes, rachsüchtiges Gesicht.
„Das ist alles deine Schuld. Du bist echt peinlich. Denkst, ich würde jemals etwas für jemanden wie dich empfinden."
Diese Worte wirkten wie Gift in meinem Verstand.
Auf einmal hielt er mir eine Pistole an die Stirn.
Ich begann um Hilfe zu schreien doch Niemand schien es zu hören.
Alle waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Ich war unsichtbar für sie.
Ein bedrückendes Gefühl machte sich in meinem Körper breit und wurde mit jedem Atemzug stärker.
Ich versuchte wegzurennen doch ich bewegte mich gefühlt nur auf der Stelle.
Ich bekam keine Luft mehr.
Auf einmal stand Maya ganz nah vor mir.
„Wach auf, Süße."
Sagte sie und begann dann schallend zu lachen. Ihr Lachen war so laut, ich hatte das Gefühl, ich würde das Geräusch nie mehr aus den Ohren bekommen.
Mit einem kurzen Schrei schreckte ich hoch.
Aufgeregt blickte ich mich um.
„Wo bin ich?"
Fragte ich mich selbst.
„Bei mir, alles ist gut."
Hörte ich auf einmal eine vertraute Stimme in meinem Ohr, ich spürte eine Hand auf meiner Schulter.
Erschrocken drehte ich mich um und sprang ängstlich auf, als ich sah, dass es Elyas war.
„Hey, was ist los?"
Fragte er besorgt.
Langsam kam ich wieder zu mir und setzte mich wieder auf mein Bett.
„Tut mir leid. Ich habe nur schlecht geträumt."
Entgegnete ich und atmete ein paar mal tief durch.
Als ich langsam wacher wurde, ging ich in's Bad um mich fertig zu machen. Elyas wartete auf mich.
Als ich wieder raus kam, schaute er zu mir auf und begann zu lächeln.
Es war merkwürdig, so von ihm angesehen zu werden. Ich wusste nicht, was das zwischen uns war. Aber es fühlte sich gut an. Und ich wollte es genießen, solange ich noch konnte.
„Ich möchte heute etwas mit dir unternehmen."
Verkündete er, woraufhin mir ein hohles Lachen entging.
„Etwas unternehmen? Schon vergessen, dass ich in 3 Staaten als vermisst gemeldet und gesucht werde? Das kannst du echt knicken."
Machte ich seine Hoffnungen zu nichte.
Und ja, es enttäuschte auch mich. Ich würde gerne etwas unternehmen und für einen Tag so tun, als würde ich ein normales Leben führen.
Doch das blieb mir eben verwehrt, damit musste ich jetzt klar kommen.
Er presste die Lippen aufeinander, darüber hatte er sich wohl ebenfalls keine Gedanken gemacht.
Doch auf einmal sah er mich grinsend an, als wäre ihm eine Idee gekommen.
„Dann bleiben wir heute eben im Bett."
Sagte er und zog mich an den Hüften an sich ran, sodass ich rittlings auf seinem Schoß saß.
Mein Herz machte einen Sprung und es beruhigte sich nicht, als er begann mein Haar zu streicheln.
„Im ernst? Ich hab' mich fertig gemacht, um im Bett zu liegen?"
Entgegnete ich spielerisch empört und grinste ihn herausfordernd an.
Seine grünen Augen blitzten und ehe ich mich versah, umfasste er meine Taille und warf mich wieder in mein Bett.
„Sieht ganz so aus."
Antwortete er leise und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Ich konnte in diesem Moment nicht anders, als nach seinem Gesicht zu greifen und meine Lippen auf seine zu pressen.
Damit hätte er wohl auch nicht gerechnet, doch es schien ihn auch nicht sonderlich zu stören.
Seine Hand wanderte von meiner Hüfte zu meiner Taille und wieder zurück. Jede Berührung brachte mein Herz dazu schneller zu schlagen und mit jedem Atemzug wollte ich mehr von ihm.
Meine Hände striffen von seinem Hinterkopf, über seinen Nacken, über seinen Rücken.
Alles schien mit einem mal so leicht.
Er ließ von meinen Lippen ab und verteilte stattdessen viele kleine Küsse auf meiner Wange und meinem Kieferknochen.
Seine Lippen wanderten über meinen Hals und Schlüsselbein. Hin und wieder küsste er eine Stelle länger und intensiver, was mich dazu brachte immer schneller zu atmen, während meine Fingernägel durch seine Haare fuhren.
Er hielt einen Moment lang inne und sah mir mit ein wenig Unsicherheit tief in die Augen. Mit einem Lächeln vermittelte ich ihm, dass er weiter machen sollte.
Er legte seine Lippen wieder auf meine. Sein Kuss war sanft und vorsichtig.
Langsam fuhr er mit seiner Hand unter mein Shirt.
Meine Haut unter seinen Fingerspitzen brannte förmlich.
Doch auf einmal löste er seine Lippen von meinen und seine Hand berührte nur noch meine und verschränkte unsere Finger miteinander.
Ich setzte mich auf und sah ihn besorgt an.
„Warum hörst du auf?"
Fragte ich unsicher.
Lag es an mir? War ich ihm nicht gut genug?
„Tut mir leid, ich... Es ist dein erstes Mal, es soll besonders sein."
Entgegnete er tröstend und ließ sich neben mich nieder.
„Aber das ist es doch."
Protestierte ich.
„Du solltest es trotzdem nicht überstürzen. Nicht, dass du es bereust."
Er hatte vermutlich recht.
Er legte seinen Arm um mich und ich schmiegte mich an seinen Oberkörper.
„Du bist was Besonderes, Kenna.
Vergiss das nicht."
Flüsterte er.
Es fühlte sich so an, als wäre das der letzte Tag, und wir die letzten Menschen auf Erden.
Wir waren ganz allein in unserer eigenen Blase, die wir uns von niemandem zerstören ließen.
Nur wir beide, Zimtschnecken und schlechte Witze, denn wie sich herausstellte, hatte Elyas eine Schwäche für Flachwitze.
Wir verbrachten tatsächlich den ganzen Tag im Bett. Er las mir aus dem Buch vor, wir redeten viel über unsere Leben und zwischendurch schliefen wir Arm in Arm immer mal wieder ein.
Es war der perfekte „letzte" Tag und es half mir tatsächlich dabei abzuschalten und das Wesentliche zu vergessen.

StockholmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt