Kapitel 17 • Verdrängung •

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Die Sonne blendete mich, aber anders als in den letzten Tagen, konnte ich aufrecht und ohne schwankende Beine stehen. Nach Tagen der Abschottung und der Genesung, konnte ich die Krankheit überstehen und wollte nur noch zurück an die Arbeit. Kaum zu glauben, doch ich vermisste es, mit den Händen zwischen Erde und Unkraut zu wühlen. Ich vermisste es, die Insekten vor Zarts Schaufel zu retten und neues Gemüse für die Köche anzupflanzen und zu ernten. Dabei lag ich aller höchstens eine Woche flach. In der Zeit war sogar ein neuer Frischling gekommen, der sich geradewegs in den einzelnen Bereichen ausprobierte. Meine Füße steuerten jedoch erst die Küche an, wo ich mir von Pfanne ein verspätetes Frühstück genehmigte. Heute durfte ich etwas länger schlafen, aber Morgen sollte es wieder in alter Frische weitergehen.

Es war ungewohnt, länger zu laufen, ohne umzukippen. Trotzdem schaffte ich es problemlos zur Küche. Ja, eigentlich wollte ich sogar einfach laufen, da ich die ganze Zeit nur ans Bett gefesselt war. In der Küche angekommen, strahlte mich Pfanne herzerwärmend an.

»Man, ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr wieder«, begrüßte er mich. Er war einer der wenigen, der die Fehlzeit nicht totschwieg und das freute mich.

»Ich kann dich doch nicht hier alleine lassen«, erwiderte ich grinsend, schnappte mir eine Schüssel und ließ mir von ihm Frühstück auftischen. Nach einem hungrigen ›Danke‹, ließ ich den Jungen weiter seine Arbeit machen und setzte mich draußen zum Essen hin. Die Jungen hingen bereits mitten in ihrer Arbeit. Ich hörte, wie Gally und seine Baumeister Nägel in Holz hämmerten. Wie die Tiere von Winston und den Schlitzern gefüttert und umsorgt wurden. Wie die Hackenhauer die Pflanzen bewässerten. Alles klang nach einem ganz gewöhnlichen Alltag für uns und ich spürte sogar ein wenig Vorfreude, auf das Herumwühlen in der Erde.

Durch diese Krankheit hatte ich einen Einblick bekommen, was hinter den Mauern abging. Falls diese Erinnerungen wirklich stimmten, dann wollte ich um nichts auf der Welt von diesem Ort weg. Auf der Lichtung ging es uns verhältnismäßig gut. Wir besaßen fließendes Wasser - wenn auch kalt. Wir hatten Strom für den Herd. Duschen. Toiletten. Zwar lebten wir ohne großartige Elektronik, wenn man die Küchengeräte außer Acht ließ, aber abgesehen von den Griewern, ließ es sich hier aushalten. Ich beschloss, mir hier ein richtiges Leben aufzubauen.

Mit dem Gedanken ging es mir ein bisschen besser. Die leere Schüssel brachte ich zurück in die Küche, dann machte ich mich auf den Weg in die Gärten. Arbeit wartete auf mich und zwischen all den Pflanzen, wurde ich sehnsüchtig erwartet. Zart warf mir direkt eine Gartenharke zu, die ich etwas ungeschickt auffing.

»Endlich bist du wieder hier. Jetzt kannst du ja Newt zeigen, wie man es richtig macht«, scherzte mein Hüter und widmete sich direkt wieder der wachsenden Tomatenstaude.

»Bist du etwa so schlecht und ich habe es nur vergessen?«, gluckste ich zu Newt, der gleich verlegen wurde und vor sich hin stammelte. Verdammt, sah das süß aus.

»Na komm schon«, kicherte ich und fing an, die Erde umzugraben und ein wenig Unkraut zu rupfen. Erst tat mein ganzer Körper weh, weil ich mich ans Bett gewöhnt hatte. Aber es tat auch unglaublich gut, wieder etwas zu machen. Sich zu bewegen. Frische Luft wirbelte meine Locken durcheinander, eine Brise versüßte mir den doch so heißen Tag. Keine einzige Wolke schwebte am Himmel. Alles war gut. Oder? Kaum machte ich mir solche schönen Gedanken, bohrten sich die dunklen Erinnerungen zurück in mein Gehirn. Kurz verharrte ich in meiner Position und versuchte, die Bilder von dem ganzen Sand los zu werden.

»Kat?«, riss mich Newt aus meiner tranceartigen Haltung. »Erde an Kat«, wiederholte er und wedelte mit der Hand vor meiner Nase. Ich blinzelte und kam wieder zu mir.

»Alles okay?« Als Antwort nickte ich.

»Ja, ich... muss mich nur wieder auf den Job hier einstellen«, murmelte ich verlegen mit einem erzwungenen Grinsen. Wieso mussten diese Erinnerungen nur wieder alles kaputt machen? Der Gedanke, dass draußen nichts war, war einfach erdrückend und enttäuschend zugleich.

Wenige Stunden später, tauchte Gally mit Ben auf, um hölzerne Zäune und Halterungen im Garten zu reparieren. Ersterer warf mir einen kurzen Blick zu und ich erinnerte mich daran, dass er selbiges durchmachen musste, wie ich. Wir hatten eine Gemeinsamkeit und irgendwo verstand ich nun, warum er hier so streng auf Regeln achtete. Warum er sich hier etwas richtiges aufbauen wollte. Weil er genau wie ich wusste, was draußen ungefähr abging und da hörte sich das Leben hier um einiges rosiger an.

Während wir Hackenhauer die Erde umgruben und Pflanzen umtopften, kümmerten sich Gally und Ben um die Reparaturen. Der Tag zog sich wie ein Kaugummi und es war anstrengend, wieder vollen Körpereinsatz zu zeigen. Kurz machte ich eine Pause, um aus meiner Wasserflasche zu trinken - die Hitze hielt ich kaum aus -, als ich merkte, wie Gally mir erneut einen Blick zu warf. Irgendwas an ihm fand ich heute seltsam. Und ich wusste nicht Mal, ob ich es positiv sehen sollte oder negativ.

Im Laufe des Tages gingen immer mehr Hackenhauer zu den Duschen und danach Richtung Lagerfeuer, um von Pfanne etwas Essen ab zu stauben. Meine Dusche kam erst später, weshalb ich erschöpft an einem reparierten Zaun lehnte, meine Schaufel in die Erde rammte und mich abermals mit Wasser abkühlte.

»Und? Hast du... es auch gesehen?«, sagte Gally plötzlich und richtete sich auf, nachdem er mit einem Nagel zwei Latten zusammen gehämmert hatte. Ben war längst unter der Dusche, somit gab es nur noch Gally, mich und vereinzelte Hackenhauer im Garten. Er kam zu mir, gesellte sich neben mich und trank ebenfalls etwas. Natürlich wusste ich, worauf er anspielte. Großartig hatte ich mit ihm nie ein Wort gewechselt, weshalb es mich wunderte, dass er gerade jetzt das Gespräch suchte. Trotzdem nickte ich.

»Scheint wohl so«, fügte ich hinzu. Vielleicht war er froh darüber, noch jemanden gefunden zu haben, der sein Wissen teilte. Jedenfalls fühlte ich mich mit dem Gedanken etwas wohler und nicht mehr ganz allein.

»Sand?«, konnte ich nur sagen. Alles andere, was das Leben außerhalb der Mauern beschrieb, blieb mir im Halse stecken. Diesmal nickte Gally und spielte mit seinen Fingern am Deckel der Edelstahlflasche herum.

»Sand«, wiederholte Gally.

»Die anderen haben absolut keine Ahnung«, setzte er hinzu. Bevor wir beide durch die Verwandlung mussten, wussten wir auch von Nichts. Aber mir wollte nicht klar werden, ob das was Gutes oder etwas Schlechtes war. Ob ich enttäuscht sein sollte oder erleichtert darüber, dass ich mir ein Leben hier aufbauen konnte. Denn was brachte es bei den zurückgekehrten Erinnerungen, jetzt noch nach einem Ausgang zu suchen?

»Hier ist es sicherer«, stimmte ich ihm zu. Jedoch würde kein anderes Licht von uns diese Meinung nachvollziehen können. Ein wenig verursachte diese Erkenntnis ein unangenehmes Ziehen in der Brust. Mit Gally hier zu stehen und sich zu unterhalten, brachte gemischte Gefühle mit sich. Er kam mir immer etwas aggressiv und hitzköpfig vor. Stark auf das Einhalten der Regeln bedacht, aber jetzt wusste ich auch, wieso. Gally wollte nicht, dass es die Lichtung irgendwann nicht mehr gab und wir unser Zuhause nicht mehr hatten.

»Lass uns hier das Beste draus machen«, schlug Gally vor, klopfte mir kurz mit der Hand auf die Schulter und deutete mir an, ihm zum Essen zu folgen. Hinterher duschen, konnte ich auch noch. Ich bemerkte kaum, wie Newt von den Duschräumen zurückkehrte und uns mit Blicken verfolgte. Dieses Mal saß ich beim Essen auch nicht bei ihm und Minho, sondern bei Gally, Winston und Clint. Es tat gut, sich Mal mit anderen Leuten zu unterhalten und ich bekam langsam das Gefühl, dass Gally gar nicht so übel war, wie wir übrigen immer von ihm dachten. Es war zwar nur eine kleine Unterhaltung, aber ich hoffte, dass dieses Verhalten von langer Dauer war und kein kurzer Moment.


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Their Darkest Times | Newt x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt