Trotz meiner Versuche, mich zu wehren, saß ich eine gute Stunde später neben Elyas in seinem Auto. Er hatte mir weder gesagt wo genau wir hinfuhren, noch wie lange und auf jede Frage meinerseits reagierte er nur mit genervtem Augendrehen.
Wir waren auf dem Highway in Richtung einer größeren Stadt und wieder einmal nutzte ich die Möglichkeit, ihn zu beobachten.
Zugegeben, ich hatte mich wieder etwas beruhigt. Das hieß aber nicht, dass ich Elyas in Schutz nahm oder ihn super toll fand. Ich hielt ihn immer noch für einen unsympathischen Macker, der viel zu überzeugt von sich selbst ist.
Ich sah zu ihm rüber und fragte mich, wie Jemand, der so jung war, so wenig Spaß am Leben haben konnte, obwohl das bei seiner Familiengeschichte eigentlich auf der Hand lag aber dennoch; Sein Bruder schaffte es auch nett und sympathisch zu sein also was genau war sein Problem?
Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm.
Nicht mal das Radio durfte ich einschalten.
Er sah ausdruckslos und konzentriert auf die Straße und beachtete mich gar nicht.
Er war so arrogant.
Ich wendete den Blick ab und sah aus dem Fenster, welches ich auch nicht öffnen durfte, mit der Begründung
„Die Scheiben sind nicht umsonst getönt. Ich hab 'ne Klimaanlage."
Heute war ich zum ersten Mal seit meiner Ankunft draußen an der frischen Luft. Und das auch nur für die wenigen Sekunden, in denen ich über den Hof zu Elyas' Auto ging.
Wieder draußen zu sein und frische Luft zu atmen, fühlte sich an, als hätte ich die letzten drei Tage in einem kleinen, stickigen, fensterlosen Raum gehockt.
Allmählich meldete sich mein Magen mit einem Knurren, woraufhin ich wirklich hoffte, dass Elyas es nicht hörte. So oder so, er ignorierte es.
Mir fiel auf, dass ich zuletzt zuhause gegessen hatte.
Diese ganze Sache schlug mir so heftig auf den Magen, da konnte ich gar nicht essen. Aber jetzt wurde es langsam hart.
Circa eine halbe Stunde später machte Elyas halt vor einem großen Hochhaus.
Er stieg aus und ich tat es ihm gleich.
Ich wollte, so selbstsicher wie ich vorgab zu sein, das Haus betreten, doch Elyas hielt mich auf. Er sah mich wieder einmal durchdringend an.
„Rede nur, wenn du aufgefordert oder angesprochen wirst.
Halte dich im Hintergrund, lass mich alles regeln.
Sieh niemandem direkt in die Augen
und vor allem,
Tu nichts, was ich nicht auch tun würde, verstanden?"
Ich zog eine Augenbraue hoch. Sein befehlerischer Ton gefiel mir gar nicht.
„Was soll passieren? Ich dachte die Leute da sind eure engsten Vertrauten?
Denkst du die knallen mich ab, oder was?"
Ich verschrenkte die Arme vor der Brust.
„Und selbst wenn, wäre das doch eine Erleichterung für mich, dann bist du mich endlich los."
Er kam ein Schritt näher auf mich zu und sah mich bitter von oben herab an.
„Jetzt hör mir mal zu, Mädel."
Er betonte >Mädel< genau so schnippisch, wie ich >engste Vertraute< zuvor.
„Es ist nicht die Zeit, solche Witze zu machen, klar? Wenn du dich unbedingt umbringen willst, spring von 'ner Brücke oder so, mir egal. Aber zieh mich da nicht mit rein.
Wenn du von mir respektiert werden willst, hör auf dich wie ein Kind zu benehmen, das sich gegen alles wehrt. Zeig ein bisschen bisschen Würde und geh mit der Situation um, wie die erwachsene Frau, für die du dich hälst!"
Schon wieder ließ er mich sprachlos stehen. Er steuerte auf den heruntergekommenden Wohnblock zu und rempelte im Vorbeigehen meine Schulter.
Sehr erwachsen.
Verdutzt sah ich zu, wie er das Haus betrat.
Aus irgendeinem Grund entschied ich, ihm nachzulaufen und ihm einfach Wortlos zu folgen. Vielleicht war es besser, wenn wir uns anschwiegen.
Das Haus schien komplett unbewohnt zu sein.
Die wenigen Mietwohnungen, die noch gut erhalten waren, wurden wohl für andere Zwecke genutzt.
Wir mussten in den dritten Stock an das hinterste Ende.
Desto weiter wir den dunklen Gang entlang schritten, desto heruntergekommener wurde es.
Es roch penetrant nach billigem Gras und irgendetwas abgestandenen, was so sehr in der Nase stach wie Ammoniak.
Ich rümpfte die Nase, weswegen ich mir ein „Stell dich nicht so an!"
Von Elyas anhören musste.
Ich ignorierte ihn einfach, es ergab sowieso keinen Sinn, mit ihm zu diskutieren.
Über uns flackerten alte Lampen. Der Boden war voller alter Bierflaschen und dessen Glassplitter, Zigaretten- und Jointstummeln, Müll, Dreck und Splitter von eingeschlagenen Fenstern.
Das ungute Gefühl in meiner Brust wurde immer stärker und ich ich wollte am liebsten nur noch umkehren.
Doch ich wollte wie so oft keine Schwäche zeigen und vor allem nicht vor Elyas.
Ich wollte ihm beweisen, dass ich kein kleines ängstliches Mädchen war.
Endlich kamen wir vor der Tür an. Sie war versehen mit Einschusslöchern und am Rahmen klebten noch Reste vom Absperrband.
Elyas hämmerte eine bestimmte Abfolge, eine Art Melodie gegen die Tür. Kurz darauf wurde sie von einem Mann geöffnet.
DU LIEST GERADE
Stockholm
RomanceMehr und mehr realisierte ich, dass „Bis der Tot uns scheidet", kein Segen war. Es war ein Fluch. Kenna's Leben könnte banaler gar nicht sein. Ihre Zeit verbrachte sie schon immer im Schatten anderer, bis sie an einem schicksalhaften Abend zur fals...