Die Tagesstunden verebbten in trübseliger Verzweiflung.
Wieder hatte ich Elyas umsonst vertraut.
Es war ein hoffnungsloser Fall.
Warum ließ ich mich immer wieder auf ihn ein, obwohl ich wusste, dass es zu nichts führte?
War es, weil er so manipulativ war oder war ich es, die...
Nein.
Ich war nicht verliebt in ihn.
Ich konnte nicht in ihn verliebt sein.
Das wäre eine Kathastrophe.
Am Abend merkte ich, wie mir in diesem schrecklich-pinken Mädchentraum die Decke auf den Kopf fiel.
Draußen war es nicht wirklich kalt und so entschied ich mich, es mir mit dem Buch, welches ich vor Ewigkeiten zu lesen anfing, im Garten auf einer hübschen, kleinen Bank gemütlich zu machen.
Es war zwar schon dunkel, aber eine Laterne spendete mir Licht, sodass ich lesen konnte.
Es brauchte ein paar Kapitel, doch schließlich war ich richtig gefangen in dem Buch.
Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lesen, ich war so gefesselt von der Geschichte, dass ich gar nicht merkte, dass sich Elyas zu mir gesellte.
„Gutes Buch?"
Riss er mich aus den Zeilen.
Erschrocken fuhr ich herum, ich sah ihm direkt in die grünen Augen, die durch das orange des Laternenlichts gar nicht mehr so einschüchternd waren.
Eine Gänsehaut durchfuhr meinen ganzen Körper.
Langsam klappte ich das Buch zu und legte es neben mich.
„M-hm"
Machte ich und versuchte zu lächeln, um den Schrecken, den er mir eingejagt hatte zu verbergen.
„Ich liebe den Garten. Er hat etwas märchenhaftes, nicht wahr?"
Schweifte er ab und lehnte sich zurück.
Ich blickte mich um.
Er hatte recht.
Der kleine Bach, der Wald, der direkt an den Garten grenzte, Natalias wunderschöne Blumen, die romantisch-geschnörkelten Gartenmöbel, die Motten, die majestätisch im Licht der Laternen tanzten.
Es war wirklich wunderschön hier, doch das war nicht der Punkt. Was wollte er schon wieder von mir?
Wollte er wissen, was ich herausfand?
„Gibt es was?"
Fragte ich also, um gleich auf den Punkt zu kommen.
„Ja, tatsächlich. Ich muss mit dir reden."
Gab er zu.
Ich sah ihn erwartungsvoll an.
„Dann rede."
Forderte ich ihn auf.
Er atmete einmal durch, er meinte es also wirklich ernst.
„Gut, ehm.. also...
Ich war nicht so ganz ehrlich zu dir. Ich will dir hier und jetzt die ganze Wahrheit sagen, also streng genommen alles, was ich weiß und was ich herausgefunden habe."
Stammelte er.
Fragend zog ich die Augenbrauen zusammen.
„Und was willst du dafür?"
Fragte ich unsicher.
„Nichts, wirklich! Versprich mir einfach nur, dass du nicht ausrastest und dass du es für dich behältst, zumindest vorerst. Wir finden gemeinsam eine Lösung."
Schlug er vor.
>Gemeinsam< ich glaube, dieses Wort habe ich noch nie aus seinem Mund gehört.
Was war heute nur mit ihm los? Hatte er Mitleid mit mir?
Er redete ganz schön um den heißen Brei herum, langsam wurde ich ungeduldig.
„Komm zum Punkt, Elyas."
Forderte ich mich Nachdruck.
„Also...
Deine Freundin, Maya:
Sie ist nicht so unschuldig, wie du denkst, so gar nicht."
Rückte er endlich mit der Sprache heraus.
„Wer sagt, dass ich sie für unschuldig halte?"
Unterbrach ich ihn.
„Komm schon, Kenna. Wir wissen beide, wie sehr du sie anhimmelst."
Empört sah ich ihn an. Hatte er das gerade wirklich gesagt?
Wahrscheinlich war ich deshalb so nervös, weil ich wusste, dass er recht hatte.
Ich konnte es nicht ab, wenn Menschen mich durchschauten.
Ich gab mir so viel Mühe, so undurchschaubar wie möglich zu sein.
„Worauf willst du hinaus?"
Hakte ich unruhig nach.
„Okay, vor vielen Jahren gab es einen Streit zwischen zwei Gangs, in der einen waren meine Eltern und in der anderen waren Maya's Eltern."
Mayas Eltern waren auch bei der Mafia? Das konnte nicht sein.
Maria und Louis? Niemals, sie waren solche lieben Menschen, die könnten niemals etwas böses tun.
„Deine Eltern waren in einer Gang?"
Fragte ich überrascht.
„Das tut jetzt nichts zur Sache."
Beendete er das.
„Maya's Eltern haben für so 'nen gefährlichen Big Boss gearbeitet, der aber schon lange tot ist.
Sie haben nie irgendetwas getan, was irgendwen weiterbringt.
Nur Mist und Kriminalität.
Jedenfalls sollten sie nach diesem Streit meinen Eltern so richtig wehtun.
Sie sollten ihnen das wichtigste nehmen, das sie besaßen.
Also entführten sie Mom's und Dad's erstgeborenes Kind.
Ihre Tochter Scarlett."
Er erzählte diese Geschichte so ernsthaft, doch trotzdem konnte ich ihm das nicht glauben, ich wollte ihm das nicht glauben.
„Maria und Louis würden so etwas niemals tun. Ich kenne sie. Sie sind so nette Menschen, sie würden nicht mal einer Fliege etwas zu Leide tun!"
Protestierte ich. Er musste sich irren.
„Sei nicht so naiv, Kenna.
Du solltest mittlerweile wissen, dass vieles nicht wirklich so ist, wie man es dir eingetrichtert hat.
Nichts ist, wie es scheint."
So wie er es sagte, klang es, wie eine Gehirnwäsche.
Ich versuchte dagegen anzugehen, doch warum sollte er mich anlügen?
„Na schön, was hat dann aber Maya damit zutun?"
Fragte ich.
„Bei der ganzen Sache kommst auch du ins Spiel.
Meine Eltern sind aus jeglichen Gangs ausgestiegen, sie haben versucht aus der ganzen Sache rauszukommen doch es ist nicht leicht einem solchen Leben zu entfliehen.
Also haben sie sich dazu entschieden, alleine ihr Ding zu machen und nur Dinge zutun, die sie weiterbringen.
Das hat ja auch gut geklappt, meine Eltern sind keine schlechten Menschen doch wenn sie eine schlechte Eigenschaft haben, dann ist das Rachsucht.
Nachdem Maya's Eltern Scarlett vor den Augen meiner Eltern gefoltert und ermordet haben, war es nicht mehr so leicht, einfach weiter zu leben.
Von diesem Tag an wollten sie Rache an Maya's Eltern.
Und sie haben das ganze bis auf's letzte Detail geplant.
Sie wollten Maya entführen. Genau so, wie Maya's Eltern es mit ihrer Tochter getan haben.
Aber da meine Eltern keine schlechten Menschen sind,
hätten sie Maya natürlich nicht umgebracht, sie hätten Maya die Wahrheit über ihre Eltern erzählt und dann ein Lösegeld eingefordert, welches sie für irgendetwas allgemeinnütziges Gespendet hätten, und Maya dann wieder freigelassen."
Blutgeld für Wohltätigkeit spenden, welch Ironie.
Mich verstörten die Dinge, die Elyas mir da grad erzählte überhaupt nicht, seine Worte prallten an mir ab und trotzdem sog ich sie auf, wie ein Schwamm.
„Wir haben Maya seit Anfang des Jahres auf Schritt und Tritt verfolgt und überprüft.
Daher kannten wir auch dich.
Doch unser neuer Bote Toby kannte dich nicht.
In der Nacht, in der du entführt wurdest, sollte eigentlich Maya entführt werden.
Er hielt dich für sie, die Beschreibung hat wohl bis auf die Haarsträhne gestimmt."
Ich erinnerte mich zurück an die Nacht im Oktober.
Maya wollte vor der Party eigentlich zu mir kommen und hat dann aber doch im letzten Moment abgesagt, was nicht überraschend war. Sowas machte sie öfter.
Aber sie hatte mir ganz genau gesagt, was ich anziehen sollte, wie ich mich schminken und stylen sollte, sogar wo lang ich am besten zur Party fahre, obwohl das ein totaler Umweg war.
Und ich? Ich habe ihr natürlich wie ein Hund gehorcht, wie es für mich üblich war.
„Ist es vielleicht möglich, dass Maya über ihre Eltern bescheid wusste?"
Ich hatte diese Idee, als mir einfiel, was sie in der Nacht alles von mir wollte.
Es war durchaus möglich.
„Eigentlich nicht. Aber Maya ist intelligent und gerissen, außerdem.."-
„Außerdem hat sie Kontakt zu Giovanni, ehm.. Kylian."
Unterbrach ich ihn.
Er zog fragend die Augenbrauen zusammen.
„Ich glaube langsam, dass mein Traum vielleicht doch Realität war."
Klärte ich ihn auf.
Wir wussten beide, was Sache war,
Wir müssen noch einmal mit Kylian sprechen.
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Stockholm
RomanceMehr und mehr realisierte ich, dass „Bis der Tot uns scheidet", kein Segen war. Es war ein Fluch. Kenna's Leben könnte banaler gar nicht sein. Ihre Zeit verbrachte sie schon immer im Schatten anderer, bis sie an einem schicksalhaften Abend zur fals...