Kapitel 53

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Während sich der Kleine um das bestimmt angebrannte Essen kümmerte, blieb ich auf dem Sofa sitzen. Vielleicht werde ich Hisoka irgendwann einmal verstehen, dachte ich bedrückt und rutschte im Sitz herunter. Vor allem seltsam, dass er über Illumi gesprochen hatte. Für mich jedenfalls. Ich hatte den Assassinen nicht mehr gesehen, seit ich vor dem charismatischen Zauberer geflohen war. Aber immerhin hatte ich keine Ahnung, was Hisoka in der letzten Zeit so getrieben hatte. Könnte ja sein, dass sie sich das ein oder andere Mal getroffen hatten und zusammen sonst was gemacht hatten. Angespannt lehnte ich meinen Kopf an. Wegen des langen Arbeitstages und des plötzlichen Würgeangriffs pochte mein Gehirn. Ich schloss die Augen und versuchte, den Schmerz durch meine Atmung zu lindern. Es half nur teilweise. Mich liess die Erinnerung nicht los, wie Hisoka verwundet durch meine Tür stolperte. Natürlich wunderte es mich warum sie ihm das angetan hatten. Aber so wie ich den Magier kannte, würde er mir sowieso nichts erzählen. 

"Misaki?" Als ich meine Augen öffnete, stand Jin vor mir und presste entschuldigend die Lippen aufeinander.
"Das ist nicht mehr geniessbar und ich habe die letzten Vorräte aufgebraucht."
"Nicht schlimm, ich bin ja daran Schuld. Dabei habe ich mir noch überlegt, ob ich einkaufen gehen sollte. Sollen wir uns was bestellen?" Jin bewegte seinen Kopf leicht hoch und runter.
"Pizza?", fragte er und versuchte seine Hoffnung auf die feine Speise nicht all zu sehr zu zeigen. Ich kniff nachdenklich die Augen zusammen.
"Da überkommt mir doch glatt der Eindruck, dass du das Essen extra anbrennen lassen hast!" Jins braune Augen wurden grösser.
"Nein, würde ich niemals tun!", widersprach er lautstark, was mir ein Lachen aufs Gesicht zauberte.
"Na gut, dann Pizza."

Wir waren schon beinahe verhungert, als der Bote unsere Bestellung überbrachte. Ich drückte ihm Geld in die Hand, während Jin sich schon die Kartonschachteln geschnappt hatte und mit ihnen ins Wohnzimmer verschwunden war.
"Auf Wiedersehen", lächelte ich und schloss die Haustüre.
"Misakiiiiii, komm schon. Ich habe Hunger!", meckerte der Kleine aus dem anderen Raum.
"Und ich erst...", lachte ich und gesellte mich zu ihm. Er sass bereits am Tisch und zappelte rastlos mit den Füssen. Sobald ich mich auf den Stuhl plumsen liess, schlang Jin auch schon das erste Stück herunter. Ich grinste und widmete mich dann meiner Quattro Stagioni. Zwischen grossen Bissen erzählte mir der Junge, was er heute gelernt hatte. Interessiert hörte ich ihm zu, obwohl mir viele Begriffe fremd waren.

Auf einmal hörte er auf zu reden und legte sein Pizzastück in die Kartonschachtel zurück. Dann stand er ohne ein Wort zu sagen auf, wusch seine Hände und schlüpfte in mein Schlafzimmer. Kauend fragte ich mich was los war. Doch Jin kam wieder aus dem Zimmer und setzte sich zurück an den Tisch.
"Ich will so etwas nicht sehen!", murmelte er verärgert und nahm sein angefangenes Essen wieder zur Hand.
"Was war denn?" Ich hob mein Glas Wasser an die Lippen und trank einen Schluck. Der Grauhaarige atmete tief ein und mit einem Seufzer aus.
"Nichts wichtiges"
"Ist Hisoka aufgewacht?"
"Nein, er ist noch in der gespiegelten Realität."
"Aber er weiss das nicht"
"Nein"
"Gut"
"Aber ich habe ihn ins Notfallzimmer gebracht, weil mir seine... ich nenne es mal Anpassungen, nicht gefallen." Mit einem verwirrten Ausdruck nickte ich.

Eine angenehme Stille legte sich über uns, bis uns eine harmonische Männerstimme unterbrach.
"Wish I could fly through a portal, and go beyond the sun", plärrte es laut aus meinem Telefon. Jin verdrehte sogleich die Augen, schob den Rest seines Essens in den Mund und erhob sich.
"Du bleibst hier! Ian will bestimmt wissen wie es dir geht."
"Denkst du das wirklich?", fragte der Junge und rollte erneut mit den Augen.
"Und übrigens muss ich sehr dringend aufs Klo", verteidigte er sich und verschwand im Bad. Ich schüttelte verständnislos den Kopf. Dann schnappte ich mein Handy. Kaum war mein Finger über die grüne Anruf-Annehmen-Taste geschwebt, ertönte auch schon die Stimme meines Freundes aus dem Lautsprecher.
"Misaki, endlich erreiche ich dich!", schrie er ins Mikrofon. Ich hörte ihn jedoch kaum, da im Hintergrund extrem laute Musik spielte.
"Hallo Ian, freut mich auch von dir zu hören. Was ist denn los?"
"Was? Ich versteh dich kaum, die Musik ist so laut!" Genervt runzelte ich die Stirn. Warum kann er denn nicht an einem Ort telefonieren, an welchem es ruhiger war. Ich wiederholte mich und wartete auf eine Antwort. Vergebens. Gereizt rieb ich mir die Schläfen. Das Pochen war gerade in mein Gehirn zurückgekehrt und mein Kopf schien zu explodieren.
"Was ist denn los?" Wieder keine Antwort. Nur die ohrenbetäubenden Klänge einer zweitklassigen Rockband.
"Misaki?", schrie mein Freund wieder in den Hörer.
"Jaaaa!?" Meine Laune sank mit jeder Sekunde, die Ian damit vergeudete, mir durch das Telefon zu sagen, dass er mich nicht verstand, anstatt sich an einen anderen Ort zu begeben. Verärgert starrte ich den Bildschirm meines Smartphones an.
"Ich suche mal nach einem stillen Ecken!", drang seine Stimme aus den Lautsprechern.
"Hättest du ja auch schon können, bevor du mir anrufst", murmelte ich. Ich spürte Jins Bewusstsein neben mir. Daraufhin ertönte die Toilettenspülung. Aber anstatt mir Gesellschaft zu leisten, verschwand er in meinem Schlafzimmer.

"Was?" Endlich war Ian an einem ruhigeren Platz angekommen.
"Nichts. Warum rufst du an?"
"Achso, ja. Gute Neuigkeiten! Ich habe den Deal mit den Yukiharas aushandeln können. Das gibt einen fetten Bonus", lachte er erfreut. Deswegen ruft er an... von einem Konzert... mitten in der Nacht!
"Gratuliere" Die Freude, welche in meiner Stimme mitschwang, erreichte meine Augen nicht. Ich war müde und wollte einfach nur ins Bett.
"Und, wie geht es Kichiro?"
"Gut, er hat die Prüfung vorgestern bestanden. Jetzt hat er nur noch vier weitere bis Ende Sommer." Ich hörte Ian lachen. Verwundert schnaubte ich. Was war denn daran lustig?
"Na klar nehme ich auch noch ein Bier! Wartet noch kurz bin gleich wieder da!" Es herrschte Stille in der Leitung.
"Was hast du gesagt?"
"Ich habe keine Lust mehr...", murrte ich zu mir selbst. Mit der linken Hand massierte ich mir weiter die Schläfen.
"Was?"
"Was was? Hör mir doch einfach zu, dann weisst du was!", giftete ich zurück. Die Kopfschmerzen machten es mir schwierig, klare Gedanken zu fassen.
"Entschuldige" Der Unterton von tiefer Reue machte mich nur noch wütender. Ich seufzte und schluckte den Zorn herunter.
"Ich bin müde. Lass uns ein anderes Mal reden." Meine Stimme war so energielos, dass ich Angst haben musste, dass sie versagte.
"Okay. Dann schlaf gut. Und sag Kichiro Hallo von mir."
"Mach ich. Tschüss." Ich drückte auf die Auflegen-Taste.
"Tschau. Lieb di-" Das Piepen in der Leitung unterbrach ihn. Ich atmete tief durch. Langsam liess ich meinen Kopf auf den Tisch sinken.

Der Junge trat aus meinem Schlafzimmer heraus.
"Akane, ich glaube ich brauche deine Hilfe"
"Jin"
"Ja Meister." Die Sorge in seiner Stimme war deutlich herauszuhören.
"Geh bitte zum 24h-Supermarkt und kauf Eis... und Kuchen... und was du sonst noch so magst. Ich brauche etwas für meine Nerven. In meiner Brieftasche hat es noch Kleingeld."
"Geht es ihnen gut?"
"Ja, bitte geh einfach"
"Okay, aber ich kriege Hisoka nicht mehr aus der gespiegelten Realität heraus." Mit halb geschlossenen Augen hob ich den Kopf an.
"Huh?"
"Naja, ich wollte mal nach ihm sehen, weil er noch immer da ist. Aber ich kann ihn nicht zurückholen. Ich weiss auch nicht warum."
"Dann schick mich zu ihm hinein. Ich seh mal nach." Der Junge nickte. Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht. Danach machte ich mich zum Sofa auf. Ich machte es mir gemütlich und spürte Jins kühlen Finger an meiner Stirn, bevor mich die bekannte Dunkelheit in sich sog.

Still him... // Hisoka ff HxHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt