Als ich aufwachte und meinen Blick zum Fenster gleiten ließ, war es dunkel draußen. Dann sah ich auf die Uhr des Weckers, den Elyas mir freundlicherweise geliehen hatte.
22:36, Na toll.
Ich hatte den ganzen Tag geschlafen, war nun hellwach und hatte die ganze Nacht vor mir.
Ich brauchte wirklich irgendetwas um mich zu beschäftigen.
Ich ging im Kopf alle Möglichkeiten durch, die ich hatte. Doch alle führten mich zu den Brüdern.
Ich musste einen von ihnen finden. Hoffentlich waren sie noch wach.
Ich stand auf und verließ mein Zimmer,
dabei betete ich, auf Tim anstatt Elyas zu treffen. Doch meine Gebete wurden nicht erhört.
Er kam gerade die Treppe hoch, in Schuhen und Jacke und einer schwarzen Cap auf dem Kopf, mit der er irgendwie etwas von einem psychotischen Stalker hatte.
Als er meine Anwesenheit bemerkte, zuckte er leicht zusammen und sah mich erschrocken an. „Was machst du denn hier?"
Fauchte er.
„Solltest du nicht schlafen?"
„Ich hab dich gesucht."
Flüsterte ich zurück.
„Naja, eher deinen Bruder. Aber du bist auch okay."
Wie von ihm gewohnt reagierte er genervt auf das was ich sagte. Er zog eine Augenbraue hoch.
„Und was willst du?"
Fragte er leise, es klang aber nicht so als würde es ihn wirklich interessieren.
Mittlerweile war mir mein Anliegen echt unangenehm.
Ich war hier nicht im Wellnessurlaub, und dieser Idiot nicht für mich zuständig. Als ob es ihn interessierte, dass ich Langeweile hatte.
Ich sah zu Boden, stellte aber dennoch meine Frage.
„Ich wollte fragen, ob ich irgendetwas zur Beschäftigung haben darf."
Das klang so bescheuert. Ich fühlte mich wie in der Grundschule.
Er seufzte genervt und ich hatte Angst, dass er sich über meine Frage lustig machen würde. Doch stattdessen sagte er nur
„Komm mit."
Und ging die Treppen wieder hinunter, ich hinterher.
Obwohl es mich schon interessierte, hielt ich es für die beste Idee, ihn nicht zu fragen, warum er von draußen kam. Ich folgte ihm einfach still in einen Raum, der fast am Ende des langen Flures lag.
Er schaltete das Licht ein und sofort klappte mir die Kinnlade hinunter. Das war eine kleine, wunderschöne Heimbibliothek.
„Such dir was aus." Sagte Elyas und nahm in einem grauen Sessel unter einem Fenster platz. Er beobachtete meine Staunerei. Ich sah mich genauestens um.
So viele tolle Bücher, alte, neue, Erstausgaben. Ich war beeindruckt.
„Sind das alles deine?"
Fragte ich neugierig.
„Nein, nicht wirklich. Mein Vater hat diesen Raum aufgebaut und von ihm kommen auch die Bücher. Als er aber immer weniger Zeit zum Lesen war, hat er das Alles an mich übergeben."
Wow, ich hätte nie gedacht, dass Marco ein so begeisterter Leser war. Diese Familie überraschte mich immer wieder.
"Ha, war klar. Lass mich raten, du bist zu cool um zu Lesen und spielst lieber gewaltverherrlichende Videospiele?"
Ich sah Elyas belustigt an doch dieser ging gar nicht auf meine Provokation ein. Ich sollte es wirklich lassen.
Nach einer Weile entschied ich mich für zwei Romane. Von dem einen hatte ich schonmal gehört, der andere war mir völlig fremd, schien aber auf Grund der Beschreibung sehr vielversprechend.
„Bin fertig."
Sagte ich und schaute Elyas erwartungsvoll an. Er stand wortlos auf und kam auf mich zu.
„Du kannst immer herkommen und hier lesen oder dir neue Bücher holen, wenn du willst."
Sagte er leise.
Warum war er schon wieder so freundlich?
Ich hatte keine Zeit, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, denn er kam mir immer näher, mittlerweile schon etwas zu nah für meinen Geschmack.
„Denk bloß nicht, dass wir jetzt Freunde sind, nur weil du über deinem Schatten gesprungen bist und danke gesagt hast."
Mit diesen Worten machte ich einen Schritt zurück, doch da war die Tür, gegen die ich mit dem Rücken stieß.
Er kam vor mir zum Stehen und sah mir mit seinem durchdringenden Blick in die Augen.
"Keine Sorge, denk ich nicht."
Entgegnete er spielerisch, woraufhin ich den Blick abwendete.
Aus irgendeinem unerklärlichen Grund bekam ich immer tränende Augen, wenn ich Menschen zu lange in die Augen sah.
Bei Elyas war das besonders schlimm. Vor allem wenn er so nah kam wie in diesem Moment und mich mit seinen grünen Augen fixierte, als wäre ich seine Beute.
„Was, hat es dir die Sprache verschlagen?"
Hauchte er.
Er war so nah, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spürte.
Er brachte mich ein wenig in Verlegenheit, doch noch mehr in Unbehagen, ich konnte mich nicht bewegen.
Ich merkte, wie er begann zu grinsen, wieder etwas neues. Er hob seine Hand und führte sie neben meine Hüfte, ich hatte Angst, er würde mich anfassen doch stattdessen öffnete er nur hinter mir die Tür. Etwas überrascht fuhr ich herum und betrachtete den Flur.
Langsam kam ich wieder zu mir.
„Gute Nacht, Kenna."
Flüsterte er mir ins Ohr.
Ich war immer noch zu sehr unter Schock um irgendwie darauf zu reagieren.
Ich verließ einfach das Zimmer und schloss die Tür wieder und ging so schnell ich konnte wieder hoch in mein Zimmer.
Ich warf die Tür zu und setzte mich auf mein Bett. Erleichtert atmete ich durch.
Das war gerade etwas zu viel für mich. Doch wenigstens hatte ich nun etwas, womit ich mir die Zeit vertreiben konnte.
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Stockholm
RomanceMehr und mehr realisierte ich, dass „Bis der Tot uns scheidet", kein Segen war. Es war ein Fluch. Kenna's Leben könnte banaler gar nicht sein. Ihre Zeit verbrachte sie schon immer im Schatten anderer, bis sie an einem schicksalhaften Abend zur fals...