Kapitel 20 • Gefühle •

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Die Zeit stand still. Mir war es egal, ob noch irgendwelche anderen Lichter um uns herum liefen oder ob Alby in der Nähe war. Mein Kopf fühlte sich an, wie leer gefegt und ich konnte den Moment in vollen Zügen genießen.

Es gab bloß Newt und mich.

Dass er diesen Kuss erwiderte, mich zurück küsste, brachte das Fass so zum Überlaufen, dass wirklich Tränen meinen Wangen hinunter liefen. Diese Sekunden waren so überwältigend, dass ich es nicht mehr zurückhalten konnte oder wollte. Alles brach über mir ein. Es grenzte an ein Wunder, dass ich auf den wackeligen Beinen noch stehen konnte, so aufgeregt fühlte ich mich. Ich spürte, wie sich Newts Hände auf meinen Hüften in mein T-Shirt krallten. Als er jedoch meine Tränen bemerkte, löste er zuerst den Kuss und lehnte mit der Stirn an meiner.

»Küsse ich so schlecht?«, sagte er zaghaft mit einem unsicheren Lächeln. Es brachte mich zum Grinsen, aber richtig sprechen konnte ich nicht wirklich, weswegen ich einfach den Kopf schüttelte, um ihm zu signalisieren, dass er nichts falsch machte. Sachte legte ich meine Arme um ihn und bettete meinen Kopf auf seiner Schulter. Dass dieses Gefühlsdrama endlich vorbei war, begriff ich kaum. Es war zu berauschend.

Elendig lange Minuten standen wir so am Baumstamm, ohne dass sich jemand rührte oder etwas sagte. Newt begann mit meinen Locken zu spielen und über meinen Hinterkopf zu streichen. Auch, wenn draußen die Griewer tobten und uns eine Gefahr nach der nächsten jagte, fühlte ich mich in diesem Moment so sicher und geborgen, wie noch nie.

»Ich habe dich wirklich gern, Kat«, hauchte Newt an meinem Ohr, was sich für mich wie Musik anfühlte. Dass wir uns schon vor diesem Labyrinth gekannt hatten, das tat nichts mehr zur Sache. Er und ich teilten dieselben Empfindungen, alles andere war gleich. Oder? Wir konnten uns auf den jeweils anderen konzentrieren und darauf, dass wir hier so gut wie möglich überlebten. Dass wir einen Ausgang fanden, den Gedanken hatte ich längst abgeschrieben. Die Tragödie mit Newt zeigte mir bloß all zu gut, dass ich mich um etwas wichtigeres kümmern musste. Darum, dass es meinem Freund gut ging. Falls er jetzt mein Freund war. Davon ging ich einfach aus, denn wenn dem nicht so sein sollte, dann konnte das wirklich peinlich und unschön enden.

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Nachdem sich meine Augen am Morgen öffneten, glaubte ich erst an den schönsten Traum meines Lebens. Ich hatte Newt meine Gefühle gestanden und er erwiderte sie sogar. Wie konnte etwas noch schöner sein? Als ich mich jedoch auf die Seite drehte und meine Wange an einer Brust wiederfand wusste ich, dass es sich nicht um ein Hirngespinst handelte. Ich lag in den Armen des blonden Ex-Läufers und lauschte, wie sich seine Brust regelmäßig hob und senkte. Ich spürte seinen ruhigen Herzschlag, der mich glatt zurück in die Traumwelt befördern konnte. Auf uns schmiegte sich die dünne Decke an unseren Körper und am liebsten wollte ich gar nicht mehr aufstehen. Zufrieden schlang ich meine Arme um Newts Taille und schloss abermals meine Augen. Auf uns wartete man nicht, hoffte ich jedenfalls. Da erlaubten wir uns, ein paar Minuten weiter zu dösen.

»Hmmh«, seufzte ich müde, was Newt aufwecken ließ. Unter meinen Armen regte er sich leicht. Leider musste ich daraufhin erneut meine Augen öffnen. Dafür gewann ich einen wundervollen Blick in seine braunen.

»Guten Morgen~«, gähnte er herzhaft.

»Guten Morgen«, murmelte ich zurück und begrüßte ihn mit einem weiteren Kuss. Einen deutlich einfacheren, als unseren Ersten. Ein seltsames Gefühl durchströmte meine ganze Seele, während ich hier mit ihm im Gehöft lag. Sonst schlief er stets in seiner Hängematte, weit weg von mir und dicht bei den anderen Jungs. Jetzt hatte er ein Dach über dem Kopf und musste nicht mehr das Schnarchen der männlichen Lichter ertragen.

»An das hier könnte ich mich gut gewöhnen«, sagte er grinsend, setzte sich auf und ließ seine Muskeln im Nackenbereich knacken. Es war etwas anderes, wenn man auf einem harten Boden schlief oder einer schaukelnden Hängematte. Trotzdem zog ich mittlerweile diesen Ort hier der Außenwelt vor. Hier herrschte Sicherheit und ich hatte meine Ruhe. Die ich endlich mit Newt teilen konnte. Teilen war ein schönes Wort.

Denn aus dem ersten Guten-Morgen-Kuss wurde schnell mehr, schafften es, die Umgebung um uns herum auszublenden. Der seichte Druck seiner weichen Lippen fühlte sich zu verlockend an, um sich dem einfach zu entziehen. Meine Hand wanderte auf seine Schulter, Newt selbst beugte sich weiter zu mir, sodass ich nach ein paar Sekunden rücklings auf dem Boden lag und er sich über mir abstützte.

»Wir sollten langsam...«, fing ich an, wurde jedoch mit weiteren Küssen unterbrochen.

»Zu den anderen?«, beendete Newt meinen Satz. Ich nickte eifrig, küsste ihn allerdings weiter. Wir brauchten zwei Anläufe, um uns fertig zu machen und uns ins Freie zu trauen, um der Arbeit ›Guten Tag‹ zu sagen. Auf die hatte ich nämlich absolut keine Lust und doch musste ich mich dazu zwingen, da ich mich auch nicht mit Alby anlegen wollte.

Newt und ich gehörten zu den letzten Lichtern, die zum Frühstück aufkreuzten und dementsprechend verfolgten uns neugierige Blicke. Verschwörerische kamen von Minho, der ein wissendes Grinsen aufsetzte, nachdem dieser uns in der Menge erkannte. Ich lief puterrot an, musste aber so tun, als ob nichts zwischen Newt und mir vorgefallen wäre. Alby hieß das sicher nicht gut, weswegen wir wohl erst mit ihm reden mussten. Er hielt sehr viel von unserer Arbeit und wenn wir uns durch ›albernes Pärchengetue‹ ablenken ließen, konnte Alby auch immer noch entscheiden, ob das in Ordnung war oder nicht. Einerseits verstand ich es, dass unser Anführer alles im grünen Bereich haben wolle. Er wollte, dass der Laden lief und jeder seinen Beitrag leistete. Wenn wir aber bis zu unserem Ende an diesem Ort eingesperrt sein sollten, dann wollte ich mir Newt ganz gewiss nicht von jemandem verbieten lassen. Auch nicht von Alby.

»Komm schon«, lenkte mich Newt ab und lotste mich zu Pfanne, damit wir uns Frühstück holen konnten. Im Grunde sah man uns bereits an, dass deutlich mehr passiert war, als ein paar einfache Umarmungen oder klärende Gespräche. Entweder sprach es aber niemand an oder die meisten kümmerten sich ohnehin um ihre Arbeit und interessierten sich nicht für so etwas.

»Gut gemacht, Alter«, begrüßte Minho dann plötzlich Newt im Vorbeigehen und klopfte seinem besten Kumpel auf die Schulter. Der Hüter der Läufer brachte seinen provisorischen Teller zum Abwasch und wollte sich bereit machen, wieder ziellos durch das Labyrinth zu sprinten. Newt versteifte sich ein wenig, was mir etwas Sorgen machte. Ging jedoch davon aus, dass es einfach ungewohnt war. Mein Freund zeigte bloß ein unsicheres Lächeln und nahm sich dann das Frühstück von unserem besten Koch. Als ich meines nahm, grinste mir Pfanne verschwörerisch zu. Wie konnte das so schnell die Runde machen?

Während die Meisten sich bereits zu ihren Jobs begaben, saßen Newt und ich zusammen mit den Köchen auf den Baumstämmen und genossen die Reste, welche die anderen Lichter für uns übrig ließen. Zart und Adam ackerten längst im Garten herum, weswegen ich mich mit dem Essen ein wenig beeilte. Außerdem wich ich Albys prüfenden Blicken aus und gab meine Schüssel schnell beim Abwasch ab. Auch Newt beeilte sich, sodass wir im schnellen Tempo bei den Gärten ankamen und direkt mithelfen konnten.

»Warte, ich helfe dir«, sagte Newt auf einmal und reichte mir aus dem selbst gebauten Unterstand eine Gartenharke, damit ich sie nicht selbst holen musste. Generell verhielt sich Newt heute äußerst fürsorglich und kümmerte sich hauptsächlich darum, dass es mir gut ging. Er achtete mehr darauf, dass er meine lieben Marienkäfer und Raupen nicht zertrat und dass ich nicht all zu oft ins Schwitzen kam. Heute strahlte die Sonne nämlich besonders arg auf uns nieder und brachte schon Mal die ein oder andere Pause mehr ein. Zart und Adam beobachteten uns mit hochgezogenen Augenbrauen, blickten oftmals zwischen uns hin und her. Trotzdem leisteten wir gute Arbeit und erbrachten dabei unseren Beitrag, damit die Lichtung aufblühte.

Am späten Nachmittag legten auch Newt und ich eine kleine Pause ein, lehnten an einem Baum und tranken Wasser aus Flaschen, die wir immer wieder selbst befüllen konnten, wenn uns danach war. Eines fiel mir heute aber besonders auf. Wenn ich meinen Blick über die Lichtung schweifen ließ, erkannte ich oft Alby, wie dieser über das trockene Grün schlenderte und uns häufig beobachtende Blicke zu warf. Der Anführer wollte sichergehen, dass Newt und ich uns auch auf die eigentliche Arbeit konzentrierten. Genau als ich hoffte, dass Alby es damit nicht übertrieb, steuerte er seinen Weg in unsere Richtung an und mir sank das Herz in die Hose.


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Their Darkest Times | Newt x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt