Kapitel 28

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Den ganzen Abend über hoffte ich, dass jemand zu mir kam, mich in den Arm nahm, mit mir redete oder einfach nur da war.
Doch diese Hoffnung wurde im dunklen der Nacht erstickt.
Erst am nächsten Morgen kam Natalia unangekündigt in mein Zimmer, ich war schon wach, da ich sowieso nicht schlafen konnte.
„Guten Morgen, gut geschlafen?"
Erkundigte sie sich als wäre nie etwas gewesen und setzte sich zu mir auf's Bett.
Ich nickte.
Nachdem ein Moment Stille herrschte, entschied ich mich dazu, das Ganze noch einmal zu versuchen.
„Ich versteh es einfach nicht, Natalia.
Warum kommst du hierher und tust so, als wäre nie etwas passiert?
Seit einem Monat bin ich hier und es passieren immer wieder schlimme Dinge und irgendwelche dubiosen Typen wollen mich umbringen, wegen meinen Eltern und auf einmal erfahre ich, dass meine beste Freundin auch irgendwie da mit drinne steckt.
Was ist hier los?
Wenn ich doch eigentlich nicht wichtig für euch bin, warum sagt ihr mir dann nicht einfach was ist?"
Bettelte ich verzweifelt.
Es schien, als würde ich mich für den Rest meines Lebens immer wieder in diesem Kreis drehen, in dem ich nach Antworten suchte.
„Du hast recht, am Anfang war es wirklich so, dass du für uns nicht von Bedeutung warst,
aber es hat sich alles geändert.
Bei Zeiten werden wir dir alles erklären."
Entgegnete sie hoffnungsvoll, als würde ich mich damit zufrieden geben.
„Bei Zeiten, bla, bla, bla.
Das höre ich seit dem ersten Tag von euch."
Protestierte ich.
„Ich weiß, aber es ist auch nicht nur meine Entscheidung, sondern auch die von meinem Mann, dir alles zu erzählen."
Erklärte sie verständnisvoll.
„Ich arbeite daran, in Ordnung?"
Fragte sie.
Widerwillig nickte ich. Damit musste ich mich nun wohl zufrieden geben.
„Weißt du, alles was ich je wollte, war meine Kinder zu beschützen.
Als Mutter ist das eben meine Aufgabe.
Doch wenn du merkst, dass du daran gescheitert bist, suchst du die Schuld nur bei anderen.
Und dann ist alles was du willst Rache."
Sagte sie verschwörerisch.
Ich wusste nicht ganz, was ich damit anfangen sollte.
Sie verkaufte mir das, wie eine wichtige Lebensweisheit.
Doch desto länger ich darüber nachdachte, desto kranker klang es.
Aber ich wusste, dass ich schon bald Klarheit darüber haben würde, was sie damit meinte.
Sie stand auf und machte an der Tür noch einen kurzen Halt.
„In einer halben Stunde gibt es Frühstück."
Sagte sie und ging dann.
Frühstück klang wirklich gut, das hatte ich wirklich nötig, nachdem ich gestern jede Art von Nahrung verweigert hatte.
Ich stand also auf und machte mich fertig, um in die Küche zu gehen.
Als ich im Erdgeschoss den Flur betrat, hörte ich, wie Natalia und Marco im Wohnzimmer miteinander redeten.
Ich wich ein Schritt zurück, es schien eine angespannte Unterhaltung zu sein.
„Und was willst du jetzt? Sollen wir ein Keil zwischen sie treiben?"
Fragte Marco zornig.
„Das meine ich ja gar nicht, ich finde nur, dass sie sich etwas näher gekommen sind."
Beschwichtigte Natalia.
„Na und, so ist das nunmal bei jungen Menschen."
Relativierte Marco.
Ging es etwa um Elyas und mich? Wir sind uns doch nicht nah gekommen.
„Sie haben sich auf der Feier geküsst. Ich habe Angst, dass er mit ihr spielt oder dass das ganze so endet wie bei Joline."
Joline? Es ging dabei tatsächlich um Elyas und mich. Aber es war doch von Anfang an abgesprochen, dass wir alle täuschen.
„Mein Sohn würde niemals ein Mädchen küssen, für das er keine Gefühle hat. Außerdem sind sie beide volljährig, sie können tun, was sie wollen.
Wir haben alle aus Joline gelernt. Das wird schon nicht noch einmal passieren. Das haben wir uns alle versprochen!"
Verteidigte Marco.
Doch Natalia war damit nicht zufrieden.
„Wir leben im 21. Jahrhundert, Marco.
Da ist die Liebe nicht mehr von Bedeutung, zumindest nicht für die jungen Leute."
Stichelte sie weiter.
„Du machst dir zu viele Gedanken."
Entgegnete Marco und beendete somit das Gespräch.
Ich huschte rasch in die Küche und tat so, als wäre ich mit Zeitung lesen beschäftigt, als sie beide nacheinander das Wohnzimmer verließen.
„Guten Morgen."
Begrüßte ich beide, als sie in die Küche kamen.
Natalia strich mir fürsorglich über den Rücken, während Marco mir nur kurz zunickte und direkt die Kaffeemaschine ansteuerte.
Er war eigentlich total nett und liebevoll, doch tat nach außen immer kalt und unantastbar, um seine Fassade vom Harten Boss aufrecht zu erhalten.
Wahrscheinlich diente es auch um sich weniger verletzlich oder angreifbar zu machen.
Nach dem Frühstück kam der Arzt um mich zu untersuchen.
Natalia bereitete mich darauf vor, mir war klar, dass ich lügen müsse, um Niemanden zu verraten.
Ich hatte Angst vor seinen Fragen, zum Glück war ich nicht körperlich verletzt oder hatte Wunden, die auf meinen Entführer hinweisen könnten.
Ich ging mit dem Arzt alleine in einen Raum, in dem er mich einmal am Körper untersuchte, meinen Puls gemessen hatte und so weiter.
„Dann erzähl mal, Gina."
Forderte er mich auf.
„Deine Pflegeeltern meinten, du wurdest bei einem Ausflug entführt. Wie ist das passiert?"
Fragte er und ich meinte, etwas Misstrauen raushören zu können.
„Wir waren auf einem Rastplatz auf dem Weg in einen Freizeitpark.
Meine Eltern und meine Brüder wollten etwas bei der Tankstelle kaufen.
Ich wollte nichts, also bin ich im Auto geblieben.
Ich erinnere mich nicht an alles, ich war im Halbschlaf, weil ich sehr müde war.
Auf einmal öffnete sich eine Autotür und ein Mann beugte sich über mich.
Erst dachte ich, es wäre Mar- mein Dad, aber dann ist mir aufgefallen, dass es ein fremder Mann war.
Bevor ich reagieren konnte, hatte er mich schon gepackt und aus dem Auto gezerrt.
Seitdem habe ich kaum Erinnerungen."
Brachte ich so glaubwürdig wie ich konnte hervor.
Er zog die Augenbrauen zusammen und machte sich ein paar Notizen.
„Und wie konntest du fliehen?
Deine Eltern meinten, du wärst einen ganzen Monat verschwunden, sie haben die Hoffnungen schon aufgegeben.
Erinnerst du dich an den Ort, an dem er dich festhielt?"
Hakte er weiter nach.
Ich schüttelte eilig den Kopf.
„Ich erinnere mich weder an ihn, noch an den Ort.
Es könnte ein Kellerraum oder sowas sein.
Ich hatte ständig die Augen verbunden aber die meiste Zeit war ich sowieso nicht klar bei Verstand.
An diesem Morgen, war es anders. Ich konnte klar denken.
Also habe ich die Chance genutzt und bin abgehauen.
Aber er hat mir irgendwas gegeben, ich erinnere mich nicht, wo das war, als ich draußen war, bin ich einfach gerannt."
Erzählte ich.
Er nahm mir noch Blut ab und fragte mich weiterhin aus.
Es wurde immer schwerer, seinen Fragen auszuweichen oder Lügen zu erfinden.
„Dein Blut weist Spuren von Betäubungsmittel auf. Da kann man jetzt erstmal nichts machen, du wirst dich in den nächsten Tagen vielleicht noch schwindelig und müde fühlen.
Dein Körper wird das aber von allein los."
Erklärte er und sah mich noch einmal streng an.
„Möchtest du mir noch irgendetwas erzählen? Du weißt hoffentlich, dass das der Schweigepflicht unterliegt.
Du brauchst also keine Angst zu haben."
Fragend sah ich ihn an.
Ahnte er etwas?
„Wenn du möchtest, können wir dir professionelle Hilfe suchen.
Einen Psychologen oder eine Psychologin, wenn dir das lieber ist.
Du bist damit nicht allein."
Versuchte er mir einzutrichtern doch ich wusste, dass das nicht in Frage kommen könnte.
Sofort schüttelte ich den Kopf.
„Ich komm' klar."
Lehnte ich das Angebot knapp ab.
Kurz darauf öffnete sich die Tür, es war Natalia.
Endlich, ich wusste nicht, wie lange ich das noch aushalten könnte.
Sie beendete in meinem Namen das Gespräch und schickte den Arzt weg.
Ich war ihr tatsächlich dankbar dafür.
Sonst hätte ich diesem neugierigen Doktor wirklich noch alles gesteckt.

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