Kapitel 45

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Meine Armbanduhr zeigte 23.18 als ich die Haustüre aufschloss. Einer meiner Nachbaren kam mir mit einer riesigen Kiste aus dem Aufzug entgegen.
"Ich halte Ihnen die Türe auf", rief ich dem alten Mann zu, dessen Kopf hinter dem Karton nicht zu sehen war.
"Vielen Dank" Er trat hinaus und lief zu dem Auto, welches mit geöffnetem Kofferraum an der Strasse stand. Vorsichtig lehnte ich die Türe an, sodass er danach wieder hereinkommen konnte. Meine Füsse schmerzten vom langen Herumlaufen im Café. Ich entschied mich dennoch, die Treppen zu nehmen. Immerhin hatte ich mir vorgenommen, wieder mehr Sport zu treiben. Laut klopfte ich an die Türe und kramte in meiner Tasche nach dem Wohnungsschlüssel. Jin öffnete sie, noch bevor ich ihn gefunden hatte.
"Wie war dein Tag?", fragte ich ihn, während ich den Inhalt meines Beutels auf dem Tisch entleerte. Zwischen einer Packung Kaugummi und Taschentücher fand ich meinen Schlüssel schliesslich. Als ich ihn im Schrank verstaute, ging Jin in die Küche.
"Ganz normal, die Nachbarin wollte wissen, ob wir ihre Katze gesehen haben. Habe ich aber nicht. Ansonsten ist nicht viel passiert. Es hat noch Abendessen übrig, falls du noch hungrig bist."

Mittlerweile liess ich Jin öfters Zuhause. Wir hatten vereinbart, dass jeweils ein Drittel hier blieb und der Rest mich begleitete. Momentan lernte er viel, denn wir konnten ihn in einer Online Schule anmelden, sodass er später hoffentlich studieren kann. Er ist zwar nirgends registriert, aber auf bestimmten Schulen kriegt man einfach ein Formular ausgestellt, womit man sich bei den Universitäten einschreiben konnte. Technik versiert, wie Jin nun mal ist, möchte er natürlich in diesen Bereich gehen.

Ich setzte mich in der Küche an den Tisch und stopfte das Essen in mich. Nebenbei sass Jin mit Stift und Papier und löste Aufgaben. Still versanken wir in unseren jeweiligen Gedanken. Das Telefon auf dem Tisch vibrierte.

"Schlaft gut meine beiden Lieblinge"

"Du auch <3", antwortete ich und tippte den Pfeil zurück. Trübsinnig betrachtete ich die letzte Nachricht, die ich von Hisoka erhalten hatte. Bis dann meine Schöne. Seit York New hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Und das war einige Monate her. Ich vertrieb die Gedanken an ihn und öffnete eine andere App. Eine Weile scrollte ich auf Social Media herum, doch wirklich spannendes fand ich nicht.
"Wollen wir uns nachher einen Film ansehen?"
"Klar", grinste der Junge.
"Darf ich auswählen?" Mit grossen Augen blickte er mich an.
"Okay. Aber nächstes Mal bin ich dran."
"Ich stelle schon mal alles ein." Jin sprang vom Stuhl. Gleich darauf ertönte das Geräusch des Fernsehers. Der Junge zappte durch die Kanäle bis er etwas geeignetes gefunden hatte. Nachdem ich das Geschirr gespült hatte, gesellte ich mich zu ihm. Ich schnappte mir die Decke vom Rand und kuschelte mich darin ein. Im Film ging es um einen Geheimagenten, der mit vielen kleinen Tricks die bösesten Bösewichte hinter Gitter brachte. Es war sehr amüsant anzusehen.

Als das nächste Mal eine Werbepause kam, stellte ich den Fernseher auf stumm und begab mich in die Küche. Ein leises Klopfen kam von der Türe.
"Ich mach auf", rief Jin. Ich füllte mir ein Glas Wasser.
"Akane?" Verwirrt über Jins verstörte Stimme und weil er mich nicht wie abgemacht Misaki nannte, trat ich in den Gang hinaus. Der Anblick erschütterte mich bis ins Mark. Hisoka, der gerademal zwei Schritte in die Wohnung gelaufen war, brach zusammen. Jin schaffte es gerade noch, seinen Kopf vor der harten Kollision mit dem Boden zu bewahren. Röchelnd lag Hisoka auf dem Boden im Eingang. Ich löste mich endlich aus der Schockstarre.
"Jin schliess sofort die Türe!", befahl ich dem Jungen sofort und er folgte. Auf der Stelle war ich an der Seite des Magiers und versuchte seine Verletzungen nach Dringlichkeit zu ordnen. Eine Hand an seine Stirn gelegt, fühlte ich seine heisse Haut. Er hatte Fieber, was bestimmt von einer Infektion seiner Wunden herrührte.

"Jin, teil dich auf! Mit 20 Prozent überwachst du die Umgebung. Wenn sich jemand suspektes nähert, gib mir Bescheid. Stecke zehn Prozent ins Haus und lasse niemanden rein, der nicht hier wohnt. Der Körper bleibt mit den restlichen 70 hier und hilft mir!" Es lösten sich zwei Abbildungen aus dem Körper. Eine verschwand sogleich im Boden, die andere rannte durch die Türe hinaus.
"Ich brauche den Arztkoffer aus dem Bad, Alkohol und Iod als Desinfektionsmittel, eine Schale mit warmem und eine mit kaltem Wasser. Ich hole Handtücher und Medizin!" Keine Minute später kümmerten wir uns gemeinsam um den Verwundeten. Ich schnitt mit einer grossen Schere seine Hose auf. Die schwerste Wunde war der seltsam geformte Biss an seinem Unterschenkel. Mit Hilfe von Jins Nen bauten wir die Gewebeschichten wieder auf, bis ein Verband reichte um ihn zu behandeln. Dann nahmen wir seinen Rücken genauer unter die Lupe. Die Kleidung war mit seiner Haut verschmolzen. Deswegen schnitt ich den verbundenen Teil heraus. Mit kaltem Wasser weichten wir ein was wir konnten.
"Jin, kannst du ihn bitte in die gespiegelte Realität ziehen, sobald er sein Bewusstsein wieder erlangen würde? Ich will nicht, dass er mittendrin aufwacht und die Schmerzen fühlen muss. Er hat schon genug gelitten." Der Junge nickte verständnisvoll. Die Fasern des blauen Crop Tops liessen sich nicht von der blasenbildenden Haut ablösen. Ich schluckte hart und materialisierte ein Messer. Ich liess den Alkohol über die Klinge laufen und setzte die Spitze dann am Rand der Verbrennung an.
"Tut mir leid Hisoka", murmelte ich. Dann drückte ich sie in sein Fleisch.

Vorsichtig löste ich die Schicht ab. Zum Teil war sie verkrustet, sodass immer mehr Blut seinen Rücken entlang lief. Ich legte eine kurze Pause ein. Den Zeigefinger auf seinen Oberschenkel gedrückt, half ich bei der entstehung neuer Blutbestandteile mit. So konnte ich sicher gehen, dass er während meiner Behandlung nicht verblutete. Der Gestank von Blut, verbrannter Haut und Kleidung, vermischte sich mit dem Geruch von Erbrochenem. Hisoka atmete noch immer schwer.
"Kannst du ihm in dieser Position den Mund auswaschen?"
"Geht glaube ich gerade noch", antwortete der Kleine.
Während ich Stück für Stück seinen Rücken von dem Stoff befreite, kümmerte sich Jin um seine Atmung.
"Sein Kehlkopf klemmt teilweise die Luftröhre ab. Wenn du ihn brichst und korrekt materialisiest, sollte er wieder normal atmen können." Ich pausierte meine Arbeit und warf einen Blick auf den dunkelroten Abdruck um Hisokas Hals.
"Dann lass uns das zuerst machen", stimmte ich zu.

Ich legte meine Hände an seine Kehle, konnte mich aber nicht überwinden zuzudrücken.
"Meister?"
"Ich kann das nicht...", flüsterte uch den Tränen nahe. Hisoka in diesem Zustand zu sehen war schon grausam genug. Ihm jetzt noch mehr Schaden zuzufügen brachte ich nicht übers Herz.
"Mach du das!", befahl ich dem Jungen.
"Bitte...", hauchte ich kraftlos. Dieser löste meine Hände vorsichtig vom Hals des Rothaarigen. Das darauffolgende Knacken liess mich zusammenzucken. Eine Träne rollte über meine Wange und meine Sicht verschwamm, als ich meine Finger wieder an seine Haut legte. Den gebrochenen Knochen fühlte ich ganz genau darunter.
"Jetzt ist nicht die Zeit zu weinen" Die Augen geschlossen nickte ich und machte mich ans Werk. Kaum hatte ich seinen Kehlkopf wiederhergestellt, löste sich sein röchelnder Atem. Sogleich sog der Zauberer die Luft tief in seine Lungen. Wenigstens ein Problem hatten wir behoben.

Still him... // Hisoka ff HxHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt