Kapitel 19

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Die Zeit verging. Es fühlte sich an wie Jahre, die ich in diesem Loch verbrachte.
Ich wusste nicht, wie lange ich nun schon hier drinnen war.
Ich hatte kein Gefühl mehr für Zeit oder Tag und Nacht.
In den Tagen kam Niemand, um nach mir zu sehen.
Ich hatte weder geschlafen, noch Nahrung zu mir genommen.
Ich hatte schon alle Hoffnungen aufgegeben, mich in der Ecke zusammengekauert und wartete einfach nur noch auf den Tod.
Doch so schnell wollte ich nicht aufgeben.
Ich wollte dort nicht sterben.
Ich strengte mich an, einen kleinen Funken Hoffnung oder nur ein wenig Mut zu finden. Elyas war sicherlich schon wieder auf dem Weg zurück, um mich zu retten. Ja, ganz sicher!
Er ist nachhause gefahren, um Tim zu holen und nun sind sie beide auf dem Weg hierher.
Doch die Zeit verging weiter und weiter, ohne ein Hoffnungsblick auf Erlösung.
Irgendwann kamen mir die Zweifel.
Was wenn das alles geplant war? Von der ganzen Familie.
Sie brachten es nicht über's Herz, mich eigenständig zu töten und deshalb arrangierten sie das Alles, um mich loszuwerden.
Nervös kaute ich an meinen Fingernägeln. Das tat ich eigentlich nie, aber in diesem Moment konnte ich nicht anders.
Ich musste mich ablenken.
Obwohl es eiskalt in dem Raum war, hatte ich Schweißperlen auf der Stirn, Angstschweiß.
Und obwohl ich nicht klaustrophobisch war, fühlte es sich mit der Zeit so an, als würden die Wände immer näher kommen.
Ich bildete mir ein, Stimmen zu hören, die gar nicht da waren, die nach mir riefen, ich fühlte mich beobachtet und manchmal hatte ich das Gefühl, jemand würde mich am Rücken berühren.
Ich wusste, dass Halluzinationen bei Schlafmangel normal waren. Doch dieses Wissen brachte mir in meiner Angst gar nichts.

