In der Nacht schlief ich schlecht und träumte wirr. Die Zweifel meinen Vater betreffend vermischten sich mit einem Paar eisblauer Augen und dunklen Wäldern zu einem Albtraum, der mich am frühen Morgen verschwitzt hochfahren ließ. Die Decke hatte sich um meine Beine gewickelt, mein zweites Kissen lag auf dem Boden. Seufzend kletterte ich aus dem Bett und stellte mich für eine halbe Stunde unter die heiße Dusche. Seit ich an diese Akademie gekommen war, schien alles, was geschah, kompliziert zu sein. Und für komplizierte Dinge fehlte mir einfach die Zeit. Vor allem, weil ich mich auf den Unterricht konzentrieren musste, um mit dem Stoff hinterher zu kommen. Von den Hausaufgaben einmal ganz zu schweigen.
Flora erschien an diesem Tag nicht zum Unterricht und auch sonst war sie nicht zu aufzufinden. Wahrscheinlich ging es ihr doch nicht so gut wie sie behauptet hatte. Meine Sorge um sie hielt sich in Grenzen, aber mir wollte der Vorfall nicht aus dem Kopf gehen. Am Donnerstagnachmittag beschloss ich, endlich in der Bibliothek nach Hinweisen zu Raven Dragoni zu suchen. Aber nachdem ich Stunde um Stunde, mehr oder weniger erfolglos staubige Bücher durchgeblättert hatte und schließlich sogar Mara und Ethan um Hilfe gebeten hatte, gab ich es auf. Zum gefühlt tausendsten Mal seufzte ich – inzwischen genervt – und legte das Buch, das ich gerade durchgeblättert hatte, auf den Tisch, auf dem sich die Wälzer nur so stapelten. Müde rieb ich mir die Augen. Dämmriges Licht fiel durch das große Fenster. Um mir nicht die Augen zu verderben, knipste ich die kleine Leselampe neben mir an und starrte auf meine Notizen. Die Angaben, die ich zu seiner Person hatte finden können, waren unterschiedlich und man schien sich nicht einigen zu können, ob er jetzt fünfzig oder hundertfünfzig Jahre alt war. Letzteres erschien mir eher unwahrscheinlich. Soweit ich gelernt hatte, wurden wir Elementarys nicht besonders viel älter als normale Menschen. Seine Augenfarbe wurde entweder als schwarz oder rot angegeben, seine Elemente waren Erde und Feuer. Das hatten mehrere Quellen bestätigt. Ansonsten beschrieben die Bücher ihn als gnadenlosen und machtvollen Anführer, der angeblich mit Gorgonenblut experimentierte. Bis vor siebzehn Jahren hatte er Angriffe gegen unterschiedliche Einrichtungen der Elementarys durchgeführt. Darunter auch diese Akademie, bevor er von der Bildfläche verschwand. Das war's. Mehr hatte ich beim besten Willen nicht finden können. Als mir vor Müdigkeit beinahe die Augen zufielen, klappte ich das Notizheft zu, steckte es in meine Tasche, ließ die Bücher auf dem Tisch liegen und wandelte im Halbschlaf zum Ausgang.
Die alte Bibliothekarin Mrs. Finch lächelte mir zu. Ein prüfender Blick auf die Uhr über dem Eingangstresen sagte mir, dass ich noch genau zwei Minuten bis zur Nachtruhe hatte. Ich würde es niemals pünktlich in mein Zimmer schaffen. Niemals. Da blieb mir nur die Hoffnung, dass heute meine Mum Aufsicht hatte. Schnell schloss ich die mächtige Tür der Bibliothek hinter mir und rannte die Treppe hinunter. Ausnahmsweise meinte das Schicksal es gut mit mir und ich gelangte auf mein Zimmer ohne gesehen zu werden. Todmüde zog ich mich um und kroch unter die Decke. Ich war kaum eingeschlafen, da riss mich der Wecker schon wieder aus meinen Träumen. Zumindest kam es mir so vor. Ich griff nach meinem Handy, um das nervige Piepen abzustellen.
07:12
Ich blinzelte. Bitte was? Ich versicherte mich, mich nicht verguckt zu haben, ehe der Schreck jeglichen Rest von Müdigkeit verscheuchte. Ich hatte verschlafen. Erneut. Das war mein Notfall-Wecker gewesen.
„Verdammt, verdammt, verdammt", fluchte ich. Blitzschnell schlüpfte ich kurze Jeans, streifte mein dunkelrotes Lieblingstop über und fuhr mir mit den Fingern durch die Haare. Dann schnappte ich mir meine Tasche und rannte los. Mein Magen knurrte hungrig. Das Frühstück würde allerdings ausfallen müssen. Ich hätte mich selbst ohrfeigen können.
Als ich gerade um die Ecke Richtung Ausgang sprintete, ließen eindringliche Stimmen mich abrupt innehalten.
„Mrs. Frey, es ist einfach schrecklich", sagte jemand. Vorsichtig spähte ich in den Gang. Dort standen Direktorin Frey und eine Lehrerin, die ich bisher nur vom Sehen kannte.
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Academy for Elementarys 1 - Verborgene Kräfte
Fantasy》„Hannah Windemear." Ich zuckte zusammen. Noch nie hatte sich mein Name so angehört, als würde ich mit Eiswasser übergossen werden.《 Nun ja, ich hatte auch noch nie jemandem mit Magie fast meine Tasche ins Gesicht geschleudert. Abgesehen davon, dass...