Kapitel 26 • Einsicht •

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Ich schreckte auf, als die Tore sich wieder öffneten. Den übrigen Lichtern ging es nicht anders und sobald jeder von uns wieder wach war, rannten wir alle zu dem Punkt, an dem uns Rob, Dylan, Zack und Josh zurückgelassen hatten. Kalter Wind fegte uns entgegen, fröstelnd drückte ich mich enger an Newt. Seitdem gestrigen Abend wich ich meinem Freund nicht mehr von der Seite und auch er sah es nicht ein, sich weiter als nötig von mir zu entfernen. Sein Arm lag um meinen Schultern, beschützerisch vor der gefährlichen Außenwelt.

Aber als sich das Tor öffnete, sahen wir niemanden. Alles sah so aus wie sonst, wenn die Läufer ihren Tag starteten und das Labyrinth durchquerten. Eine ganze Weile sagte niemand etwas, vielleicht waren sie gerade auf dem Weg zu uns. Jedoch war mir gestern Abend bereits klar, dass es nicht so sein sollte.

»Glaubt ihr, sie haben überlebt?«, schluckte Clint und starrte in den menschenleeren Gang hinein. Nichts deutete daraufhin, dass bald vier junge Läufer zu uns zurückkehrten und eine ganze Rettungseinheit mit brachten. Sie blieben verschwunden auch nach der ersten halben Stunde, die wir tatenlos vor dem Tor verbrachten. Tränen traten in meinen Augen und dieses Mal konnte ich sie kaum zurückhalten. Aber es gab niemanden, der mich als Weichei bezeichnete oder sich über mich lustig machte. Insgeheim wusste jeder von uns Lichtern, was passiert sein musste und dass wir die vier Jungs nie wieder sahen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie das überleben konnten.

Newts Griff um meine Schulter wurde fester, der Abstand zwischen uns verringerte sich bis keine Luft mehr dazwischen passte.

»Geht wieder an die Arbeit«, rief Alby laut und deutlich, sodass es jeder gehört haben musste. Manche blieben am Tor stehen. Gally und die Baumeister gehörten zu den ersten, die sich wieder um ihren eigentlichen Job kümmerten. In Gallys Augen erkannte ich Trauer und Wut, vor allem als er zu Newt und mir blickte. Ich wusste zu gut, dass Gally meinem Freund die Schuld dafür gab. Nur hoffte ich, dass dies unsere Gruppe nicht noch mehr spaltete.

Nachdem die Meisten wieder ihren Alltag nachgingen, kam Alby auf uns zu. Auch Minho und Ben und ein paar andere Läufer gesellten sich zu uns.

»Hört Mal zu. Dieses ›Wir suchen gemeinsam nach einem Ausgang‹-Gehabe, legen wir erst einmal auf Eis. Die Läufer machen weiterhin ihren Job und suchen einen Weg, aber die anderen Lichter halten wir da raus und ihr beide tut es ihnen gleich, verstanden? Wir können es nicht riskieren, noch mehr Lichter zu verlieren. Fünf an einem Tag sind schon ein viel zu großer Verlust«, sagte Alby mit finsterer Miene. Unweigerlich musste ich an Marc denken, der den Weg durch den Schacht gesucht hatte. Erneut kam mir das Bild eines zweigeteilten Körpers in den Kopf und wieder wurde mir flau im Magen. Newts Blick aber, blieb unverändert. Er nickte nur nach Albys Worten.

»Verstanden«, erwiderte Newt.

Tröstend drückte ich Newts Hand fester.

»Wir suchen nach den Jungs. Vielleicht konnten sie sich verstecken«, sagte Ben. »Oder haben wirklich etwas gefunden«, fügte er hinzu, mit dem Blick auf mich gerichtet. Er wollte mich aufheitern, woraufhin ich dem ehemaligen Baumeister bloß ein schwaches Lächeln schenken konnte. Die Kraft hatte mich endgültig verlassen.

»Viel Glück«, seufzte Alby den Läufern zu. Minhos Gesicht sah nicht begeistert aus und er dachte wohl dasselbe, wie ich. Ich machte mir nur Sorgen darum, was sie wohl im Labyrinth finden würden, wenn sie nach den Jungs suchten. Es durfte nicht viel schöner sein, als der Anblick von Marc.

»Lass uns an die Arbeit«, murmelte ich Newt zu und hauchte ihm einen sanften Kuss auf die Wange. Ohne Wiederstand ließ er sich einfach mitziehen und ich bekam Angst, dass er wieder in ein dunkles Loch fiel. Auf dem Weg zu den Gärten schwiegen wir, bis ich es nicht mehr aushielt und ihn mitten auf dem Weg umarmte. Kurz verkrampfte sich sein Körper, aber nach wenigen Sekunden schlang auch er seine Arme um mich.

»Du hast nichts falsch gemacht«, hauchte ich gegen sein Oberteil. Ich wusste genau, dass auch Newt sich selbst für alles die Schuld gab.

»Hörst du? Du darfst niemals denken, dass das deine Schuld ist. Das ist es nicht«, fiepte ich leise und presste Newt noch fester an meinen Körper. Ich vernahm ein Schniefen seinerseits, das mir das Herz fast zerriss.

»Es tut mir Leid«, schluckte Newt.

Vehement schüttelte ich mit dem Kopf.

»Dir muss nichts Leid tun. Dich trifft keine Schuld, schon vergessen? Rede dir bitte niemals ein, dass du dafür verantwortlich bist«, seufzte ich. Bevor wir zu den Gärten gingen, hauchte ich ihm noch einen Kuss auf die Lippen und versicherte ihm ganz klar, dass ich immer für ihn da war und ihn niemand dafür hassen würde, was gestern und heute passiert war. Auch Zart und Adam versprachen ihm, dass sie so einen Mist nicht glaubten es nun Mal der Lauf der Dinge war. Das Leben auf der Lichtung war hart und wenn man nach der Freiheit suchte, gab es unweigerlich Opfer. Dazu hatten sich die Jungs auch freiwillig gemeldet, was ich Newt immer wieder beibringen musste. Das Frühstück ließen wir ausfallen, da wir an diesem Tag ohnehin kaum etwas runter bekommen hätten und Arbeit konnte uns gut ablenken. Besonders Newt legte sich ins Zeug und reagierte nicht Mal darauf, wenn ich ihn ansprach. Oder wenn andere ihn ansprachen.

Ich musste Newt am Nachmittag zu einer Pause zwingen und ihn dazu bringen, etwas zu trinken.

»Es bringt nichts, wenn du jetzt wie ein Tier schuftest«, murmelte ich erschöpft und trank selbst einen Schluck Wasser.

»Entschuldige. Ich wollte nur nicht über... heute Morgen nachdenken«, gestand er. Während der Pause hielt ich durchgehend seine Hand und tröstete meinen Freund mit einer langen Umarmung, was zumindest für diesen Zeitraum half.

»Kat?«, sagte er plötzlich, die Nase in meinen Haaren vergraben.

»Hm?«

»Ich liebe dich.«

Gerade eben kreiste noch meine Hand auf seinem Rücken entlang, aber bei diesen Worten stockte meine Bewegung abrupt. Mein Herz klopfte wie wild und um meinen Kopf herum wurde es ganz heiß. Ich kannte das Gefühl, wenn er sagte, dass er verliebt in mich war. Dass er derartige Gefühle für mich empfand, aber ein richtiges ›Ich liebe dich‹ war selbst für mich neu. Erst traute ich mich gar nicht, ihm in die Augen zu sehen. Dann hob ich den Kopf und sah doch noch zu ihm hoch.

»Ich liebe dich auch, Newt.«

Sogar seinen Herzschlag konnte ich spüren und war froh, dass die Aufregung nicht nur mich verrückt machte. Uns beiden war klar geworden, wie ernst es hier wirklich zu ging und wie schnell man einen Freund oder einen Partner verlieren konnte. Wir wollten das keinesfalls bei uns erleben.

Liebevoll küsste ich ihn auf die weichen Lippen und versprach damit, immer bei ihm zu sein und ihn niemals alleine zu lassen.


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Their Darkest Times | Newt x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt