Kapitel 8

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Wie er mir befahl, verschwand ich zurück auf mein Zimmer. Erst jetzt konnte ich wieder einen klaren Gedanken fassen.
Was war denn gerade los mit mir? Warum war ich so anders?
Ohne eine Antwort auf die Frage zu finden, ließ ich das Gespräch revue passieren.
Was sagte er da?
„Dem anderen Mädchen würde es nicht so gut gehen wie dir."
Bei der ganzen Sache war so einiges faul. Das war hier doch alles für sie.
Ich merkte wie meine Neugier über mich siegte. Aber das war ja auch klar. In jeder Ecke fand ich irgendwelche Hinweise über dieses andere Mädchen aber ich war es, die das ganze ausbaden musste.
Es musste einen Grund geben, warum ich hier war. Und ich war mir sicher, ich würde alles tun, um es herauszufinden.
Nun, wo die Familie alles über mich wusste, brachte es auch nichts mehr, den Sturkopf raushängen zu lassen. Vielleicht war es das Beste, würde ich vorerst mit ihren Forderungen kooperieren. Vielleicht würden sie mir dann vertrauen und ich würde mehr herausfinden.
Ich zerbrach mir noch eine halbe Stunde den Kopf über die ganze Sache. Als ich mich schließlich damit abfand, vorerst keine Antworten zu bekommen, legte ich mich ins Bett und fiel in einen traumlosen Schlaf.
Auch an diesem Morgen erwachte ich von dem Klopfen an der Holztür. Wieder einmal trat Natalia ein. Doch heute sah sie irgendwie anders aus, als am vorigen Tag. Sie wirkte gestresst und auch ihre Haut glänzte nicht so wie sonst.
Ihre Pumps klackerten zum Fenster, kurz darauf riss sie die Gardinen auf.
„Guten Morgen, wir erwarten dich im Konferrenzraum."
Begrüßte sie mich mit strenger Stimme.
Ich setzte mich auf und sah sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an.
„Du erinnerst dich an den Raum, in dem wir versuchten, dich zu verhören?"
Erklärte sie.
„Mach dich fertig und gesell dich zu uns."
Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt, verschwand aus dem Raum und zog mit Schwung die Tür hinter sich zu.
Verdutzt sah ich ihr nach. Diese Frau war schneller als der Wind.
Das war es jetzt wohl. Genug versteckt, jetzt wird es ernst.
Ich stand auf, um mich fertig zu machen. Ich wollte sie denken lassen, dass sie mir nichts anhaben konnten.
Ich kemmte mir meine langen, braunen Haare hinter die Ohren und ließ sie glatt über den Rücken fallen. Bei meinem Make-up gab ich mir besonders viel Mühe, dezent aber schön.
Ich wollte so makellos wie möglich aussehen.
Ich öffnete den Kleiderschrank und war vorerst überfordert. Er hielt so viele Möglichkeiten für mich offen. Trotzdem entschied ich mich, es schlicht zu gestalten, mit einer schwarzen, figurbetonten Jeans und einem eng anliegenen, schwarzen Langarmtop.

Etwas ängstlich vor dem was mich erwarten würde betrat ich den Konferrenzraum. Es hatte nichts mehr mit dem leerstehenden Raum zutun, in dem sie mich in der Nacht meiner Entführung festhielten.
In dieser Nacht fiel mir zum Beispiel das Panoramafenster an der hinteren Wand nicht auf.
In der Mitte stand ein großer Glastisch, an dem alle Mitglieder der Familie, so wie eine weitere Frau und ein weiterer Mann saßen.
Der einzige freie Platz war gegenüber von Marco und Natalia und zwischen den Söhnen Tim und Elyas.
„Guten Morgen, Miss Steward, setzen sie sich."
Begrüßte mich eine weitere unbekannte Frau, die wie aus dem Nichts auf mich zukam und mich zu meinem Platz zwischen Elyas und Tim führte. Links war der, mit dem ich mich letzte Nacht unterhielt, ich konnte sie immer noch nicht zuordnen.
Ich setzte mich und sah ihn etwas unsicher von der Seite an, was er aber nicht zu merken schien. Oder er war äußerst professionell, denn er sah stets auf sein Glas Wasser, welches vor ihm stand.
Ich hoffte inständig, dass er mich nicht verpetzt hatte. Es war mir äußerst peinlich. Vor allem, dass ich so geredet hatte.
„Also..."
Begann Marco und sah mich durchdringlich an.
„Da wir nun alles über dich wissen, hielten wir es alle nur für fair, dich auch an unserem Leben teilhaben zu lassen.
Vor ab, wir lassen dich nur wissen, was du wissen sollst. Kein Wort mehr. Wir beantworten keine Fragen und wir wiederholen uns auch nicht, verstanden?"
Ich nickte. Er bereitete mir eine Gänsehaut, mit den giftgrünen Augen und den zusammengezogenen Augenbrauen.
„Wie du weißt, sind wir ein Familienverbund im Auftrag der Cosa Nostra. Wir benutzen Wörter wie >Mafia< nicht so gerne. Wir bevorzugen >Dynastie<.
Mein Sohn Elyas,"
er zeigte auf den Jungen links von mir,
„Übernimmt die meisten Lieferungen und Aufträge."
Nun wusste ich endlich, mit wem ich letzte Nacht sprach.
„Du wirst ihm in Zukunft helfen, damit du für uns auch einen Nutzen hast."
Fügte er noch hinzu. Dann überließ er das Wort seiner Frau.
„Wir haben lange überlegt und sind zu dem Entschluss gekommen, dass wir dich nicht gehen lassen können."
Diese Neuigkeit traf mein Herz wie ein Schlag. Es war mir schon vorher bewusst, aber es nochmal aus ihrem Mund zu hören machte das Realisieren nicht besser.
„Wir werden uns aber um deine Eltern kümmern und auf sie aufpassen, da es sein könnte, dass unsere Feinde ihnen wehtun wollen, wenn sie herausfinden, dass ihre Tochter in unserem Gewahrsam ist und glaub mir, wir haben viele Feinde."
Erklärte sie. Ich merkte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. Nicht weinen. Nicht weinen. Nicht weinen.
„Du kannst deinen Eltern aber einen Abschiedsbrief schreiben."
Ich nickte, doch fragte mich trotzdem, was das bringen sollte.
„Bei uns bist du sicher."
Meldete sich Marco erneut zu Wort.
„Niemand hier wird dir wehtun, wir sind ab jetzt deine Familie."
Ich wollte das so nicht hinnehmen. Aber was sollte ich denn anderes tun? Ich wollte kooperieren.
„Das war hart, ich weiß. Du kannst dich jetzt erstmal wieder zurückziehen. Doch melde dich bitte, wenn du kannst bei Elyas, damit ihr eure Zusammenarbeit besprechen könnt."
Gesagt, getan. Ich stand auf und rannte die Treppen hoch und in mein Zimmer.
Ab diesem Zeitpunkt konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich bin zu lange stark geblieben.

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