Der dritte Tag rückte immer näher, ich wurde immer nervöser und gleichzeitig immer schwächer.
Mit jeder weiteren Sekunde, die ich in diesem Raum ausharrte, verlor ich den Glauben an Elyas.
Doch dann öffnete sich die Tür.
Ich blickte erwartungsvoll um mich. Meine Rettung. Er hatte es tatsächlich geschafft.
Erst wurde ich vom Tageslicht so sehr geblendet, dass ich meine Augen sofort wieder schließen musste, dann überkam mich die Enttäuschung.
Es war nicht Elyas, der im Türrahmen stand, es war einer von Gustavos Männern, der dort streng auf meinen halbtoten Körper hinabsah.
Das war's dann wohl.
Ich hatte nicht genug Kraft um mich zu wehren, selbst wenn. Gegen diese Schränke würde ich nicht allein ankommen.
„Aufstehen!"
Befahl er, was ich versuchte, doch ich war zu schwach.
Genervt kam er auf mich zu, packte mich am Hals und zog mich nach oben.
Er schupste mich vor sich her nach draußen, wo Gustavo mich schon erwartete.
Ich atmete die Meerluft ein.
Meine letzten Atemzüge.
Es war windig und kalt, doch das war egal, das Wasser war mit Sicherheit noch kälter.
Ich sah über die Reling.
Ich fürchtete mich schon immer vor dem Wasser.
Dass ich so sterben musste, war wohl eine Ironie des Schicksals.
Gustavo führte mich über die Holzplanke, die mein Schicksal besiegeln sollte.
„Ich hab es dir gesagt."
Appelierte er dramatisch.
„Er kam nicht zu dir zurück."
Er wollte mir gerade diesen Stein an den Fuß ketten, der mich am Meeresboden hielt, da ertönte ein Schuss.
Ich wusste gar nicht, was vor sich ging, doch Gustavo schaltete so schnell, dass er aufsprang, mir seinen Arm um den Hals legte und mir eine Pistole an die Schläfe hielt.
Ich blickte um mich und sah dort am anderen Ende der Reling....
Ich traute meinen Augen nicht.
Das war Natalia, die dort stand und ihre Pistole siegessicher auf Gustavo hielt.
Ich begann zu grinsen.
Ich wusste es, sie würden mich hier nicht sterben lassen.
Doch es gab einen Haken, natürlich.
Gustavo begann zu lachen.
„Erschieß mich doch!"
Schrie er mir ins Ohr.
„Mein Körper würde sich verkrampfen und ich würde eure kleine Prinzessin direkt mit in die Tiefen des Meeres reißen!"
Ich sah, wie Natalia unsicher wurde. Ich überlegte. Was sollte sie tun, was könnte ich tun?
Die Planke war zu schmal für einen Kampf, ich war ohnehin viel zu schwach, um zu kämpfen.
Ich sah mich um und da fiel mir Gustavo's Hand auf, die über meinem Brustkorb ruhte.
Ein Schuss in die Hand, würde ihn nicht töten, es würde nur die gewollte Reaktion auslösen.
Ich baute Blickkontakt mit Natalia auf und deutete mit dem Zeigefinger ein Kreuz auf Gustavo's Hand an.
Ich hoffte, Natalia verstand.
Mein Körper bebte vor Angst.
Es musste ein Streifschuss sein, dass die Kugel nicht mich Traf, und sie musste die Hand treffen.
Es ging alles so schnell.
Ehe ich mich versah, ertönte erneut ein Schuss und Gustavo schrie auf.
Er ließ sofort von mir ab.
Er taumelte umher und hielt sich die blutene Hand.
Das war meine Chance.
Ich nahm all meine Kraft zusammen und schupste ihn von der Planke.
Ich verlor das Gleichgewicht und sackte zusammen.
Auf allen vieren klammerte ich mich an dem schmalen Holzbrett fest und sah Gustavo nach, wie er schreiend ins Meer fiel.
Ich hatte es geschafft.
Ich war so unter Schock, ich konnte mich nicht bewegen, Natalias Rufe hinter mir hörte ich nur gedämpft.
Ich drehte mich zu ihr um und sah, wie sie mir die Hand hinhielt.
Vorsichtig krabbelte ich zurück und nahm ihre Hand an.
Ich stolperte und fiel Natalia in die Arme.
Sie drückte mich fest an sich.
„Ich bin so stolz auf dich, Kleine."
Flüsterte sie in mein Ohr, ehe sie von mir abließ.
Mein ganzer Körper zitterte.
„Ich hab ihn umgebracht."
Nuschelte ich unsicher und immer noch erschrocken.
„Ja, bevor er dich umbringen konnte.
Denk immer daran!"
Beschwichtigte sie und lächelte mich an.
„Wo ist Elyas?"
Fragte ich aufgewühlt.
„Er ist hier irgendwo, schaltet die anderen Männer aus."
Entgegnete sie.
Sie legte mir stützend den Arm um die Schultern und gemeinsam durchquerten wir das Containerschiff.
Drinnen trafen wir auf Elyas, der mit zerzausten Haaren und Pistole gerade Gustavo's letzten Handlanger erschoss.
Als er uns sah, begann er sofort erleichtert zu Lächeln und lief auf mich zu. Er legte mir beschützerisch die Hände auf die Schultern.
„Du lebst!"
Stellte er erleichtert fest.
Was war nur in ihn gefahren?
Erschrocken blickte er auf das Blut auf meinem Shirt.
„Ist das deins?"
Fragte er entsetzt.
Ich schüttelte den Kopf. Es fiel mir noch immer schwer zu sprechen.
Gemeinsam verließen wir endlich dieses verdammte Schiff und stiegen in den Fluchtwagen, wo Marco und Tim bereits auf uns warteten.
Dann fuhren wir endlich nachhause.

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