In den letzten Stunden, war ich nie richtig bei Verstand.
Ich stand neben mir, hatte starke Schwindelanfalle oder Panikattacken und vor allem große Gedächtnislücken.
Das letzte woran ich mich erinnern konnte war, dass ich nach meinem Zusammenbruch wieder in dem rostigen Bett aufwachte und noch stärker unter Drogen stand, als zuvor.
Ich konnte nicht klar sagen, was Realität war und was nicht.
Mein Blick schweifte durch den Raum, ich sah alles doppelt, Mein Kopf schmerzte höllisch und mir war übel.
Wann hatte ich zuletzt Nahrung zu mir genommen?
Ich sah sie noch nicht doch ich nahm immer klarer ihre Stimme wahr.
„Bist du wach?"
Fragte sie und ihre Stimme hallte eine Millionen mal in meinem Kopf wieder.
ich sah zu ihr und konnte meinen Augen nicht trauen. Das musste ein Traum sein.
Vor meinem Bett stand Maya, meine beste Freundin und das genau so, wie ich sie in Erinnerung hatte.
In ihrer Schuluniform, in der einen Hand eine Zigarette, in der anderen ein oberflächliches Modemagazin.
Gott, sie war so klischeehaft und fast zu schön um wahr zu sein.
Ihre langen, roten Locken, hingen ihr wild und trotzdem wunderschön auf den Schultern.
„Endlich, ich dachte schon, ich muss gleich 'nen Bestatter rufen."
Sagte sie provokativ und legte die Zeitschrift weg.
„Wie geht es dir?"
Sie stützte sich an den Gittern am Fußende des Bettes ab und betrachtete mich fürsorglich.
„Bist du echt?"
Fragte ich unsicher und misstrauisch. Meine Stimme war schwach, leise und kratzig, es fiel mir schwer, überhaupt ein Wort herauszubekommen.
„Aber natürlich!"
Lachte sie und hob die Arme in die Luft.
„Denkst du wirklich, ich lass' dich im Stich, wenn du kurz davor bist, den Löffel abzugeben?"
Sie kam um das Bett herum und setzte sich neben mich.
„Was redest du da? Warum bist du hier?"
Löcherte ich und versuchte meine Gedanken zu ordnen.
„Weil ich dich warnen muss. Denkst du echt, ich lass' dich alleine?
Ich war vielleicht nicht immer eine gute Freundin, aber lass es mich wieder gut machen, indem ich dich jetzt rette... vor Giovanni."
Ich hatte Maya noch nie in so einem ernsten Tonfall sprechen hören.
„Ich vertraue ihm nicht."
Gab ich zu.
„Das solltest du auch nicht. Er setzt dich seit Wochen unter Drogen, gibt dir kein Essen und führt irgendwelche kranken Gedankenexperimente bei dir durch."
Warnte sie.
Moment mal.
„Wochen?"
Hakte ich ungläubig nach.
Sie begann, behutsam meine Hand zu streicheln.
„Arme Kenna, du musst hier wirklich raus, so schnell du kannst.
Versprich mir, dass du niemals aufgibst, okay?"
Theatralisch stand sie vom Bett auf und gab mir einen leichten Kuss auf die Stirn.
Dann ging sie auf die Tür zu.
„Bitte geh nicht, Maya. Bitte, ich schaff es nicht alleine!"
Flehte ich.
Doch sie ignorierte es und verließ den Raum.In dem Moment, in dem sie die Tür schloss, erwachte ich.
Und diesmal so richtig.
Kein Schwindel, mir ging es sogar richtig gut.
Jetzt war ich mir auch sicher, dass ich das gerade nur geträumt hatte.
Giovanni war wirklich ein schlechter Entführer.
Sperrt mich hier ein, setzt mich unter Drogen und am nächsten Tag kann ich einfach durch das Fenster fliehen.
Es tat gut, wieder normal denken zu können.
Ich sollte mich darauf konzentrieren, nicht die Fassung zu verlieren, Ruhe zu bewahren und endlich aus dieser Hölle zu verschwinden.
Als ich aufstand, überkam mich die Übelkeit doch noch einmal, wie ein Schlag.
Ich erbrach in eine alte Vase, neben dem Bett.
„Scheiße"
Fluchte ich leise.
Das war wahrscheinlich normal, wenn man stundenlang Betäubungsmittel durch einen versifften Schlauch gepumpt bekam.
Ich sah an mir herunter und entdeckte, dass ich nur ein viel zu großes, schlabbriges T-Shirt und meine Unterwäsche trug.
So konnte ich garantiert nicht abhauen und möglicherweise durch irgendeine Stadt laufen.
Von meinem Ballkleid und den viel zu hohen Schuhen war keine Spur mehr.
Ich sah mich gründlich in dem Raum um.
Auf dem Tisch, gegenüber vom Bett lag tatsächlich eine Zeitschrift, dieselbe, die Maya in meinem Traum las.
Das war komisch, aber es konnte ein Zufall sein.
Ich nahm sie und blätterte sie durch. Auf einmal fiel ein kleines weißes Kärtchen heraus.
Eine Visitenkarte.
Doch auf ihr stand weder ein Name, noch eine Adresse oder ein Firmenemblem.
Nur eine mit Kugelschreiber geschriebene Handynummer.
Etwas verwirrt starrte ich sie an. Sie kam mir nicht bekannt vor.
Dennoch nahm ich die Karte an mich.
Dann öffnete ich den großen Holzschrank, der in der Ecke, neben dem Bett stand.
In ihm waren nur eine alte, dreckige Jeans und ein Paar Pantoffeln.
Es war nicht ideal, aber besser, als im T-Shirt und Unterwäsche mitten im Herbst draußen rumzulaufen.
Also striff ich die Hose über und schlüpfte in die Pantoffeln.
Da es in dem Raum nichts mehr zu sehen gab, ging ich auf das Fenster zu und öffnete es.
Es war wirklich nicht hoch und unten war Rasen.
Den Sprung aus dem Fenster würde ich also unversehrt überstehen.
Vorsichtig kletterte ich auf das Fensterbrett und sah ängstlich nach unten.
Schlimmer konnte es sowieso nicht werden.
Ich atmete noch einmal tief durch und sprang dann runter.
Kurz darauf landete ich tatsächlich unversehrt und auf allen vieren auf dem nassen Rasen.
Sofort sprang ich auf und rannte um das Haus herum.
Es war dasselbe Haus, indem ich mit Elyas meinen ersten Botengang bei Giovanni absolvierte.
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Stockholm
RomanceMehr und mehr realisierte ich, dass „Bis der Tot uns scheidet", kein Segen war. Es war ein Fluch. Kenna's Leben könnte banaler gar nicht sein. Ihre Zeit verbrachte sie schon immer im Schatten anderer, bis sie an einem schicksalhaften Abend zur fals...