Kapitel 27

52 3 0
                                    

Das war bei weitem der schlimmste 18. Geburtstag in der Geschichte der schlimmsten 18. Geburtstage.
Ich verschlief den ganzen Tag, schickte alle weg, die mit mir reden oder mir helfen wollten.
Am Abend entschied ich mich, aufzustehen und den Kontakt zu den Anderen zu suchen. Ich brauchte langsam wirklich Antworten.
Ich stand auf und machte mich frisch. Schon das kostete mich einen riesen Haufen Kraft und Energie.
Ich verließ mein Zimmer, das ganze Haus war dunkel und still.
Leise schlich ich die Treppe nach unten. Auch im Erdgeschoss war alles Still.
„Elyas?"
Rief ich, keine Antwort.
„Natalia? Tim?... Marco?"
Keiner da.
Auch Lucy und Mia waren nicht im Haus.
Hatten sie mich tatsächlich bewusst allein gelassen?
Sie mussten mir ja inzwischen ganz schön vertrauen.
Oder sie hatten erwartet, dass ich durchschlafe.
Nach kurzen Überlegungen entschied ich, mich ein wenig im Haus umzusehen. Ich wusste schließlich nicht, wann ich demnächst diese Möglichkeit haben würde und wenn sie mir keine Antworten gaben, musste ich sie mir nunmal selbst holen.
Als ersten Anhaltspunkt hielt ich das Büro für geeignet.
Vorsichtig betrat ich den dunklen Raum.
Je mehr ich in diesem Zimmer berührte, desto falscher fühlte es sich an.
Aber meine Neugier führte mich weiter.
Ich durchsuchte alles so gründlich wie ich konnte.
Doch ich verstand nichts.
Entweder die Dokumente waren auf italienisch geschrieben oder so verschlüsselt, dass es keinen Sinn mehr ergab.
Ich hielt die Augen nach Namen offen doch nichts kam mir bekannt vor.
Ich war kurz davor aufzugeben, da stieß ich gegen die Tastatur des PC.
Der Desktop sprang an, der Computer war anscheinend nur auf standby und nicht gesichert.
Ziemlich unvorsichtig.
Ein Worddokument wurde geöffnet, es war genauso aufgebaut, wie das Dokument über Giovanni, welches Elyas mir vor unserem ersten Gemeinsamen Botengang zeigte.
Bilder einer Person, ein ganzer Steckbrief und mehr Informationen über diese Person, als wahrscheinlich erlaubt wären.
Ganz oben stand „Zielperson".
Ich traute meinen Augen nicht.
Die Person auf den Bildern war meine Freundin Maya.
Was hatte sie mit all dem hier zutun?
Ich scrollte das Dokument durch und überflog die Informationen.
Alles stimmte, aber was noch viel schlimmer war, viele der Informationen waren komplett neu für mich.
Verdutzt über das was ich sah, vergaß ich komplett, dass ich eigentlich nicht hier sein dürfte.
Auf einmal öffnete sich die Tür.
Erschrocken fuhr ich herum und sah Elyas mit fragendem Blick im Türrahmen stehen.
„Kann ich dir irgendwie helfen?"
Fragte er missbilligend.
Ich sprang vom Schreibtisch, als hätte dieser mir einen Stromschlag verpasst und druckste herum.
Aber ich konnte mich aus dieser Situation nicht retten.
Es war offensichtlich, ich konnte das nicht rechtfertigen.
„Vielleicht kann ich ja dir helfen, schließlich ist das meine beste Freundin, die ihr anscheinend stalked."
Forderte ich heraus und zeigte auf den Bildschirm.
Er machte einen Schritt nach vorn und schloss sofort das Dokument.
„Um deine Hilfe einzufordern müsste ich schon ganz schön verzweifelt sein."
Giftete er zurück.
„Also, hast du irgendeine Ausrede auf Lager, die rechtfertigt, warum du hier herumschnüffelst?"
Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an.
„Ich werde meine Neugier nicht verleugnen. Was soll ich auch tun, wenn ihr mir alles vorenthaltet, mir keine Antworten gebt und ich keine Ahnung habe, warum ich hier bin und mir diese ganzen Sachen passieren?
Ihr sagt, ich wolltet das nicht, dann könnt ihr mich doch wenigstens einweihen, wenn ich für euch nicht von Bedeutung bin!"
Schrie ich ihn an.
Die Empörung stand mir wohl ins Gesicht geschrieben, mir kamen sogar die Tränen.
Elyas' zornige Miene verzog sich zu einer hilflosen, verzweifelten, die irgendwo ein kleinen Funken Mitgefühl verbarg.
Geschafft seufzte ich und ließ mich in den Bürostuhl plumpsen.
Schon der kleinste Hauch von Anstrengung brachte mich komplett an meine Grenzen.
„Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?"
Fragte er untröstlich.
„Denkst du wirklich, meine Eltern sagen mir irgendetwas? Ich weiß nicht, was sie vorhaben oder was sie von dir wollen.
Glaub mir, ich würde es dir sagen."
Er klang tatsächlich aufrichtig.
„Elyas, Kenna!"
Wurden wir von Natalias Stimme unterbrochen.
