3. Kapitel

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Tamaras PoV

Vor dem Spiegel in unserem Bad stehend, erneuerte ich geübt den blassrosa Lippenstift. Zum Abschied warf ich meinem Antlitz noch einen Luftkuss zu – so konnte ich mich unter Leute wagen. Ich warf noch ein Blick auf mein Handy, als von Jan eine Nachricht kam „komme nicht mehr nach Hause. Bitte nimm den Bus rein". Ich unterdrückte ein Seufzen – noch nicht mal an unseren 10. Hochzeitstag konnte er sich von der Arbeit losreißen. Aber er machte halt keine halben Sachen – wenn ich ehrlich bin, war das eines der Eigenschaften, die ich am meisten an ihm schätzte. Doch bei solchen Ereignissen wäre es schön, selbst an erster Stelle zu kommen.

Ich packte die Tasche und machte mich auf den Weg in unser Restaurant, direkt am See. Mein Sommerkleid schwang bei jeden Schritt und ich sog tief die Luft in meine Lunge. Ein richtig schöner Tag – perfekt, um draußen zu sitzen und gemütlich das ein oder andere Gläschen Wein zu trinken. Sobald ich ankam, fragte ich nach einem Platz auf der Terrasse und hatte Glück, dass sie meinen Wunsch erfüllen konnten.

Ich saß gerade ein paar Minuten und überlegte, ob ich schon etwas zu trinken bestellen sollte. Dann ließ sich ungefragt ein Mann gegenüber von mir nieder „ich würde Ihnen raten schon einmal eine Vorspeise zu bestellen – ihr Ehepartner verspätet sich etwas." Ich war so erstaunt, dass ich aus dem Blinzeln nicht mehr herauskam. Da war er wieder – der Fremde, der letzte Woche einfach so in mein Büro gestürmt war. Jetzt saß er hier als wäre es sein Recht. Das konnte ich doch nicht einfach so auf mir sitzen lassen „was machen Sie hier?" krächzte ich unbeholfen und ärgerte mich im gleichen Moment über meine Unsicherheit.

„Ich dachte, dass unsere erste... Begegnung vielleicht etwas unglücklich gelaufen ist. Warum wollen wir nicht noch einmal von vorne anfangen?" Unsicher schaute ich ihn an und lehnte mich zurück. Doch in seinem Gesicht war nichts mehr von der Wut zu sehen, die in meinen Büro überhand genommen hat. Dazu kam, dass um uns herum genug Leute saßen, die im Falle eines Falles eingreifen konnten.

„Wer sind Sie überhaupt und was wollen Sie?"

„Das sind zwei nicht ganz einfache Fragen" meinte er und lehnte sich zurück. Ich fand sie eigentlich überhaupt nicht schwer und voll und ganz nachvollziehbar. Deshalb erwiderte ich nichts und sah ihn abwartend an. „Mein Name ist Arvid Waldmann. Und ich möchte Sie näher kennen lernen."

Interessant. Nachdenklich musterte ich ihn, während ich mir meine nächste Frage überlegte. Wie beim letzten Mal trug er ein Hemd, dieses war allerdings kurzärmlig. Dadurch war sein Bizeps zu sehen, der auf regelmäßiges Training hinwies. Nicht, dass ich darauf geachtet hätte - es war einfach auffallend.

In dem Moment kam der Kellner, um meine Bestellung aufzunehmen. Ich bestellte eine Flasche leichten Weißwein, ein Wasser und eine Garnelen-Platte als Vorspeise. „Starren Sie sie nicht so an" knurrte mein Gegenüber den Kellner an. Der beeilte sich dann mit den Notizen und hastete mit gesenkten Kopf davon.

„Musste das sein?" fragte ich Arvid.

Er zog die Mundwinkel hoch und entblößte seine Zähne „das war mehr als nötig." Warum war er nur so besitzergreifend? Ich versuchte ihn einfach zu ignorieren und tat so, als müsste ich die Speisekarte sehr genau studieren, obwohl ich sie fast auswendig kannte. Irgendwann siegte dann doch die Neugierde und ich stellte die Frage laut.

Bevor er antwortete konnte, kam der Kellner mit den bestellten Getränken zurück. Bemüht, mich nicht anzusehen, schenkte er mir das Wasser und den Wein ein. Ich unterdrückte mir ein Kichern – der war sehr eingeschüchtert. Ich konnte es ihm nicht verdenken – ich weiß noch, wie es war, als Arvids Wut auf mich gerichtet war. Dann rief ich mich selbst zur Ordnung. Ich sollte mich nicht über die aktuelle Situation amüsieren. Immerhin könnte Jan jeden Moment kommen. Eine Begegnung der beiden könnte böse enden. Beim Gedanken daran konnte ich ein Erschaudern nicht unterdrücken.

Mein Gegenüber schaute mich nachdenklich an und meinte „ich habe es gerne, wenn jeder genau weiß wo sein Platz ist und was er machen darf und was nicht."

„Und Ihrer Meinung nach durfte der Kellner mich nicht ansehen? Wer sind Sie, dass Sie sich das herausnehmen?" konterte ich.

„Niemand sollte dich so ansehen" knurrte er. „Solange ich hier bin hat kein anderer Mann dich zu betrachten." Ich merkte, wie er langsam die Geduld verlor und seine grau-blauen Augen mehr und mehr an das stürmische Meer erinnerten. Ich schluckte unbehaglich und ganz automatisch fasste ich mir mit der Hand an den Hals und versuchte unauffällig etwas von ihm weg zu rücken.

Ich merkte, wie sich in meinen Bauch ein Knoten bildete. Die Situation hier entglitt mir. Das Fremde war mir ein Graus, insbesondere, wenn ich nicht wusste, was als nächstes passieren würde. Und mit diesem Unbekannten war alles ungewiss. Ich sollte das unterbinden. Ihn einfach bitten zu gehen. Warum wollte mir die Aufforderung nicht über die Lippen kommen? Weil Arvid unberechenbar war und ich mich vor seiner Reaktion fürchtete wurde mir bewusst. Ich konzentrierte mich auf meinen Herzschlag und versuchte mich so zu beruhigen.

Er musste die Angst bei mir gesehen haben, denn er schloss die Augen und atmete mehrmals tief durch bevor er sie wieder öffnete. Die Wut war verschwunden, dafür meinte ich etwas anderes zu sehen – Trauer vielleicht? Doch das war es nicht alleine. Nachdenklich musterte ich ihn und versuchte seine Körpersprache zu lesen. Was bewegte ihn?

„Ihr Partner wird nun gleich hier sein, doch keine Sorge – wir sehen uns wieder und führen das Gespräch fort" mit den Worten erhob er sich. Bevor ich reagieren konnte, nahm er meine Hand in seine, drückte mir einen Kuss auf den Handrücken und verschwand.

Verblüfft schaute ich ihm hinterher, als Jan zum Tisch gehetzt kam „Entschuldige die Verspätung" er drückte mir einen schnellen Kuss auf den Mund und nahm gegenüber von mir Platz. Ich lächelte unsicher – wie konnte es sein, dass meine Hand so viel mehr kribbelte? Zum Glück kam der Kellner direkt mit der bestellten Vorspeise, so konnten wir zunächst Essen und ich konnte meine Gedanken ordnen.

Zwischen Mann und MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt