Ich irrte nun schon seit einer Weile in dieser kleinen verkümmerten Stadt herum.
In einem Kiosk ließ ich ein Telefonbuch mitgehen und suchte nun nach einer Telefonzelle.
Viel war hier nicht los, doch wenn mal ein Mensch an mir vorbeiging, sah er mich verwirrt an, als wäre ich geisteskrank.
Trotzdem schaffte ich es, mir ein paar Münzen für die Telefonzelle zu schnorren.
Endlich fand ich eine und sah zögernd auf den Hörer.
"Notruf kostenlos"
Stand unter diesem.
Ich überlegte. ich hätte auch einfach die Polizei rufen und dem ganzen hier ein Ende setzten können.
Doch ich fühlte mich den Dé Luca's über verpflichtet und außerdem sind sie mir schon irgendwie ans Herz gewachsen.
Wie krank, dieser Gedanke daran.
Schließlich entschied ich mich gegen die Polizei und schlug das Telefonbuch auf.
Hastig blätterte ich bis zum „D"
Dé Luca, Dé Luca....
Nichts.
„Shit."
Schimpfte ich leise und feuerte das Buch in eine Mülltonne.
Verzweifelt dachte ich nach.
Auf einmal traf es mich wie ein Blitz.
Die Visitenkarte!
Ich kramte das kleine Pappkärtchen aus der Hosentasche und gab die Nummer ein.
Ein Versuch war es wert, ich hatte sowieso nichts zu verlieren.
Also warf ich die Münzen ein und drückte auf „Anrufen".
Nach ein paar Sekunden des lästigen Tutens, meldete sich endlich eine tiefe Stimme am anderen Ende der Leitung:
„Hallo?"
Neue Hoffnung überkam mich, ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so froh über Elyas' Stimme sein würde.
„Oh mein Gott, Elyas! Hier ist Kenna!"
Entgegnete ich hektisch.
„Kenna? Was... Wo bist du? Wieso..."
Er schien komplett perplex über meinen Anruf. Hatte es ihn denn gar nicht interessiert, dass ich entführt wurde?
„Ich habe nicht so viel Zeit, dir jetzt alles zu erklären, ich rufe von einer Telefonzelle aus
an."
Erklärte ich.
„Na schön, aber wo bist du denn? Ich hole dich ab!"
Schrie er schon fast in das Telefon. Was war nur los mit ihm?
Er konnte sich doch nicht wirklich so sehr über einen Anruf von mir freuen.
Ich erklärte ihm, wo ich war und er schien ziemlich überrascht.
Es schien, als würde er mir die ganze Geschichte nicht glauben, er könne sich nicht
vorstellen, dass Giovanni so etwas tun würde.
Um ehrlich zu sein, konnte ich es ihm nicht verübeln, er war viele Jahre ein treuer Freund.
Da ich nicht mehr lange Zeit hatte, machten wir einen Treffpunkt aus und legten auf.
Jetzt musste ich nur noch warten und hoffen, dass Giovanni mein Verschwinden noch nicht entdeckt hatte.
Irgendwie war alles komisch. Und es war ganz schön kalt für einen Oktobertag.
Ich setzte mich auf den Rand eines Bürgersteigs und zog die Knie an meinen Körper, um mich zu wärmen.
Eine halbe Stunde später, fuhr Elyas' Auto tatsächlich vor. Freudig sprang ich auf und stieg auf der Beifahrerseite ein.
Ich hätte nicht gedacht, einmal so froh darüber zu sein, Elyas zu sehen.
Er beäugte mich und prustete dann los.
Genervt verdrehte ich die Augen.
„Wie siehst du aus?" Fragte er belustigt, während er wieder losfuhr.
„Das war das einzige, was ich gefunden hab'. Mein Kleid hat er wahrscheinlich weggeworfen."
Verteidigte ich mich.
Er wurde wieder ernst.
„Wir dachten, du wärst tot. Wir hatten kein Signal von deinem Sender mehr."
Verwirrt sah ich ihn an.
„Seit wann gebt ihr so schnell auf? Ich war doch höchstens zwei Tage weg."
Warf ich ihm unsicher vor.
Nun war er derjenige, der mich Verwirrt ansah. Mehr sogar, er wirkte nahezu geschockt.
„Zwei Tage? Kenna, du warst 28 Tage verschwunden, wir haben Anfang November. Apropos, alles Gute zum Geburtstag."
Mir entging ein hohles Lachen.
Das musste ein Scherz sein.
Er schien meine Ungläubigkeit zu merken und zeigte mir das Datum auf seinem Handydisplay.
3. November.
Verdutzt sah ich ihn an.
„Deshalb war ich auch so überrascht über deinen Anruf. Was ist in der ganzen Zeit passiert?"
Fragte er besorgt.
Ich erzählte ihm alles, woran ich mich auch erinnern konnte, obwohl es nicht viel war.
Die Autofahrt mit meiner Mutter, Maya und auch, dass ich mir nicht sicher war, was Realität, und was nur ein Traum war.
Elyas konnte sich nicht erklären, warum Giovanni so etwas tun würde. Auch, dass er wohl dabei geholfen hat, mich zu suchen.
Wir fuhren auf den Hof des Hauses.
Endlich.
Drinnen erwarteten mich schon die anderen Familienmitglieder.
Erleichtert fielen wir uns in die Arme.
Vor allem Natalia war sehr neugierig über das, was passiert war, doch Elyas unterband die Fragerei sofort.
„Ich denke, Kenna braucht erstmal etwas Ruhe. Wir reden später."
Ohne, dass Irgendjemand Widerworte geben konnte, machte er auf dem Absatz kehrt und führte mich in mein Zimmer.
Er schloss die Tür und sah mich ernst an.
„Was sollte das? Ich kann doch wohl selbst entscheiden, wem ich was erzähle!"
Protestierte ich empört.
Ich studierte seine Mimik, seine Körperhaltung.
Er hatte sich verändert. Er sah gestresst aus, angespannt.
Doch es änderte nichts daran, dass er unverschämt gut aussah.
„Glaubst du mir etwa nicht?"
Fragte ich vorwurfsvoll und etwas enttäuscht.
Nur dieses eine mal war es mir wirklich wichtig, dass er mir glaubte.
„Doch, natürlich glaube ich dir."
Entgegnete er und kam vorsichtig auf mich zu.
„Aber meine Eltern werden es vielleicht nicht."
Vermutete er.
„Deshalb ist es so wichtig, dass ich es ihnen erkläre. Und du ruhst dich bitte aus, ja?
Ich weiß, was zutun ist. Mach dir keine
Sorgen."
Das klang tatsächlich vernünftig und einsehbar.
„Na gut."
Entgegnete ich und setzte mich auf mein Bett.
Elyas machte Anstalten, das Zimmer zu verlassen.
„Wenn du was brauchst, sag bescheid,
okay?"
Versicherte er sich.
Ich nickte, dann verließ er den Raum.
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Stockholm
RomanceMehr und mehr realisierte ich, dass „Bis der Tot uns scheidet", kein Segen war. Es war ein Fluch. Kenna's Leben könnte banaler gar nicht sein. Ihre Zeit verbrachte sie schon immer im Schatten anderer, bis sie an einem schicksalhaften Abend zur fals...