„Was ist los, Bruder?"
Fragte Tim, als wir den nervös durch das Zimmer laufenden Elyas aufsuchten.
„Ach nichts, außer dass wir komplett geliefert sind!"
Wütete der Ältere.
Tim und ich sahen uns ratlos an, dann versuchte Tim es erneut.
„Und wieso?"
Fragte er neugierig.
Elyas blieb stehen und musterte uns beide. Ohne auf Tim's Frage einzugehen, stellte er eine Gegenfrage.
„Wo wart ihr?"
„Wir waren nur etwas spazieren."
Erklärte Tim und fragte erneut, warum wir denn geliefert seien.
„Wegen der da."
Schrie Elyas schon fast und zeigte mit dem Finger auf mich, als wäre ich ein Gegenstand.
Wieder einmal sahen Tim und ich uns ratlos an.
„Was ist denn passiert?"
Hakte Tim weiter nach.
„Toby dieser Vollidiot, er war ungründlich bei der Entführung."
Erklärte Elyas, doch es gab uns keinerlei Erleuchtung.
„Natürlich war er das. Sonst wäre Kenna doch jetzt gar nicht hier!"
Mittlerweile wurde Tim auch ein wenig lauter.
„Das meine ich doch gar nicht."
Protestierte sein Bruder.
„Sie hat bei der Entführung ihr Handy verloren, und anstatt es mitzumehmen und zu zerstören, hat Toby es einfach in irgendein Gebüsch geschmissen und ist abgehauen. Und jetzt wurde es gefunden!"
Schrie Elyas.
"Und warum ist das meine Schuld?!"
Mischte ich mich ein. Ich war ein bisschen lauter, als geplant, beide sahen mich erschrocken an.
Ich wusste, dass ich mein Handy verloren hatte. Aber nicht, dass es anscheinend eine so große Rolle spielte.
Tim hatte wahrscheinlich denselben Gedanken.
„Na und?
Es ist doch nichts auf dem Handy, was die Bullen zu uns führt."
Ich ließ mich in einen Stuhl sinken. Ich konnte es nicht ab, wenn Menschen so rumschreien, noch schlimmer, dass der Streit wegen mir war.
„Toby's Handabdrücke könnten aber darauf sein, ich wusste, dass ich diesen Idioten schon längst hätte umbringen müssen!"
Schrie Elyas.
Ich erschrak bei diesen Worten, und auch Tim schien nicht begeistert.
„Es war sein erster richtiger Auftrag, er war nervös, es ist nicht seine Schuld."
Versuchte er zu beschwichtigen.
Elyas zuckte mit den Schultern und setzte sich ebenfalls hin.
Nach seinen Morddrohungen schien er sich
beruhigt zu haben.
„Was machen wir jetzt? Hast du Mom und Dad schon erreicht?"
Fragte Tim.
Elyas nickte. „Sie sind auf dem Rückweg, aber sie kommen erst morgen an."
Dann warf er mir einen giftigen Blick zu.
„Das ist alles deine Schuld."
Sagte er böse.
„Wenn wir wegen dir auffliegen, werde ich dich töten."
Drohte er.
„Hey, ihre Schuld ist es auch nicht!"
Verteidigte mich Tim. „Hör auf einen Schuldigen zu suchen, das wird nichts an der Sache ändern."
Doch es war zu viel. Ich stand auf und verschwand in mein Zimmer. Das brauchte ich mir nicht anhören.
In meinem Zimmer angekommen, verpasste ich dem Schreibtischstuhl einen ordentlichen Tritt. „Fuck!" Fluchte ich.
Ich wusste, dass es nicht meine Schuld war, aber was brachte mir dieses Wissen, wenn mir immer wieder eingeredet wurde, dass es so war. Irgendwann glaubte ich selbst dran.
Eine halbe Stunde später klopfte es an der Tür. Obwohl ich Nein sagte, öffnete sie sich trotzdem. Tim stand dort mit zwei dampfenden Tassen im Türrahmen.
„Darf ich reinkommen?"
Fragte er vorsichtig.
Ich klopfte mit der flachen Hand auf die Stelle neben mir um ihm zu bedeuten, dass er sich zu mir setzen sollte.
Er überreichte mir eine Tasse, sie duftete nach Früchten und Zimt.
„Er hat es nicht so gemeint."
Beschwichtigte er.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Im Eifer des Gefächts sagt er oft solche Sachen, aber er ist kein schlechter Mensch."
Fügte er hinzu.
Wieder zuckte ich mit den Schultern.
„Es ist mir egal, was er für ein Mensch ist. Soll er mich doch töten, ist mir egal."
Entgegnete ich gleichgültig und nippte an dem Tee.
„Sag sowas nicht."
Antwortete Tim.
„Ich mein's ernst. Ob er mich jetzt tötet oder ich in diesem pinken, in Watte gepackten Alptraum auf den Tot warte, ist wohl egal. Es macht keinen Unterschied."
Tim gab keine Antwort. Er wusste, dass ich recht hatte.
„Das Schlimmste ist ja auch, dass ich mit ihm zusammen arbeiten muss! Jeden Tag auf's neue muss ich mir seine fiesen Sprüche anhören und muss damit rechnen, das er mich jeden Moment einfach umlegen könnte. Ich kann mich ja nicht einmal gegen ihn wehren!"
Tim hörte mir zu meiner Überraschung aufmerksam zu und unterbrach mich kein einziges mal, als ich mich über seinen Bruder in Rage redete.
„Er wird dich nicht umbringen."
Sagte Tim mit therapeutischer Stimme.
„Warum bist du dir da so sicher?"
Fragte ich.
„Weil du zur Familie gehörst. Ob du willst oder nicht. Und es ist auch egal ob Elyas das will oder nicht. Du bist ein Teil der Familie. Und der Familie wird nichts angetan."
Entgegnete er.
Ich seufzte. Es machte alles keinen Sinn. Natürlich wollte ich nicht zu dieser Familie gehören.
Ich konnte mir hier kein Leben vorstellen.
Von der schwungvoll aufgerissenen Tür wurden wir unterbrochen. Diesmal war es Elyas, der im Türrahmen stand und uns wieder mit diesem verurteilenden Blick musterte.
„Ich unterbreche euer gemütliches Teekränzchen ja ungern, aber wir müssen jetzt los."
Sagte er rau und sah mir dabei wieder eindringlich in die Augen.
Ich wollte protestieren doch mir fehlte einfach die Kraft dazu. Also verabschiedete ich mich von Tim und folgte Elyas nach draußen.
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Stockholm
RomanceMehr und mehr realisierte ich, dass „Bis der Tot uns scheidet", kein Segen war. Es war ein Fluch. Kenna's Leben könnte banaler gar nicht sein. Ihre Zeit verbrachte sie schon immer im Schatten anderer, bis sie an einem schicksalhaften Abend zur fals...