Kapitel 57

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Hisoka ging es im Laufe der Woche immer besser. Sein Rücken war komplett verheilt und auch bei den restlichen Wunden gab es kaum Komplikationen. Nachdem er sein Fieber ausgeschlafen hatte, machte er auch mental den Eindruck, wieder der alte zu sein. Das merkte ich vor allem an den stetigen Sticheleien, die ich mir anhören musste. Der Rothaarige hatte sich bei mir eingenistet, nachdem er mir nachdrücklich versichert hatte, dass sie sein Appartement verwüstet hatten und sehr wahrscheinlich dort auf irgendeine Art Überwachung betrieben. Aufgrund dessen und weil ich seine Wunden noch unter Beobachtung halten wollte, wohnte er also vorübergehend bei mir. Leider musste ich mir eingestehen, dass ich es mir schöner vorgestellt hatte. Müde wälzte ich mich aus dem Bett und zog mich an. Kichrio sass bereits auf dem Sofa und blätterte in einem Lehrbuch herum.
"Er hat sich kurz nach Mitternacht vom Acker gemacht", sagte der Kleine ohne aufzusehen. Ich nahm es einfach so hin. Das ging schon die ganze Zeit so. Der Zauberer verschwand immer mal wieder, ohne Bescheid zu geben. Das auch mitten in der Nacht. Wenn er dann wieder kam, hüllte er sich in Schweigen. So war es auch gestern Abend. Wo er gestern noch gelegen hatte, fand ich heute früh eine gähnende Leere. Während ich mich für den Tag bereit machte, hörte ich ein rhythmisches Klopfen. Für mich ein sehr bekanntes Geräusch, das nur von der Kollision eines Bettgestells mit der Wand herrühren konnte. Der Vibration nach, kam es von unten. Direkt unter mir lebte Chieko. Eine blonde Schönheit, die entgegen der Bedeutung ihres Namens "Mit Weisheit gesegnetes Kind", strohdumm war. Aber so wie sie aussah, war es nicht verwunderlich, dass ihr One-Night Stand über die Nacht geblieben war und sie sich auch heute morgen noch vergnügten. Es störte mich nicht, dass sie mit jemandem schlief. Mir machte es aber zu schaffen, dass sie lauthals Hisokas Namen vor sich herstöhnte. Es war ja klar, dass ich keinen Anspruch auf ihn hatte. Jedoch fand ich es echt dreist, dass er mich fast darum anbettelte, ihm Unterschlupf zu gewähren, um nebenbei mit meiner Nachbarin zu vögeln.

Erstaunlicherweise trat Hisoka gut gelaunt aus dem Lift heraus, als ich die Wohnungstüre abschloss, um zur Arbeit zu gehen.
"Lässt du mich noch hinein?", fragte er mit seinem üblich verschmitzten Grinsen.
"Nein", antwortete ich und liess den Hausschlüssel in meine Tasche fallen.
"Warum nicht?" Man spürte sogleich, wie seine Stimmung umschlug. Mit langen Schritten ging ich an ihm vorbei, doch er packte meinen Arm. Ich kratzte mich mit der anderen Hand am Hals.
"Ich will, dass du gehst. Ich muss zur Arbeit."
"Diese Leute überwachen aber meine Wohnung", versuchte er auf mich einzureden. Lächelnd wand ich mich an ihn.
"Dann lass dir etwas einfallen." Daraufhin trat ich in den Aufzug. Wir starrten uns in die Augen, er feindselig, ich desinteressiert. So wartete ich darauf, dass sich die Türen trafen. Doch bevor sie das taten, hielt eine grosse Hand sie auf. Die metallenen Platten öffneten sich, sodass der Rothaarige wieder in meinem Sichtfeld erschien.
"Bist du wütend, weil ich mit deiner Nachbarin geschlafen habe?" Unvermittelt starrte ich ihn an. Das ist ja wohl klar. Darauf muss ich ihm keine Antwort geben, dachte ich. Hisoka kam auf mich zu, stellte sich ganz nah vor mich.
"Machst du dir immernoch Hoffnungen, dass wir eine Beziehung eingehen könnten?" Ich versuchte, den Schmerz durch meine Reaktion nicht ganz zu verraten. Ich hasste, das Spielzeug seiner narzisstischen Persönlichkeit zu sein. Und dennoch kam ich nicht von ihm los. Seine Sucht mich zu beherrschen und mein Verlangen, von ihm beherrscht zu werden kollidierten wie so oft mit meinem Verstand.

Ich schluckte die Wut und Trauer herunter, presste dann den Knopf fürs Erdgeschoss.
"Wenn du mir nichts anderes zu sagen hast, werde ich jetzt zur Arbeit gehen." Während uns der Lift nach unten schaffte, presste mich Hisoka plötzlich an die Wand. Seine warmen Lippen prallten gegen meine. Ich wollte ihn wegstossen, doch seine schlanken Finger packten meine Handgelenke und beförderte sie über meinen Kopf. Als er sich endlich löste und ich nach Luft schnappen konnte, brachte er seinen Mund an mein Ohr.
"Sag, dass du mich liebst."
"Vergiss es!", zischte ich.
"Ach, komm schon", schnurrte der Magier und leckte sinnlich von meinem Ohr hinunter zum Hals. Dort vergruben sich seine Zähne in meiner Haut und er sog leicht an ihr. Ich musste mich stark zusammenreissen, um vor ihm zu verbergen, wie sehr mich diese Aktion gerade angeturnt hatte. Dazu rief ich mir in Erinnerung zurück, dass er noch heute Morgen seinen Schwanz in einer anderen versenkt hatte.
"Ich muss zur Arbeit", probierte ich mich aus seinem Griff zu befreien. Aber er hatte mich fest unter Kontrolle.
"Sag, dass du mich liebst. Dann lasse ich dich gehen"
"Ich liebe dich!", heuchelte ich im sarkastischsten Ton, den ich beherrschte.
"Das geht noch besser", grinste er überheblich. Bewusst, dass ich nicht anders aus dieser Situation entkommen konnte, gab ich schlussendlich nach. Ich sah auf den Boden, als ich es sagte.
"Ich liebe dich." Eine Hand fand ihren Weg an mein Kinn und drückte es so hoch, dass ich ihn ansehen musste.
"Wie war das?" Wenn es nach ihm ginge, würde dieses Spielchen auf ewig so weiter gehen. Also legte ich ein Lächeln auf und den Kopf schief. Wenn ich mein Herz für eine Sekunde öffnete und es gleich wieder verschloss, konnte der Schaden ja nicht sehr gross sein, oder?
"Ich liebe dich", hauchte ich. Hisoka genoss den Moment sichtlich. Dann wandte er sich mit einem überlegenen Grinsen ab und stellte sich mit dem Rücken zu mir. Ein Knurren entwich meiner Kehle.
"Sadist!" Erst danach wurde mir das Ausmass dieser Erpressung klar. Warum tut es so weh? Seine abweisende Geste verdeutlichte mir unser Verhältnis noch stärker. Ich schluckte den Kloss in meinem Hals herunter und blinzelte die aufkommenden Tränen weg. Wie sollte ich von ihm loskommen, wenn ich jedes Mal so auf Ablehnung reagiere. Vielleicht lag es auch daran, dass ich kein klares Nein von ihm bekam. Schon wieder war ich in dieses Psychospielchen verwickelt.

Der Lift öffnete sich und ich folgte dem Rothaarigen aus dem Wohnhaus. Wir gingen still nebeneinander her, bis Hisoka an der Hauptstrasse nach rechts ging, als ich nach links musste.
"Hisoka"
"Hmm..."
"Wo gehst du jetzt hin?"
"Ich werde mir etwas einfallen lassen!", antwortete er mit einem Grinsen. Doch in seinen Augen sah ich noch etwas, das ich nicht zuordnen konnte. Wut? Trauer? Verachtung? Ich konnte es nicht benennen, aber es war da. Und es liess ihn noch gefährlicher erscheinen.

Still him... // Hisoka ff HxHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt