Kapitel 35

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Wir saßen nun schon etliche Minuten nebeneinander und bisher hatte noch Keiner von uns ein Wort gesagt.
Wir wussten beide, wie unangenehm es war. Ihm anscheinend noch mehr als mir.
Ich studierte sein Gesicht, er sah müde und kaputt aus.
Ich folgte seinem Blick und versuchte irgendwie schlau daraus zu werden doch es schien, als würde er nur tot in die Leere starren.
Auf einmal trafen sich unsere Blicke und sofort war ich wie versteinert, gefangen im grün seiner Augen.
Ich musste wieder an den Kuss denken, alle Gefühle und Erinnerungen kamen wieder hoch.
Seine Lippen auf meinen, seine Hände die vorsichtig meinen Körper striffen.
Ob er mich auch immer noch küssen wollte? Oder war er hier, um mir zu sagen, dass es ein Fehler war?
Auf einmal ergriff er endlich das Wort. Es kam mir so vor, als würde er gerade Stunden der ohrenbetäubenden Stille mit den simpelsten Worten durchbrechen, die in meinen Ohren wie Musik klangen.
„Wie geht es dir?"
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht mehr erwartet hatte.
Doch ich war froh, dass er überhaupt etwas sagte.
„Gut... naja, besser.
Es ist immer noch viel, was in meinem Kopf vorgeht und ich hab' keine Ahnung, wie ich das Alles sortieren soll."
Entgegnete ich ehrlich.
Es fühlte sich so an, als wäre ich zum ersten mal ehrlich zu ihm.
„Ich schätze, ich bin daran nicht ganz unschuldig."
Vermutete er, wir wussten beide, was er meinte.
Zögernd nickte ich.
„So verrückt es klingt, aber auch, wenn gerade so viel passiert ist, ist dieser bescheuerte Kuss das einzige, was in meinem Kopf vorgeht."
Platzte es mir plötzlich heraus.
So viel wollte ich eigentlich gar nicht preisgeben, doch es war trotzdem gut die Wahrheit zu sagen.
„Bereust du, was passiert ist?"
Fragte ich vorsichtig und wollte es sofort wieder ungeschehen machen.
Wollte ich die Antwort denn wirklich hören?
„Ganz und gar nicht, Kenna."
Damit hatte ich nicht gerechnet.
Langsam erhob ich meinen Kopf, erst jetzt traute ich mich wieder, ihn anzusehen.
„Es war vielleicht überstürzt und für uns beide überraschend, aber ich bereue nichts."
Mir entging ein erleichtertes Lachen.
Was sollte ich damit jetzt anfangen?
„Vielleicht haben wir beide zu schnell über den Anderen geurteilt.
Ich konnte dich nicht ausstehen, weil ich mich selbst in dir gesehen habe."
Sagte er mit rauer Stimme.
Hätte mir Jemand vor zwei Wochen gesagt, dass Elyas und ich uns irgendwo ähneln, hätte ich der Person wahrscheinlich 'nen Vogel gezeigt, doch ich wusste, was er damit meinte.
„Du warst so stark, unberechenbar und hast nie aufgegeben.
Das fand ich so faszinierend an dir. Doch es hat mich gestört, weil ich immer der Meinung war, es wäre ein Fehler, Gefühle für Jemanden zu entwickeln, vor allem, wenn man ein Leben wie meines führt.
Ich hab dich' gehasst, weil ich Angst vor mir selbst, vor meinen Gefühlen hatte.
Aber diese Gefühle haben im Endeffekt den Hass besiegt.
Es tut mir leid, was ich dir angetan oder zu dir gesagt habe."
Seine Worte rührten mich beinahe zu Tränen.
Wie konnte er denken, dass er der Liebe nicht würdig war?
War es denn überhaupt Liebe?
Vorsichtig griff ich nach seiner Hand. Ich hatte die schlechte Eigenschaft, schnell Mitleid mit anderen Menschen zu bekommen.
„Ich verzeihe dir. Aber du musst mir versprechen, dass du mir nie wieder etwas verheimlichst.
Ich weiß kaum etwas über dich, das macht mich krank.
Du kannst immer mit mir reden."
Erneut trafen sich unsere Blicke und ab diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich entgültig gegen die magische Anziehungskraft seines Waldes verloren hatte.
Er stand auf und hielt mir seine Hand hin.
„Lass uns einen Spaziergang machen."

Wir spazierten nun schon eine ganze Weile durch einen Park in der Nähe und erzählten uns Geschichten aus unserer Kindheit.
Es tat gut mal abzuschalten und über andere Sachen zu reden als die Mafia.
Auf einmal kamen wir auf das Thema Geschwister und er begann über Scarlett zu reden.
„Ich kann mich kaum noch an sie erinnern."
Sagte er mit gedankenverlorenen Unterton.
„Sie wurde ziemlich früh geboren, meine Eltern waren noch jung und in irgendeiner zwielichtigen Straßengang, als sie von der Schwangerschaft erfuhren.
Scarlett war wunderschön, intelligent, etwas durchgeknallt.
Aber total liebenswürdig.
Das Zimmer in dem du lebst, war ihr's."
Erschrocken sah ich zu ihm rüber.
„Keine Sorge, meine Eltern haben es mal renoviert, als sie dachten, dass meine Mom
erneut schwanger ist aber das war nur placebo."
Es machte Spaß, mal eine andere Seite von Elyas zu entdecken, die nostalgisch über schöne Erinnerungen sprechen konnte.
Es war schlimm, immer nur seine ernste und arrogante Fassade zu sehen.
Ich wusste ehrlich gesagt nicht, was nun zwischen uns war. Irgendwie war es aber trotzdem schön.
Er überraschte mich wirklich immer wieder.
Aber das störte mich nicht mehr, denn allmählich hatte ich mich schon daran gewöhnt.
Ein paar Zweifel kamen hin und wieder aber trotzdem auf. Doch ich versuchte, sie wenigstens für diesen Abend zu gut wie möglich zur Seite zu schieben.
Morgen war immer noch genug Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

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