Sie und Tim warteten im Wohnzimmer auf uns.
„Wir müssen reden, setzt euch."
Forderte sie uns auf.
„Allerdings..."
Entgegnete ich und sah sie herausfordernd an.
„Kenna, lass."
Flüsterte Elyas in mein Ohr, um mich zurück zu halten und es wirkte tatsächlich.
Ich setzte mich zwischen ihn und Tim auf das Sofa und wartete auf das, was Natalia zu sagen hatte.
„Im ganzen Durcheinander und Stress der letzten Wochen haben wir unser wichtigstes, offensichtlichstes Problem vergessen."
Begann sie und hielt ein kaputtes Handy in die Luft.
Mein Handy.
Wieder einmal sah ich meine Freiheit so nah und doch so fern vor mir.
„Toby's Fingerabdrücke wurden darauf gefunden, er wurde vorerst in Untersuchungshaft festgenommen."
Ein Raunen entging mir und den Brüdern.
Toby war im Endeffekt auch nur eine Marionette dieser ganzen Mafiasache.
Ein Unschuldiger, der in diese Schachtel verhedderter Ketten geworfen wurde und nicht mehr herauskam, genau wie ich.
„Keine Sorge, wir holen ihn da wieder raus. Viel wichtiger ist jetzt unser Problem mit Giovanni.
Wir haben ihn gecheckt, überführt und zur Rechenschaft gezogen."
Sie schleuderte einen dicken Ordner auf den Tisch.
„Das sollte vor allem dich interessieren,
Kenna."
Apellierte sie und sah mich durchdringend an.
Zögernd nahm ich den Ordner vom Tisch und schlug ihn auf.
„Giovanni's echter Name ist Kylian Answorth.
Er ist vor ein paar Jahren aus England hierher gekommen, um irgendwelche Organhandel durchzuführen. Nur war er da nicht gerade gut drinnen, denn nach nur zwei Jahren hat er damit aufgehört und mit dem Drogengeschäft angefangen.
Seitdem stand er auch im Kontakt zu uns.
Er erlangte unser Vertrauen und kam deswegen an Insider Infos von uns, und weil wir so einflussreich sind auch an andere Leute und Gruppen.
Kenna, wir müssen dich morgen von unserem Hausarzt untersuchen lassen.
Es ist nicht auszuschließen, dass er dir irgendetwas angetan hat und außerdem müssen wir dir deinen Peilsender wieder einsetzen."
Stellte Natalia mit strenger Stimme fest.
Auf einmal überkam mich alles, wie ein Schlag. Mein vermeintlicher Traum von Maya, war gar kein Traum. Sie war tatsächlich da, hatte wirklich mit mir geredet und mich gewarnt, vor Giovanni, seinen „Experimenten".
„Kam er so auch an Informationen über die Familie Aloui?"
Platzte ich ohne nachzudenken raus.
Natalias Gesicht verzog sich sofort. Leicht erschrocken sah sie mich an.
„Woher... Was habt ihr erzählt, hm?"
Beschuldigte sie ihre Söhne.
„Elyas und Tim haben nichts getan, ich möchte wissen, ob Giovanni oder Kylian oder wer auch immer Informationen über Familie Aloui hat!"
Verteidigte ich und sah Natalia streng an. Diese schien komplett außer sich. Diese einfache Frage warf sie anscheinend komplett aus der Bahn.
„Kenna, das ist etwas, was dich nichts angeht."
Entgegnete sie streng.
„Aber was, wenn jemand, der mir sehr wichtig ist, möglicherweise in Gefahr ist?"
Versuchte ich weiter.
Doch mit Natalia war nicht zu sprechen.
„Schluss, ich will nichts mehr davon hören."
Unterband sie die Diskussion, doch ich ließ mich nicht so einfach abspeisen.
„Natalia, es geht um meine beste Freundin!"
Ungewollt schrie ich sie an.
Natalia war eine Person, die man besser nicht verärgert.
Ich hatte großen Respekt vor ihr doch in diesem Moment konnte ich nicht anders.
Ich wollte, dass sie verstand, wie wichtig es mir war, die Wahrheit zu erfahren.
Elyas legte seine Hand auf meine, in der Hoffnung, es würde mich beruhigen.
Doch das tat es nicht. Er war der letzte, von dem ich in diesem Moment berührt werden wollte.
Ich sprang auf und sah erst ihn wütend an, dann Natalia.
„Selbst wenn ich wollte, könnte ich dir nichts sagen."
Versuchte diese sich zu rechtfertigen.
„Es ist zu deinem eigenen Schutz."
Das sagte sie nun schon so oft.
Ich verstand es nicht.
Sie konnte mich doch nicht schützen, in dem sie mir Details aus meinem eigenen Leben vorenthielt.
Merkte sie nicht, wie sie dadurch alles noch schlimmer machte?
„Aber wieso? ich will es doch nur verstehen!"
Verzweifelt versuchte ich alles, um Natalia zum Reden zu bringen und ich merkte, dass es ihr nicht leicht fiel.
Trotzdem blieb sie hart.
Irgendwann hatte ich genug und verschwand auf mein Zimmer.
Ich war noch immer zu schwach um das noch länger auszuhalten.

StockholmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt