Kapitel 06 • Veränderungen •

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Seit drei Tagen kam ich nicht aus dem Gehöft und seit fünf Nächten wachte ich immer mit einem Schrei auf. Mitten im Dunkeln. Das raubte anderen Lichtern so den Schlaf, dass Alby mich ins Gehöft verlegte. Was es aber nicht besser machte, denn allein inmitten einer dunklen Bruchbude, war es einfach nur unheimlich. Düstere Gedanken spukten durch meinen Kopf und immer, wenn ich die Augen schloss, sah ich Georges leblosen Körper vor mir auf dem mit Blut durchtränkten Rasen. Ich sah, wie er seinen Kopf zu mir drehte und in einer dämonischen Stimme sprach:

»Warum hast du mich getötet? Warum lässt du mich sterben?«

Diese Sätze ließen mich nicht mehr los, weshalb Alby auch keinen Sinn darin sah, mich mit Arbeit zu quälen. Ich bekam ein paar Tage frei, die meinen inneren Stress jedoch nicht wirklich minderten. Das Gehöft verließ ich nur, um auf die Toilette oder zum Duschen zu gehen und das auch nur dann, wenn mich niemand draußen sehen konnte und alle selbst am Schlafen waren.

Das Essen brachte mir Newt, wie auch heute. Er war der Einzige, der bei Frühstück und Abendessen bei mir saß und mich schon zwang, Pfanne nicht zu enttäuschen und die Schüsseln voll zurück zu geben. Ich musste das Essen runter würgen, ob ich wollte oder nicht, aber insgeheim war ich Newt dankbar dafür.

So lief es auch heute ab. Weil Newt zu den Läufern gehörte, kam er sehr früh zu mir ins Gehöft. Natürlich war ich ebenfalls wach, denn ich schaffte es nicht, lange zu schlafen. Trotzdem stellte ich mich so, als würde ich es tun. Heute war einer dieser Tage, an denen meine Alpträume schlimmer waren und ich tiefer in Selbstmitleid versank. Daher saß Newt hinter meinem Rücken und aß einfach sein Frühstück, ohne darauf zu achten, ob ich auch etwas aß oder nicht.

»Alby will wissen, wie es dir geht«, sagte er dann plötzlich. Alby. Er wollte es sicher nicht lange mitmachen, dass ich untätig herumlag und meinen Beitrag nicht leistete. Ein bisschen bekam ich Angst, was wohl passierte, wenn ich zu lange ›nichts‹ machte. Nach seiner Aussage kam erst Mal nichts, dann drehte ich mich auf meinem provisorischen Bett zu ihm um. Sein leicht erschrockener Blick zeigte mir, dass ich fürchterlich aussehen musste.

»Hervorragend«, brummte ich sarkastisch und verdrehte dabei die Augen. Newts Mundwinkel zuckten amüsiert nach oben und bestimmt schob er mir dann meine Schüssel vor mein Gesicht. Der Geruch von Haferbrei, Brot und Obst stieg mir in die Nase. Dann wurde seine Miene wieder ernst.

»Du musst bald wieder weiter machen, Kat. Ich kann verstehen, dass es schwer für dich ist, aber das Leben muss weitergehen. Wir finden einen Ausgang. Für alle, für dich, für mich und auch für George. Er würde wollen, dass wir alle weiter machen.« Seine plötzliche Ernsthaftigkeit riss mir den Boden unter den Füßen weg. Insgeheim musste ich zugeben, dass er Recht behielt, aber ich wollte es mir nicht eingestehen. George starb nicht durch seine Hand, das konnte er nicht nachvollziehen.

Letztendlich setzte ich mich doch aufrecht hin und versuchte etwas von dem Haferbrei hinunter zu bekommen. Ein wenig fühlte ich mich schlecht gegenüber Bratpfanne, denn er konnte gut kochen. Verdammt gut.

»Ich weiß«, seufzte ich dann, rührte dabei in meiner Schüssel herum.

»He, Newt«, ertönte eine Stimme von draußen. Minho. Sie wollten wieder raus ins Labyrinth und meine beruhigende Morgenroutine mit Newt neigte sich dem Ende zu. Ich wollte nicht, dass er ging und doch konnte ich ihn nicht aufhalten. Der Blondschopf sammelte meine nun leere Schüssel mit ein, erhob sich und ging dann Richtung Tür.

»Also, wir sehen uns dann heute Abend«, verabschiedete er sich. Kurz saß ich reglos da, doch bevor er ging, musste ich es noch loswerden.

»Danke, Newt.« Bei dem Satz blieb er kurz stehen, ging dann aber ohne ein Wort weiter. Ich wusste, dass er dabei gelächelt hatte, dafür musste ich sein Gesicht nicht sehen. Kurz nachdem er weg war, breitete sich in meiner Magengegend ein wohliges, flatterndes Gefühl aus, das ich nicht deuten konnte. Etwas, das ich vorher noch nicht kannte und nicht wusste, woran es lag. Es flaute jedoch ab, je länger Newt weg blieb.

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Den Rest des Tages verbrachte ich damit, auf meiner Decke herum zu liegen und Löcher in die Luft zu starren. Die ganze Zeit machte ich mir Gedanken darum, was passiert wäre, hätte ich das Gegengift bei George nicht benutzt. Hätte er es schaffen können? Meine Logik schrie mich förmlich an, dass dies nicht der Fall wäre. Trotzdem machte ich mir unglaubliche Vorwürfe. Schnell bemerkten wir dadurch auch, dass ich zu den Sanis nicht noch einmal zurückkehren wollte. Ich ertrug es nicht, wenn jemand trotz meiner Hilfe starb.

Unter Gliederschmerzen richtete ich mich auf und sah aus dem Fenster. Viele Räume besaßen keines, aber das hier schon. Wobei, das Gehöft hatte auch nicht gerade viele Zimmer. Es wurde immer nur erweitert, wenn wir gerade Holz zur Verfügung bekamen und dieses Zimmer sollte meines sein. Vielleicht waren wir irgendwann so weit, dass jeder in dem Gerümpel schlafen konnte und nicht mehr unter freiem Himmel übernachten musste.

Draußen schien jetzt jedoch die Sonne durch die verdreckten Scheiben und ich bekam einen guten Blick auf viele, hart arbeitende Jungs. Eine Aussicht, die mich direkt wieder mies fühlen lies. Alle brachten sich mit ein, jeder hatte eine Beschäftigung. Konnte Arbeit möglicher Weise doch ein Weg zurück in den Alltag sein? Diesen Gedanken verwarf ich schnell wieder, als es Abend wurde.

Die Sonne sank hinter die Mauern und Newt müsste längst zurück sein. Im Grunde waren die Minuten, in denen er bei mir saß und mit mir aß, die einzig schönen Momente in den vergangenen Tagen. So ging es auch an diesem Abend weiter. Er kam mit dem Abendessen zu mir und diesmal verspürte ich wieder ein bisschen Hunger. Trotzdem fühlte ich mich noch zu schwach, um irgendwas großartiges zu tun.

»Habt ihr schon was Neues gefunden?«, wollte ich dieses Mal von Newt wissen. Sie liefen jetzt gut zwei Wochen im Labyrinth herum und fanden immer noch keinen Ausgang. Laut ihm stellte sich das auch als schwieriger heraus, als gedacht. Im Labyrinth gab es Abschnitte, die sich jede Nacht veränderten. Da konnte es nur ewig dauern, bis wir irgendwann die Freiheit erlangten.

Wie zu erwarten, schüttelte Newt den Kopf.

»Gar nichts. Dadurch, dass es sich jede Nacht verändert, brauchen wir ewig, um die alten Wege wieder zu finden.« Nach solchen Aussagen war ich wiederum froh, keine Läuferin zu sein. Trotzdem reizte mich der Gedanke, sich das Ganze Mal näher anzusehen. Was ich Newt natürlich nicht erzählte.

»Ihr schafft das sicher«, ermutigte ich ihn mit einem Lächeln. Wieso konnte ich anderen gut zu reden, aber mir selbst nicht? Es blieb auf ewig ein Rätsel.

Das Essen mit Newt neigte sich erneut dem Ende zu und es war Zeit für die Nacht. Wieder sammelte er die Schüsseln ein und machte sich zum Gehen bereit.

»Meinst du, du kannst Morgen wieder in den Garten? Die anderen vermissen dich schon«, sagte Newt noch mit einem sanften Lächeln. Ich wusste, dass er mich wieder dazu bringen wollte und insgeheim wollte ich auch irgendwie wieder raus.

»Mal schauen«, erwiderte ich mit einem gequälten Lächeln. Dieses Mal nahm ich mir wirklich vor, morgen wieder aufzustehen. Als Newt aber den Raum verließ und nach draußen ging, erstarb mein Lächeln wieder. Erschöpft lies ich mich in mein ungemütliches Kissen zurückfallen und hoffte darauf, ein bisschen ruhigen Schlaf zu finden.

Der nächste Morgen erwies sich jedoch als Enttäuschung. Ich durchlitt so viele Alpträume, dass ich Newt am nächsten Tag überhaupt nicht bemerkte und das Frühstück verließ, weshalb er mir meine Portion da lies. So ging das die weitere Woche auch. Ich vegetierte vor mich hin und war froh, es überhaupt zum Duschen zu schaffen. Dieses Spiel dauerte so lange an, bis Alby eines Morgens vor Wut kochend an meiner Zimmertür stand und seine Schläfen sogar pulsierten. Newt lies den Löffel im Haferbrei stecken und blickte erstaunt zum Anführer.

»Es reicht langsam, Kat. Ich habe viel Geduld mit dir gehabt und ständig versucht, dich über Newt dazu zu bringen, wieder zu arbeiten. Offensichtlich hat das nichts gebracht, aber das wird jetzt ein Ende haben. Heute wirst du definiti-«, platzte es aus ihm raus, doch ein Geräusch unterbrach ihn. Ein markerschütterndes Geräusch, das uns alle zusammenfahren lies. Ein Ton, der wie eine Sirene klang und etwas ankündigte.

Newt und Alby stürmten nach draußen. Ich blieb sitzen. Der Schock seiner Worte saß noch in meinen Knochen.


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Their Darkest Times | Newt x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt